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Le Pen gibt den Ton an

Frankreichs Präsident Macron hat das Linksbündnis ausmanövriert und seine Minderheitsregierung vom rechtsextremen Rassemblement National abhängig gemacht

Von Lea Fauth

Marine Le Pen spricht in ein Mikrofon
Marine Le Pen am Abend des zweiten Wahlgangs am 7. Juli in Paris. Gewonnen hat ihre Partei zwar nicht, mit der Justiz hat sie Scherereien, politisch dagegen könnte es für die Rechtsextremistin tkaum besser laufen. Foto: picture alliance / AP | Louise Delmotte

Der Rechtsstaat ist weder unantastbar noch heilig«, so patzte Bruno Retailleau Anfang Oktober in der Wochenzeitung Le Journal du Dimanche. Es ging um Abschiebungen, Asylrecht und migrationsfeindliche Politik – dafür, so kann man die Aussage verstehen, wird man ja wohl noch die Verfassung ändern dürfen. Bruno Retailleau ist ein rechtskonservativer Politiker der französischen Partei Les Républicains. Aber nicht einer, der auf der Oppositionsbank meckert, sondern kein geringerer als der neue französische Innenminister. Nach scharfer Kritik verteidigte Retailleau sich, so habe er das nicht gemeint. »Wenn das Recht die Gesellschaft nicht schützt, dann muss man das Recht ändern. Es gibt keine juristische Unmöglichkeit«, legte er in der ersten Kammer des französischen Parlaments nach. Er hatte es also ganz genau so gemeint. 170 Abgeordnete und Senator*innen der rechten Partei Les Républicains unterstützten ihn daraufhin mit einem Statement in der Tageszeitung Le Figaro.

Damit bleibt kein Zweifel, wohin es mit dieser neuen französischen Regierung geht, einer Minderheitsregierung von Macrons Partei Ensemble und den deutlich nach rechts gerückten Républicains, die zusammen nur 213 der 577 Sitze in der Nationalversammlung haben. Das alles, obwohl das Linksbündnis Neue Volksfront (NFP) bei den Neuwahlen im Sommer die meisten Sitze gewonnen hatte. Das Bündnis aus Kommunist*innen, Grünen, La France insoumise von Jean-Luc Mélenchon und den wirtschaftsliberalen Sozialist*innen hatte sich pragmatisch zusammengerauft, um zu verhindern, dass die rechtsextreme Partei Rassemblement National (RN) unter Marine Le Pen mit Jordan Bardella den nächsten Premierminister stellt. Doch einmal mehr zeigt sich ein Phänomen, das man auch aus Deutschland kennt: Rechtsextreme Parteien brauchen überhaupt nicht an der Regierung zu sein, um ihr Programm und ihre Diskurse durchzusetzen.

Wahlsieger NFP auf dem Abstellgleis

Doch von vorne. Kurz nach den Parlamentswahlen konnten viele Menschen in Frankreich aufatmen, manche jubelten sogar: Nicht nur war der rechtsextreme RN, obwohl prozentual stärkste Partei, lediglich Drittplatzierter bei der Zahl der Parlamentssitze geworden, sondern das Linksbündnis NFP lag sogar vorne – wenn auch ohne eigene Mehrheit. Klassischerweise obliegt der stärksten Kraft im Parlament auch, die*den Premierminister*in zu nominieren. Nach einigem Ringen und Streiten einigten sich die vier Parteien des linken Spektrums Ende Juli auf die Ernennung von Lucie Castets. Eine bis dahin unbekannte Funktionärin, die sich bei der Verfolgung superreicher Steuerbetrüger*innen einen Namen gemacht hatte und die ankündigte, Macrons umstrittene Rentenreform, gegen die letztes Jahr Millionen Französ*innen protestiert hatten, wieder rückgängig zu machen.

Diese Premierministerin hätte Emmanuel Macron ernennen sollen. Stattdessen kündigte der Präsident jedoch an, er wolle erstmal die Olympischen Spiele über die Bühne bringen. Mehr als zwei Monate vergingen, dann verkündete Macron: Nicht Lucie Castets, sondern der Republikaner Michel Barnier soll Premierminister werden. Hinter den Kulissen hatte Macron wohl dafür gesorgt, dass genug Fraktionen im Parlament die Entscheidung mittragen würden – unter anderem der rechtsextreme RN von Marine Le Pen. Dass die Linken bei ihrer Premierministerin-Empfehlung übergangen wurden, ist zwar unüblich – aber nicht gesetzeswidrig.

Nachdem das Linksbündnis mit vereinten Kräften einen rechtsextremen Premierminister verhindert hat, regiert in Frankreich nun trotzdem die rechteste Regierung seit langem.

Nun bleibt trotzdem fraglich, wie progressiv und wie handlungsfähig eine Premierministerin Lucie Castets mit dem Linksbündnis NFP gewesen wäre. Die Konfikte im Bündnis haben gerade beim Thema Nahost explosives Potenzial. Einigen konnte man sich auf ein paar grundlegende sozialpolitische Maßnahmen wie die Deckelung von Lebensmittelpreisen und die Erhöhung des Mindeslohns. Ob das ebenfalls aus einer Minderheitsregierung mit Macrons Partei Ensemble, umsetzbar gewesen wäre, ob sich die Realpolitiker*innen aus der Fraktion nicht doch zu einer gegenteiligen Politik hätte hinreißen lassen – unklar.

Wie dem auch sei: Nachdem das Linksbündnis mit vereinten Kräften einen rechtsextremen Premierminister Jordan Bardella verhindert hat, regiert in Frankreich nun trotzdem die rechteste Regierung seit langem. Mit Michel Barnier wird ein 73-Jähriger Premierminister. 1981 stimmte er als Abgeordneter gegen die Legalisierung von Homosexualität, ein Jahr später gegen einen Gesetzesentwurf, der eine Kostenerstattung von Schwangerschaftsabbrüchen durch die Krankenkasse vorsah.

Mitte-rechts mit Betonung auf rechts

In seiner Antrittsrede gab Barnier sich zum linken Lager hin versöhnlich. Konzerne mit Superprofiten und Spitzenverdiener*innen wolle er stärker besteuern, so lautete die Ansage. Gleichzeitig betonte Barnier, wie nah man an einer Staatspleite sei, und kündigte ein Sparprogramm an. Hoffnung auf eine Entlastung der Geringverdienenden, auf den Wiederaufbau kaputtgesparter Krankenhäuser und Schulen kann man sich also kaum machen. Die höhere Besteuerung von Superprofiten könnte sich noch als Feigenblatt erweisen, das dürftig versteckt, was wirklich kommen wird: eine harte Austeritätspolitik. Dazu passt, dass als eine der ersten Amtshandlungen der neuen Regierung der Energiepreisdeckel abgeschafft wurde. Ähnlich klingt es, wenn dieser Premierminister ankündigt, er sei offen für eine »Verbesserung« der hoch umstrittenen Rentenreform von 2023 – nicht aber für die Rücknahme der Reform. Es wirkt, als verteile der Premierminister billige Beruhigungstabletten an sein Publikum.

An klaren Worten mangelt es dem ehemaligen EU-Kommissar in anderen Themenbereichen nicht. »Wir werden die Einwanderung begrenzen und kontrollieren, weil sie oft unerträglich wird und dazu führt, dass wir jene nicht gut integrieren, die wir aufnehmen«, so ein markanter Satz aus Barniers Antrittsrede am 1. Oktober. Innenminister Retailleau hat denn auch angekündigt, die Abschiebehaft von bisher drei auf sieben Monate zu verlängern. Gegen die Zwangsrückführung von Asylsuchenden soll außerdem bald keine Berufung mehr eingelegt werden können; eine Unterstützung der Betroffenen durch NGOs soll untersagt werden.

Mit diesen Beschlüssen »reagierte« die Regierung auf einen stark mediatisierten Mord an einer 19-jährigen Frau namens Philippine. Das französische Pendant zum deutschen Solingen: Der Täter war Marokkaner, die Gesetze, die auf den Mord folgten, betreffen ausschließlich Migrant*innen. Unterdessen läuft im Süden Frankreichs der Prozess wegen einer Massenvergewaltigung an Gisèle Pélicot. Der Fall sorgt auch über Frankreich hinaus für enormes Aufsehen. Jedoch bietet er keine ähnliche Steilvorlage für populistische Maßnahmen, sind die über 50 Angeklagten doch fast alle Franzosen. Wenn man da handeln wollte, müsste man sich eben wirklich Gedanken darum machen, wie sexualisierte Gewalt zu bekämpfen wäre.

So jedenfalls hat sich die Koalition aus Macronist*innen und Republikaner*innen schon längst die Unterstützung des rechtsextremen Lagers erkauft. RN-Chefin Marine Le Pen muss sich derzeit vor Gericht wegen diverser Veruntreuungsskandale verantworten, ihr drohen neben einer fünfjährigen Haftstrafe auch ein fünfjähriges Ämterverbot. Das hindert sie und ihre Parteifreund*innen aber nicht, den vorauseilenden Gehorsam der Regierung noch weiter herauszufordern. Barnier solle gut darauf achten, die Wünsche »unserer Wähler*innen« zu respektieren, so Le Pen. Und dem RN-Abgeordneten Lauren Jacobelli war der Hohn anzuhören, als er sich freute: Innenminister Bruno Retailleau »hat unser Programm gut gelernt, er zitiert es aufs Komma genau und bis zur Perfektion«.

Solche Kommentare können sie sich herausnehmen, denn der RN kann jederzeit Gesetze der Minderheitsregierung blockieren. Während die französische Bevölkerung dem Rechtsruck an der Wahlurne noch eine Absage erteilt hat, macht Macron den RN zur tonangebenden Kraft, der man es recht machen muss. Eine Minderheitsregierung war zwar nicht vermeidbar, doch hätte es auch eine sein können, die sich vom Linksbündnis NFP und nicht von Rechtsextremen tolerieren lässt.

Ein Misstrauensvotum gegen den neuen Premierminister am 8. Oktober, initiiert durch das Linksbündnis NFP, ist mit nur 198 von 577 Abgeordnetenstimmen indes krachend gescheitert. Das Bündnis hatte damit demonstrieren wollen, dass die ganze Regierungsbildung eine demokratische Farce ist. Da niemand mitgemacht hat, hat es das Gegenteil erreicht: Michel Barnier ist im Amt bestätigt.

Lea Fauth

war Redakteurin bei der taz und ist jetzt freie Journalistin für Print und Hörfunk. Sie hat Philosophie und Literatur in Frankreich, Brasilien und Portugal studiert.