Gefährliche Kohlenstoffmärkte
Auf der Klimakonferenz in Baku wurde ein fataler Beschluss gefasst
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Es war ein unerwartetes Déjà-vu auf der UN-Klimakonferenz im November in Baku, Aserbaidschan. Direkt am ersten Tag der COP29 verkündete Konferenzpräsident Mukhtar Babayev neue Regeln für Artikel 6.4 des Pariser Abkommens von 2015 – und machte damit den Weg frei für die Schaffung eines globalen Kohlenstoffmarktes unter der Aufsicht der Vereinten Nationen. Das bedeutet: Der globale staatliche Kohlenstoffhandel ist mit einem Paukenschlag zurück. Dabei hatte er nach harter Kritik und jahrelangen stockenden Verhandlungen über seine Ausgestaltung zwischenzeitlich ein Schattendasein geführt.
Das Kyoto-Protokoll, das 1997 als erstes verbindliches Klimaabkommen auf internationaler Ebene beschlossen wurde, hatte den Handel mit Emissionen eingeführt. Staaten, die ihre Emissionen nicht so stark reduzieren konnten oder wollten wie vereinbart, konnten Emissionszertifikate aus Klimaschutzprojekten in anderen Ländern kaufen. Da unter dem Kyoto-Protokoll nur die Industrieländer zu Emissionssenkungen verpflichtet waren, stammten diese überwiegend als sogenannte Offsets aus Ländern des Globalen Südens; der Rahmen dafür ist der sogenannte Clean Development Mechanism (CDM). Die Idee: Statt teure und aufwendige Emissionsreduktionen in den Industrieländern anzugehen, könnten im Globalen Süden günstiger und schneller Projekte durchgeführt und die eingesparten Emissionen dann als »Emissionsreduktionszertifikate« von Staaten des Nordens gekauft werden.
Handel und Desaster
Dieser globale Kohlenstoffhandel erwies sich rasch als ein einziges Desaster: Unzählige Zertifikate, oft aus dubiosen Quellen, überschwemmten den Markt, der aufgrund seiner Unübersichtlichkeit und fehlender Kontrolle zu einem Hort von Betrug und Steuerhinterziehung wurde. Eine Untersuchung nach der anderen zeigte, dass Projekte, die vorgaben, im Rahmen des CDM im Globalen Süden Emissionen zu reduzieren, zu einem großen Teil schlicht »fake« waren. So kam 2016 eine von der EU-Kommission in Auftrag gegebene Studie zu dem Ergebnis, dass nur zwei Prozent der Projekte die Chance hatten, wie berechnet Emissionen zu reduzieren, bei 85 Prozent war dies nicht der Fall. Erst kürzlich bestätigte eine im Journal Nature Communications veröffentlichte, umfassende Untersuchung diese Daten: Bei nur 16 Prozent seien überhaupt Emissionen reduziert worden.
Die Kritik blieb nicht ohne Folgen. Die EU etwa schränkte die Nutzung von Zertifikaten aus dem CDM im Rahmen ihres internen – und weltweit größten – Emissionshandelssystems stark ein, und auch auf internationaler Ebene verlor der Mechanismus an Bedeutung. Stattdessen wuchsen nun die »freiwilligen« Märkte für CO2-Kompensationen: Kaum regulierte und weitgehend unkontrollierte Märkte, auf denen Unternehmen oder Privatpersonen Zertifikate kaufen können, um etwa Flugemissionen ausgleichen oder Produkte als »klimaneutral« verkaufen zu können.
Gemeinschaften werden aus Wäldern vertrieben, um dort Plantagen anlegen und lukrative Emissionszertifikate abgreifen zu können.
Artikel 6 des Pariser Abkommens sah von Beginn an auch die Möglichkeit vor, internationale Kohlenstoffmärkte aufzubauen. Allerdings kamen die Verhandlungen darüber, wie diese konkret ausgestaltet werden sollen, über Jahre hinweg zu keinem Ergebnis. Bei der Klimakonferenz in Glasgow 2021 einigten sich die Mitgliedsstaaten schließlich auf einen groben Rahmen. Das von der UN eingesetzte Expert*innengremium, der Supervisory Body, legte bei den folgenden beiden Klimakonferenzen Vorschläge für die konkrete Umsetzung vor, jedoch scheiterten die Verhandlungen über die Details.
Gleichwohl schlossen Staaten wie die Schweiz, Japan und Singapur jüngst erste Abkommen mit anderen Staaten über den Kauf von Emissionen im Rahmen des Art. 6. Im Oktober dann, einen Monat vor der COP29 in Baku, beschloss der Supervisory Body plötzlich die neuen Regeln für Artikel 6.4, der einen künftigen Kohlenstoffmarkt unter Aufsicht der UN vorsieht – obwohl er den UN-Regeln gemäß nur Empfehlungen ausarbeiten darf, die dann von den Mitgliedern der Klimarahmenkonvention diskutiert und einstimmig beschlossen werden müssen.
Der aserbaidschanische Chefverhandler Yalchin Rafijev lobte das »wegweisende Werkzeug«, das bei der Umsetzung von Klimaplänen 250 Milliarden Euro pro Jahr sparen würde. Den Staaten blieb trotz Protest nur noch die Entscheidung, das zur Kenntnis zu nehmen.
Präzedenzfall hinter verschlossenen Türen
Die Organisation Carbon Market Watch kritisierte dieses Vorgehen als »Deal hinter verschlossenen Türen«. Es bedeutet nichts Gutes für jene, die gehofft hatten, dass die UN-Klimakonferenzen ungeachtet aller Schwächen auch ärmeren Staaten zumindest noch die Möglichkeit bieten, auf Augenhöhe zu verhandeln. »Diese Regeln für Kohlenstoffmärkte ohne Diskussion oder Debatte zu beschließen, setzt einen gefährlichen Präzedenzfall für den gesamten Verhandlungsprozess«, so Erika Lennon vom Center for International Law. Tatsächlich endete die Konferenz in Baku so, wie sie begonnen hatte: Mit einem Beschluss, der nur deshalb einstimmig war, weil der Vorsitz voreilig den Hammer fallen ließ und den von Indien angemeldeten weiteren Diskussionsbedarf ignorierte.
Die neuen Regeln zum umfassenden Emissionshandel haben zahlreiche Lücken. Die Fraktion, die wie die USA weniger Kontrolle forderte, hat sich weitgehend durchgesetzt. So soll es keine Konsequenzen geben, wenn an der Integrität von Zertifikaten Zweifel besteht; diese sollen lediglich gekennzeichnet werden, dürfen aber weiter gehandelt werden. Die bisher kaum regulierten und kontrollierten freiwilligen Märkte sollen ebenfalls Zugang zum neu zu schaffenden Markt bekommen und Tausende von umstrittenen ehemaligen CDM-Projekten ohne weitere Prüfung in das neue System übernommen werden dürfen. Besonders kritisch sind zwei Punkte, die in Baku noch nicht entschieden wurden: Die Frage, welche Art von Senken oder Carbon-Dioxid-Removal-Projekten Zugang zum neuen UN-Markt haben sollen und wie langfristig die Speicherung von CO2 bei solchen Projekten sein muss.
Vor allem waldbasierte Klimaschutzprojekte gelten als extrem unsicher. Erst im letzten Jahr haben Studien gezeigt, dass Wälder angesichts steigender Temperaturen inzwischen mehr eine CO2-Quelle denn eine Senke sind. Und Kritiker*innen haben immer wieder darauf hingewiesen, dass CO2 in Wäldern oder im Boden nur sehr kurzfristig gespeichert wird – also nicht als Ausgleich für den Ausstoß von fossilem CO2 dienen kann, das über Jahrhunderte oder Jahrtausende die Konzentration des Klimagases in der Atmosphäre erhöht. Viele CDR-Projekte sind zudem in der Erprobungsphase und werden im großen Maßstab vermutlich nie funktionieren oder wie Ozeandüngung oder Geoengineering-Projekte unvorhersehbare Auswirkungen auf Ökosysteme oder ganze Regionen haben
Jubel über einen »Milliardenmarkt«
Deutlich zeichnet sich schon ab, wer von den Beschlüssen am meisten betroffen sein wird: der Klimaschutz ebenso wie jene, die in Zukunft von Landraub und Vertreibung betroffen sein werden, um lukrative Emissionsreduktionen zu generieren. So sagte Liese Masson von Friends of the Earth, der Beschluss von Baku werde verheerende Auswirkungen auf Gemeinschaften im Globalen Süden haben, vor allem auf indigene Gemeinschaften und Kleinbäuerinnen und -bauern«. Und gerade erst hat die Organisation GRAIN in einem Bericht dokumentiert, welche fatalen Folgen Kohlenstoff-Ausgleichsprojekte haben: In Afrika, Asien und Lateinamerika wurden Gemeinschaften etwa aus Wäldern vertrieben, häufig um dort Plantagen mit schnellwachsenden Arten anlegen und lukrative Emissionszertifikate abgreifen zu können.
»Kohlenstoffmärkte sind nicht dafür gemacht, Emissionen zu senken«, hat Larry Lohmann, der seit vielen Jahren zu Kohlenstoffmärkten forscht, schon 2020 in einem Interview gesagt. »Ihre Aufgabe, im Pariser Abkommen und anderswo, ist das Fortbestehen der fossilen Ökonomie zu verlängern und, indirekt, das eines ausbeuterischen und ungleichen Systems von Extraktivsmus und Naturzerstörung.« Auch der jetzt entstehende Markt dient vor allem dazu, den weiteren CO2-Ausstoß zu legitimieren.
Sollte der Emissionshandel Fahrt aufnehmen und sollten, wie beim CDM, zahlreiche minderwertige oder gefälschte Emissionszertifikate den Markt fluten, sind auch die Emissionsminderungen, die die Staaten im Rahmen der Pariser Abkommens zusagen, kaum noch etwas wert. Unternehmen jubelten bereits über den neuen »Milliardenmarkt«. Die Gemeinschaften im Globalen Süden, die am stärksten von den Folgen der Klimakrise betroffen sind, werden sich hingegen künftig auch noch gegen die Folgen der Klimaschutzmaßnahmen wehren müssen. Organisationen wie die Global Forest Coalition kündigten nach der Konferenz bereits an, bei der nächsten Konferenz in Belem, Brasilien, den Kampf gegen carbon violence, Kohlenstoffgewalt, in den Mittelpunkt ihrer Kämpfe zu stellen.