Rechte unter sich
Rassismus und neoliberale Reformen sind die Markenzeichen der neuen finnischen Regierung
Von Robert Stark
Im Juni 2017 wurde in der zentralfinnischen Stadt Jyväskylä finnische Parteiengeschichte geschrieben: Ähnlich wie mehrfach in der Geschichte der deutschen AfD radikalisierten sich damals die rechtspopulistischen Wahren Finnen (Perussuomalaiset – PS) mit großem Getöse live auf einem Parteitag. Der jahrzehntelange Vorsitzende, Timo Soini, wurde verabschiedet und mit der Wahl des wegen Volksverhetzung verurteilten ultrarechten Bloggers Jussi Halla-Aho der rassistische und nationalistische Flügel der Partei deutlich gestärkt. In der damaligen Mitte-Rechts-Koalition aus Zentrumspartei, Konservativen und Rechtspopulist*innen führte diese Wahl zu einem Bruch – zu radikal waren die EU-kritischen und rassistischen Kommentare der neuen Parteiführung. Der damalige Finanzminister und Vorsitzende der konservativen Sammlungspartei (Kokoomus – KOK), Petteri Orpo, vertraute Halla-Aho und Konsorten nicht: »Die Frage ist, ob die neue Parteiführung der Wahren Finnen westliche, demokratische und menschliche Werte überhaupt akzeptiert«, bezweifelte Orpo noch im Sommer 2017. Letztlich spaltete sich die Fraktion der Rechtspopulisten. Der moderatere Teil verblieb in der Regierung, Halla-Aho und sein radikaler Flügel gingen in die Opposition.
Das neoliberale Programm erinnert an die deutschen Hartz-Reformen, so tief gehen die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt.
Sechs Jahre später, im Sommer 2023, sind Orpo finnischer Ministerpräsident und Halla-Aho Parlamentssprecher geworden. Ein verurteilter Rassist sitzt im Zentrum der Macht, und die rechteste Koalition Finnlands seit Kriegsende führt die Regierungsgeschäfte. Die westlichen Werte, die Orpo 2017 noch von der PS in Frage gestellt sah, sind scheinbar nicht mehr in Gefahr. KOK befindet sich nun in einer »Vernunftehe« (Orpo) mit einer weiter radikalisierten, weitestgehend ethnonationalistischen PS und zwei weiteren kleineren Parteien. Seitdem sich das neue Kabinett am 20. Juni dieses Jahres konstituiert hat, brodelt es in Finnlands politischer Landschaft: Zunächst musste Wirtschaftsminister Vilhelm Junnila (PS) nach nur elf Tagen seinen Hut nehmen. Er hatte noch vor Jahren auf einer Neonazidemonstration im westfinnischen Turku gesprochen, mit seiner Kandidatenwahlnummer 88 geprahlt und ein Meme mit einem Schneemann in Ku-Klux-Klan-Kluft geteilt. Die kürzeste Ministeramtszeit in der finnischen Geschichte konnte auch von seinem absurden Tweet – »Ich verurteile natürlich den Holocaust« – nicht verlängert werden.
Internettrolle auf der Regierungsbank
Auch andere Spitzenpolitiker*innen von PS mussten sich beim Kurznachrichtendienst und vor den finnischen Medien erklären, nachdem unter anderem die Innenministerin und Finanzministerin die rassistische Verschwörungserzählung vom »Großen Austausch« geteilt hatten. Die Finanzministerin und heutige PS-Vorsitzende Riikka Purra musste sich zudem öffentlich entschuldigen, nachdem ihr Beiträge in einem rechtsradikalen Internetforum zugeordnet werden konnten.
In den Beiträgen der ehemaligen Polizistin wimmelte es von rassistischen Entgleisungen und Gewaltfantasien. Für die 15 Jahre alten Forumsbeiträge entschuldigte sich Purra. Ihre Äußerung über Frauen in Burka, die als »schwarze Säcke« kaum als menschlich erkennbar seien, wurde von Ministerpräsident Orpo unter dem Kampf für Frauenrechte subsummiert. Die Spitzen der Regierungskoalition hatten allein im Juni und Juli ein halbes Dutzend Krisentreffen, bei denen im Nachgang immer wieder »Nulltoleranz für Rassismus« ausgerufen wurde, während gleichzeitig immer mehr über die rechten Weltbilder der PS-Spitzenpolitiker*innen ans Licht kam.
Selbst weniger progressive finnische Medien sind aus ihrem Langzeitschlaf erwacht und stellen nun erschrocken fest, dass die PS eine rassistische Partei ist. Einem relevanten Teil der neoliberal-konservativen Sammlungspartei scheint die geschlossen rechte Einstellung in der PS egal. Nur zwei der KOK-Parlamentsabgeordneten stimmten nicht für Wirtschaftsminister Junnila, einer der beiden ist Finnlands einziger jüdischer Abgeordneter, dessen Vater die Konzentrations- und Vernichtungslager Sachsenhausen und Majdanek überlebt hatte.
Immer wieder betont Ministerpräsident Orpo, dass man keine Toleranz gegenüber Rassismus habe, aber jetzt unbedingt das Regierungsprogramm umgesetzt werden müsse. Das 244-seitige Programm »starkes und sich kümmerndes Finnland« ist ein Paradebeispiel des rechtspopulistisch-neoliberalen Schulterschlusses, besteht es doch vor allem aus Austeritätspolitik, Aufweichung von Arbeiter*innenrechten und Gängelung von Migrant*innen.
Die Wahl Anfang April hatten KOK und PS mit der Ankündigung gewonnen, den gewachsenen Schuldenberg abtragen zu wollen und sechs Milliarden Euro einzusparen, bei einem Staatshaushalt von etwas über 81 Milliarden eine beträchtliche Summe. Die Kürzungsvorhaben sind dementsprechend weitreichend: Wohngeld und Sozialhilfe sollen zusammengekürzt werden, den Volkshochschulen, dem öffentlichen Rundfunk und der Sozial- und Gesundheitsversorgung jeweils hunderte Millionen Euro entzogen werden.
Gleichzeitig sind Steuererleichterungen für Besserverdienende und Investitionen in Rüstungsgüter geplant. Das neoliberale Programm erinnert an die deutschen Hartz-Reformen, so tief gehen die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt: Kündigungen und Befristungen sollen erleichtert und das finnische Streikrecht massiv beschränkt werden. Politische Streiks und Solidaritätsstreiks, die in Deutschland illegal sind, sollen besonders stark eingeschränkt werden. Für diesen Austeritätsmasterplan hat die Sammlungspartei in der PS einen willfährigen Bündnispartner gefunden. Die Rechtspopulisten hatten ihren Wahlkampf mit den Themen Benzinpreise, Kulturkampf gegen die »Linksgrünen« und Ablehnung von Zuwanderung geführt. Ihre eigentliche Wählerstammgruppe von Männern mittleren Alters in Angestellten oder Arbeiterpositionen wird von den Vorhaben nicht profitieren – andere aber mehr darunter leiden.
»Vernunftehe« gegen die Armen
Ein solch umfangreiches neoliberales Umbauprogramm, das den Kern des nordischen Wohlfahrtsstaat anzugreifen vermag, wäre mit keiner anderen der größeren Parteien möglich gewesen. So scheinen die rassistischen Ausfälle von PS-Politiker*innen Orpos Sammlungspartei nur insofern zu stören, als dass sie den finnischen Leumund in internationalen Medien zu beschädigen drohen. Die fortlaufende, kritischere Berichterstattung über rassistische Sprache in Foren, Sozialen Medien und Nachrichten wird von der rechtspopulistischen Partei ganz in Trumpscher Manier als »Hexenjagd« gewertet. Die linksliberalen Medien hätten sich gegen die neue Regierung verschworen, um sie zu stürzen. Im Fokus stand besonders eine junge Journalistin, die in einer der größten Boulevardzeitungen des Landes kritische Artikel über die rechtsradikalen Hintergründe von PS-Politiker*innen geschrieben hatte. In den Twittermob, der unter anderem Details aus ihrem Privatleben veröffentlichte, hatten sich auch vereinzelt Politiker*innen der Sammlungspartei eingereiht.
Der erste konkret vorgebrachte Gesetzentwurf der Regierung ist nun exakt an der Schnittstelle zwischen neoliberaler Kürzungspolitik und rassistischer Gängelung zu finden: Migrant*innen ohne Papiere soll die ärztliche Versorgung zukünftig massiv erschwert werden. Sechs Milliarden Euro werden mit dieser Maßnahme sicherlich nicht eingespart, wohl aber wird der PS das Einlösen eines Wahlversprechens ermöglicht.
Zu befürchten bleibt, dass der liberalere Teil der konservativen Sammlungspartei so lange die Attacken auf Medien und rassistischen Ausfälle des Koalitionspartners ignoriert, bis zentrale Aspekte des Regierungsprogramms umgesetzt sind. Die finnische Linke im Parlament und auf der Straße muss nun diesen doppelten Angriff abwehren: Einerseits das Verschieben von Sagbarem und den Angriff auf Journalist*innen und Wissenschaftler*innen abwehren, andererseits den Abriss des Wohlfahrtsstaates verhindern. Für Anfang September sind bereits Demonstrationen in einem halben Dutzend Städten angekündigt – es wird ein heißer Herbst im hohen Norden.