Fossiler Backlash
Die Weltklimakonferenz ist eine Verkaufsmesse für Öl- und Gaskonzerne geworden – sie erwarten, dass sich ihre Investitionen noch über Jahre rentieren
Von Christian Zeller
Der Präsident der diesjährigen Weltklimakonferenz, Sultan Ahmed al-Jaber, der auch Industrieminister der Vereinigten Arabischen Emirate und Vorsitzender des Ölkonzerns ADNOC ist, gab kurz vor Beginn der COP28 Ende November in Dubai den Takt für die Verhandlungen vor: »Es gibt keine Wissenschaft und kein Szenario, die besagen, dass durch den Ausstieg aus der Nutzung fossiler Brennstoffe 1,5 Grad erreicht werden können.« Damit drückte er unmissverständlich aus, dass das fossile Kapital seinen Expansionspfad fortsetzen will.
Auf der Weltklimakonferenz in Dubai bearbeiten gemäß einer Analyse mehrerer NGO 2.456 Lobbyist*innen für Kohle, Öl und Gas die Entscheidungsträger*innen in ihrem Sinne. Das sind so viele wie noch nie. Frankreich akkreditierte Vertreter*innen der Konzerne TotalEnergies und EDF als Teil der Delegation. Italien lud Angestellte von ENI ein. Die Europäische Union nahm Vertreter*innen von BP, ENI und ExxonMobil mit.
An der COP28 in den Vereinigten Arabischen Emiraten zeigt sich deutlicher als je zuvor, dass sich ein unauflösbarer Widerspruch immer stärker in alle gesellschaftlichen Auseinandersetzungen einschreibt. Die Herrschaft des Kapitals trifft auf die Grenzen und Gesetze der Natur, die es nicht akzeptiert und aufgrund seines Wachstumszwangs auch nicht akzeptieren kann. Darum macht das fossile Kapital an dieser Konferenz unmissverständlich klar, dass der fossile Entwicklungspfad keineswegs einem Ende entgegengeht. Ganz im Gegenteil: Umfangreiche Greenwashing-Operationen sollen den Anschein erwecken, dass beispielsweise auch Erdgasprojekte »klimaneutral« seien.
Die große Operation der Öl- und Gaskonzerne zielt auf CCS (CO2-Abscheidung und -Speicherung) und CDR (Carbon Dioxide Removal – Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre). Die Konzerne bieten sich an, diese Technologien voranzutreiben, allerdings nur, wenn die Staaten die erforderliche Finanzierung zu einem großen Teil übernehmen. Diese Technologien sind hochspekulativ. Das UN-Umweltprogramm warnt in seinem Production Gap Report 2023 ausdrücklich davor, die Klimapolitik auf diese unsicheren, teuren und energiefressenden Technologien auszurichten. 80 Prozent der Pilotprojekte für CCS in den letzten Jahren sind gescheitert. Die gegenwärtigen Kapazitäten für CO2-Speicherung belaufen sich gerade mal auf 0,01 Gigatonnen CO2 pro Jahr. Das ist eine unbedeutende Menge. Die weltweiten Kohlendioxid-Emissionen aus der Nutzung fossiler Brennstoffe werden 2023 auf den neuen Rekordwert von 37 Gigatonnen klettern.
Greenwashing-Operationen sollen den Anschein erwecken, dass Erdgasprojekte klimaneutral seien.
Dass die diesjährige Weltklimakonferenz in Dubai stattfindet, drückt die wachsende Bedeutung der ölreichen Golfmonarchien im globalisierten Kapitalismus aus. Mit ihrer Führungsrolle auf der COP27 letztes Jahr in Sharm el-Sheikh und jetzt in Dubai demonstrieren sie im Einklang mit den Öl- und Gaskonzernen in den USA und in Europa, dass sie sich jeder Abkehr von der ölzentrierten globalen Ordnung widersetzen. Die Golfstaaten konnten ihre weltwirtschaftliche Stellung aufgrund der massiv gestiegenen Nachfrage nach Öl aus China und Ländern in Südasien ausbauen. Das Putin-Regime stützt seine Kriegsökonomie fast ausschließlich auf die Öl- und Gaserträge. Mit seiner »Energiestrategie bis 2035« plante es bereits vor dem Krieg gegen die Ukraine die wirtschaftliche Entwicklung des russischen Reiches in den kommenden Jahrzehnten weiterhin auf die fossilen Energieträger auszurichten. Da sich auch die USA und die europäischen Länder keineswegs vom Öl und Gas verabschieden, sieht das fossile Kapital zuversichtlich in die Zukunft.
In dieser Gemengelage und angesichts der verstärkten Rivalität zwischen den imperialistischen Großmächten und einigen aufstrebenden Ländern ist es naheliegend, dass auch die Klimakonferenzen zu einem Ort geworden sind, an dem die mächtigsten Staaten und Kapitalgruppen sowohl ihre geoökonomischen und geopolitischen Interessen abstecken als auch ihre Geschäfte für die nächsten Jahre aushandeln.
Das Erdsystem verändert sich abrupt
Auf der anderen Seite haben wir die Gesetze des Erdsystems, das sich rasch und abrupt verändert. »Fünf große Kippsysteme laufen bereits Gefahr, bei der derzeitigen globalen Erwärmung ihren jeweiligen Kipppunkt zu überschreiten.« Das steht im »Global Tipping Points Report«, den das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) Anfang Dezember publizierte. Die grönländischen und westantarktischen Eisschilde, die subpolare Wirbelzirkulation im Nordatlantik, Warmwasserkorallenriffe und einige Permafrostgebiete kippen wahrscheinlich bereits bei einer durchschnittlichen globalen Erwärmung von 1,5 Grad Celsius. Das wird die Erde bereits in wenigen Jahrzehnten vollkommen anders aussehen lassen.
In den kommenden 50 Jahren wird sich die Temperaturnische, innerhalb der sich die menschliche Gesellschaft entwickeln konnte, stärker verändern als jemals in den letzten 6.000 Jahren. Bei einer Erderhitzung von 2,7 Grad werden gegen Ende des Jahrhunderts (2080 bis 2100) rund drei Milliarden Menschen, also rund ein Drittel der Menschheit, ohne Berücksichtigung von Migrationsbewegungen, voraussichtlich einer mittleren Jahrestemperatur von mehr als 29 Grad ausgesetzt sein. Das sind lebensfeindliche Bedingungen. Gemäß dem Emission Gap Report des UN-Umweltprogramms steuern wir aber mindestens auf drei Grad Erwärmung bis 2100 zu.
Bei einer Erderhitzung von 3,6 Grad könnte die Hälfte der Weltbevölkerung aus der historischen Klimanische und in lebensfeindliche Bedingungen gestoßen werden. Das heißt, die gegenwärtige Politik der Regierungen führt dazu, dass in wenigen Jahrzehnten mindestens drei Milliarden Menschen oder gar die Hälfte der Menschheit aus der verträglichen Klimanische verdrängt werden. Die potenziell am stärksten betroffenen Regionen zählen zu den ärmsten der Welt.
Allerdings sind die Schätzungen des 6. Sachstandsberichts des IPCC, des Weltklimarats, und die daraus vom Sachverständigenrat für Umweltfragen im Juni 2022 für Deutschland abgeleiteten maximalen Emissionsbudgets überholt. Führende Klimawissenschaftler*innen haben auf der Grundlage der sich beschleunigenden klimatischen Veränderungen und der anhaltenden Zunahme der Treibhausgasemissionen berechnet, dass das weltweit verbleibende »Kohlenstoffbudget«, um eine 50-prozentige Chance zu haben, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, sich von 2020 bis 2022 von 500 auf 250 Gigatonnen CO2 halbiert hatte.
Deutschland, Österreich und die Schweiz müssten ihre fossilen Anlagen sofort dichtmachen und den Ländern des Globalen Südens umfangreiche Reparationen bezahlen.
Dieses globale Budget wäre bei einer Stabilisierung der CO2-Emissionen auf den Stand von rund 38 Milliarden Tonnen pro Jahr in weniger als sechs Jahren erschöpft. Diese neuen Berechnungen würden für Länder wie Deutschland, Österreich und die Schweiz bedeuten, dass das Budget, gemessen an den Pro-Kopf-Emissionen, aufgebraucht ist. Unter Berücksichtigung der historisch kumulierten Emissionen sind die reichsten Länder Europas bereits längst im Minus. Sie müssten ihre fossilen Anlagen sofort dichtmachen und den Ländern des Globalen Südens umfangreiche Reparationen bezahlen. Oft wird vergessen, dass der Umbau des Energiesystems und der Aufbau einer gigantischen Infrastruktur erneuerbarer Energien ebenfalls enorme Treibhausgasemissionen verursacht. Der Mittelwert unterschiedlicher Szenarien beläuft sich schätzungsweise auf 195 Gigatonnen CO2. Das heißt, im Weltmaßstab ist das Budget nahezu aufgebraucht.
Kein Ersatz von Öl und Gas
In dieser sich zuspitzenden Situation erleben wir eine massive Gegenoffensive des fossilen Kapitals. Und dieses nutzt die COP als einen zentralen Anlass, um seine Interessen durchzusetzen. Gemäß des bereits erwähnten Production Gap Report wird die globale Kohleproduktion bis 2030, die globale Öl- und Gasproduktion bis mindestens 2050 weiter ansteigen, sofern die Regierungen ihre gegenwärtigen Pläne und Vorhersagen umsetzen.
Eine Transition zu erneuerbaren Energien findet nur schleppend statt und entspricht in keiner Weise der Notwendigkeit, die Erderhitzung abzubremsen. Die Investitionen führen zu einer zusätzlichen Energieerzeugung, nicht zum Ersatz der fossilen Energieträger. Das fossile Kapital investiert nach einigen Jahren der Zurückhaltung wieder verstärkt in die Erneuerung und Erweiterung der fossilen Infrastruktur. Verbunden mit der Regierungspolitik in den großen kapitalistischen Staaten vollzieht sich ein regelrechter fossiler Backlash.
Die Konzernleitungen der fossilen Konzerne sind wieder zuversichtlich, dass Investitionen in fossile Infrastruktur noch über viele Jahre hoch profitabel sein werden. Sollten sich doch »stranded assets«, also gestrandete zur Entwertung gezwungene Vermögenswerte, auftürmen, vertraut die Industrie auf die eigene Stärke, den Staaten – und damit den Gesellschaften – umfangreiche Entschädigungszahlungen abzupressen.
Die NGO Urgewald enthüllte im November mit einer Studie, dass fast alle 700 großen Öl- und Gasunternehmen weiterhin neue Öl- und Gasfelder erkunden und erschließen. 1.023 Unternehmen planen neue LNG-Terminals, Pipelines oder gasbefeuerte Kraftwerke. Die größten kurzfristigen Expansionsplänen verfolgen Saudi Aramco, QatarEnergy, Gazprom, Petrobras, ADNOC, TotalEnergies und ExxonMobil. Diese sieben Konzerne sind für ein Drittel der weltweiten kurzfristigen Öl- und Gasexpansion verantwortlich.
Wir sind weit entfernt von einem grünen Kapitalismus. Die Hypothese eines »grünen Akkumulationsregimes« verliert jede Grundlage. Viele Indizien deuten darauf hin, dass die kapitalistische Produktionsweise auch in den kommenden Jahrzehnten zwingend auf fossilen Energieträgern beruhen wird.
Teile der klassischen Linken haben ihre Ansprüche an den industriellen Umbau zurückgeschraubt. In Verkennung der Veränderungen des Erdsystems und gestützt auf ein schematisches Verständnis sozialer Klassen stellen sie die »sozialen Anliegen« vor die Notwendigkeit des industriellen Um- und Rückbaus. Der fossile Backlash vollzieht sich auch durch linke Organisation hindurch. Die Konzerne des fossilen Kapitals, also Energie-, Chemie- und Automobilkonzerne sowie der mit ihnen verbundene Finanzsektor scheinen zu stark zu sein, als dass man sie infrage stellen kann.
Entwertung durch gesellschaftliche Aneignung
Kohle, Öl und Gas müssen im Boden bleiben. Das würde eine massive Entwertung des Kapitals dieser Konzerne bedeuten. Das fossile Kapital und die Regierungen werden diese Entwertung mit aller Macht zu verhindern versuchen. Nur wenn es gelingt, die Energiekonzerne gesellschaftlich anzueignen, wird es möglich sein, diese Entwertung gegen die Vermögenden und im Sinne der breiten lohnabhängigen Mehrheit der Bevölkerung durchzusetzen, ohne massenhafte Arbeitslosigkeit und Verarmung.
Die Regierungen setzen bekanntlich nicht einmal ihre ungenügenden Maßnahmen um. Sofern es nicht gelingt, diese Regierungen zu stürzen und die destruktive Logik der Kapitalakkumulation zu stoppen, werden die Temperaturen noch stärker ansteigen. Die Frage der politischen und gesellschaftlichen Macht ist also offensiv zu stellen. Nur eine gesellschaftlich breite Bewegung, welche die Mehrheit der Lohnabhängigen einschließt, wird in der Lage sein, ein gesellschaftliches und politisches Kräfteverhältnis aufzubauen, das es erlaubt, die fossilen Konzerne gesellschaftlich anzueignen und deren Macht zu zerschlagen.
Das fossile Kapital konstituiert seine Macht transnational. Darum ist es erforderlich, ökosozialistische Strategien transnational zu entwickeln. Wir stehen vor der Frage, wie wir kontinental gemeinsam die Entmachtung des fossilen Kapitals, den Um- und Rückbau der fossilen Infrastruktur und Industrien sowie den Aufbau einer ökologisch verträglichen und gesellschaftlich gerechten Energieinfrastruktur in die Wege leiten können.