GEAS, Bezahlkarte, Zurückweisungen
Die rigide Flüchtlingspolitik der Ampel-Regierung hat die BRD nach rechts verschoben
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Wir wollen einen Neuanfang in der Migrations- und Integrationspolitik gestalten, der einem modernen Einwanderungsland gerecht wird.« Mit diesem Satz beginnt der Abschnitt zu Migration und Flucht im 2021 von SPD, Grünen und FDP verhandelten Koalitionsvertrag. Auch von einem migrationspolitischen »Paradigmenwechsel« ist darin die Rede. Unter Anwält*innen, Rechtsberater*innen und anderen, die mit Geflüchteten arbeiten und sich politisch für deren Rechte einsetzen, weckte der Regierungsantritt der Ampel deshalb gewisse Hoffnungen. Nach den »bleiernen Jahren« unter Innenminister Horst Seehofer (CSU) schienen sich zumindest kleine Dinge zum Besseren zu verändern. Ein paar gute Vorhaben enthielt der Koalitionsvertrag immerhin: Die Wiedereinführung des Rechts auf Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte, die Abschaffung aller Arbeitsverbote und ein sogenanntes Chancenaufenthaltsrecht für langjährig Geduldete, um nur einige Beispiele zu nennen.
Kaum jemand machte sich Illusionen, dass die Verwirklichung dieser Vorhaben zum Selbstläufer werden würde. Und warnen musste von Anfang an die Tatsache, dass SPD, Grüne und FDP neben den genannten Erleichterungen auch eine »Abschiebungsoffensive« und eine »Reduzierung von irregulärer Migration« ankündigten. Gleichwohl war zu Beginn der Ampel-Regierungszeit die Vorstellung verbreitet, dass die Herausforderung der kommenden Jahre vor allem darin bestehen würde, genügend Druck aufzubauen, um die Umsetzung der in Aussicht gestellten Verbesserungen zu erzwingen.
Gut drei Jahre später ist klar: Diese Erwartung hätte nicht falscher sein können. Fluchtpolitisch steht die BRD heute erheblich weiter rechts als 2021. Und das hat viel mit der Politik der Ampel zu tun: Spätestens ab dem Frühjahr 2023 setzte diese eine Welle von Angriffen auf die Rechte von Geflüchteten und Geduldeten in Gang, die ihresgleichen sucht.
Ziemlich dichte Grenze
Der erste Schock kam mit der Zustimmung der Bundesregierung zur Verschärfung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (sogenannte GEAS-Reform). Nachdem der Gesetzgebungsprozess auf EU-Ebene aufgrund der unterschiedlichen Interessen der Mitgliedstaaten über Jahre gestockt hatte, kam es im Frühsommer 2023 überraschend zu einer Einigung. Zur Abstimmung stand ein Gesetzespaket, das EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen (CDU) bereits 2020 vorgelegt hatte. Es sah vor, dass ein Großteil der Menschen, die in die EU flüchten, an den Außengrenzen in geschlossenen Lagern festgehalten und in Schnellverfahren abgefertigt wird. Im Grunde handelt es sich um eine Festschreibung und Ausweitung des Modells, das mit dem EU-Türkei-Deal seit 2016 auf den griechischen Ägäis-Inseln erprobt wird. Dort werden schon jetzt Flüchtende in von der EU finanzierten Haftlagern festgesetzt und häufig auf unbestimmte Zeit »verwahrt«. Das Europäische Parlament stimmte der »GEAS-Reform« im April 2024 zu. Die Umsetzungsfrist läuft bis Mitte 2026, das volle Ausmaß der Verschärfungen wird sich also erst noch zeigen.
Darüber hinaus hat die Ampel die Abschiebehaft ausgeweitet und die härtesten Abschiebegesetze beschlossen, die es in der BRD je gab. Das hat schon jetzt praktische Auswirkungen: Die Zahl der Abschiebungen ist 2023 und 2024 gegenüber den Vorjahren in die Höhe geschnellt. Allein von Januar bis November 2024 wurden mehr als 18.000 Menschen abgeschoben. 2023 waren es 16.000, 2022 hatte die Zahl der Abschiebungen noch bei knapp 13.000 gelegen. Selbst nach Afghanistan wurde erstmals seit der Machtübernahme der Taliban wieder abgeschoben. Die Behörden setzen sich vermehrt über Gerichtsbeschlüsse hinweg, wie Initiativen berichten. Und immer wieder trifft es (psychisch) kranke Menschen, die mitunter direkt aus dem Krankenhaus zur Abschiebung geholt werden.
SPD, Grüne und FDP haben die härtesten Abschiebegesetze beschlossen, die es in der Bundesrepublik je gab.
Hinzu kommen Angriffe auf soziale Rechte: Die Einführung der Bezahlkarte hat zu Recht viel Kritik und Solidarität hervorgerufen. Weniger bekannt ist, dass die Ampel schon mit dem »Rückführungsverbesserungsgesetz« einen drastischen Sozialabbau für Geflüchtete in die Wege leitete. Die Wartezeit, bis Beziehende von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sogenannte Analogleistungen in Höhe des Bürgergeldsatzes erhalten, wurde von 18 auf 36 Monate verdoppelt. Die Betroffenen müssen nun also drei Jahre mit Leistungen deutlich unter dem offiziellen Existenzminimum auskommen – und sind in dieser Zeit von der regulären Gesundheitsversorgung ausgeschlossen.
Ein letztes Beispiel: Während die Union verlangt, die Grenzen »dichtzumachen«, führt die Bundespolizei auf Geheiß von Nancy Faeser (SPD) bereits seit Monaten Kontrollen an allen Landgrenzen durch und weist dort in großem Umfang Menschen zurück. 2024 betraf dies mehr als 40.000 Personen, viele von ihnen Geflüchtete aus Ländern wie Syrien, Afghanistan und der Türkei. Zurückweisungen von Asylsuchenden sind also längst gängige Praxis.
Zunehmend enthemmte Debatte
Begleitet wurden diese Verschärfungen von einer zunehmend enthemmten politisch-medialen Debatte. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) forderte im Spiegel, die Behörden müssten endlich »im großen Stil« abschieben. Robert Habeck (Grüne) bezeichnete verschärfte Abschiebegesetze als »hart, aber notwendig«. Jens Spahn (CDU) will Flüchtende mit »physischer Gewalt« aufhalten. Und Friedrich Merz (CDU) erfindet »tägliche Gruppenvergewaltigungen« durch Asylsuchende und paktiert neuerdings offen mit der AfD, um einen noch rechteren Kurs in der Asylpolitik durchzusetzen. Wie sind wir dahin gekommen?
Zunächst ein Hinweis auf eine Tatsache, die oft untergeht: SPD, Grüne und FDP haben das Migrationsrecht nicht für alle gleichermaßen verschärft. Für gut ausgebildete Fachkräfte ist es heute leichter, nach Deutschland zu kommen. Die Anwerbung von leicht ausbeutbaren Arbeitskräften ist auch der Hauptzweck der Migrationsabkommen, die die BRD in den letzten Jahren mit etlichen Staaten von Indien über Kenia bis Kolumbien abgeschlossen hat. Die Ampel hat also nicht nur Geflüchtete entrechtet, sondern vielmehr – wie es der Migrationsrechtsanwalt Alexander Gorski kürzlich im Interview mit »99 zu eins« ausdrückte – die Selektion zwischen im kapitalistischen Sinne verwertbaren und nicht verwertbaren Migrant*innen perfektioniert. Abschottung gegenüber Flüchtenden und die Anwerbung migrantischer Arbeitskräfte im Interesse des Kapitals schließen einander nicht aus.
Nichtsdestotrotz bleibt der fluchtpolitische Rechtsschwenk der Ampel erklärungsbedürftig. Wie lässt er sich einordnen? Eine verbreitete Analyse sieht die Ursache in erster Linie bei der AfD – und in deren Zusammenwirken mit den anderen Parteien. Seit Jahren instrumentalisiere die AfD das Thema Migration, um eine Brücke zur bürgerlichen Mitte zu bauen, diese nach rechts zu ziehen und letztlich Rechtsstaat und Demokratie auszuhöhlen. Das passiere unter Mitwirkung der »extrem gewordenen Mitte«, die rechte Narrative übernehme und bereitwillig das Spiel der AfD mitspiele. (ak 707) »Die Migrationspolitik wird zum Einfallstor eines autoritären Staatsumbaus«, heißt es dazu in einer aktuellen Erklärung von medico international. Und der Migrationsforscher Frank Wolff bezeichnete Migration bei Jacobin als »trojanisches Pferd« der Rechten. Politisch folgt daraus, die Rechte der Geflüchteten zu verteidigen und den rassistischen Überbietungsbettbewerb der bürgerlichen Parteien als Angriff auf die Demokratie – und damit auf uns alle – zu benennen und zurückzuweisen, wie es gerade viele NGOs, Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen tun.
Die kritisierte Dynamik gibt es unbestritten, und es ist richtig, gegen Asylrechtsverschärfungen Protest zu organisieren. Wenn man nur auf das Asylrecht schaut, geraten aber das Ausmaß und der Kontext der Rechtsverschiebung aus dem Blick.
Alles kein Zufall
Zunächst: Inhaltliche Schnittmengen der »Mitte-Parteien« mit der AfD gibt es längst auch bei anderen Themen. So stimmten Grüne bis AfD im November 2024 gemeinsam für eine sogenannte Antisemitismusresolution, die in Wirklichkeit darauf abzielt, Widerstand gegen Apartheid, Besatzung und Genozid als antisemitisch zu brandmarken und zu unterbinden. In der Debatte lobte Beatrix von Storch die Grünen explizit dafür, dass diese das Konzept des »importierten Antisemitismus« von der AfD übernommen hätten. Das gleiche Bild ergab sich bei der Abstimmung über eine weitere Resolution, die unter dem Vorwand, Antisemitismus an Hochschulen zu bekämpfen, in die Wissenschaftsfreiheit eingreift.
Gemeinsame Positionen von Grünen bis AfD gibt es auch bei den gigantischen Aufrüstungsprojekten, die seit der von Scholz ausgerufenen Zeitenwende laufen. Die Militärausgaben haben sich seitdem vervielfacht, alle gesellschaftlichen Bereiche werden auf »Kriegstüchtigkeit« getrimmt, der Alltag wird zunehmend militarisiert. All das befürwortet auch die AfD. Während am 31. Januar viele gebannt die Abstimmung über das »Zustrombegrenzungsgesetz« der Union verfolgten, verabschiedete der Bundestag von der kritischen Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt ein »Artikelgesetz zur Zeitenwende«, das zum Ziel hat, die personelle Einsatzbereitschaft der Bundeswehr zu erhöhen. Mit den Stimmen von Grünen, SPD, Union, FDP und AfD.
Das leitet über zum zweiten Punkt: Der in vielen westlichen Staaten zu beobachtende autoritäre Staatsumbau und der Aufstieg faschistischer Parteien sind nicht zufällig, sie stehen vielmehr in einem größeren polit-ökonomischen Zusammenhang. Mit Frank Deppe können sie als politischer Ausdruck der »multiplen Krisen« begriffen werden, in denen sich die westlichen Kapitalmetropolen seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 befinden.
Große Teile der arbeitenden Bevölkerung zeigen eine wachsende Unzufriedenheit mit stagnierenden Löhnen, steigenden Preisen und einer ausgehöhlten öffentlichen Infrastruktur. Die Hegemonie des Neoliberalismus bröckelt, daher ist eine zunehmend autoritäre Regierungsweise notwendig, um Widerstand kleinzuhalten. Rassismus und die permanente Skandalisierung von Migration erweisen sich dabei als wirksame Mittel zur Herrschaftssicherung. Davon profitieren alle bürgerlichen Parteien, nicht nur die AfD.
Die Krise hat zudem eine äußere Dimension: den relativen Abstieg der USA und ihrer Verbündeten im Weltsystem und den daraus resultierenden Kampf um die Neuordnung der globalen wirtschaftlichen und politischen Machtverhältnisse. Davon zeugen der Ukraine-Krieg und die schärfer werdende Konfrontation mit China ebenso wie die militärische und diplomatische Unterstützung des Genozids in Gaza. Auch die bereits erwähnten massiven Aufrüstungsprogramme stehen in diesem Kontext.
Wer der autoritären Entwicklung in der Asylpolitik und darüber hinaus etwas entgegensetzen will, braucht ein Verständnis dieser Zusammenhänge – und darf das Thema Krieg nicht ausklammern.