Der nächste Stresstest
Die Silicon Valley Bank ist pleite, die Credit Suisse verkauft, und die Finanzwelt fordert eine erneute Zinswende – doch die Probleme liegen viel tiefer
Von Andreas Kallert
Im März kehrte der Schrecken in das Finanz- und Bankensystem zurück: Mit der US-amerikanischen Silicon Valley Bank (SVB) wurde eine der zwanzig größten US-Banken nach einem kurzen Bankensturm geschlossen und von der US-Einlagensicherungsanstalt (FDIC) übernommen. Gemessen an der Bilanzsumme der SVB von über 200 Milliarden Dollar, stellt der Fall die größte Bankenpleite in den USA seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2007-2009 dar. Entsprechend nervös reagierten alle Beteiligten. Weltweit verloren die Aktien von Finanzinstituten drastisch an Wert.
Wenige Tage später folgte bereits die nächste US-Großbank: Die auf Krypto-Geschäfte spezialisierte Signature Bank wurde ebenfalls geschlossen und von der FDIC übernommen. Unisono versicherten die wichtigsten Notenbanken und Finanzministerien, dass die beiden Institute klar eingrenzbare Einzelfälle seien – selbst US-Präsident Biden trat vor die Presse und bekräftige die Stabilität des Bankensystems, was viele Beobachter*innen an die heiße Phase der Finanzkrise 2008 erinnerte. Die US-Notenbank FED sicherte alle Einlagen der Kund*innen beider Banken unabhängig von der Höhe zu – ohne diese Ausnahme wären Einlagen über 250.000 Dollar vor der Entwertung bedroht gewesen, was vor allem viele Start-ups im Silicon Valley betroffen hätte.
Von Beruhigung keine Spur
Doch von Beruhigung ist auf den internationalen Finanzmärkten auch vier Wochen später wenig zu sehen, ganz im Gegenteil: Die Schweizer Großbank Credit Suisse, eine der 30 sogenannten global systemrelevanten Banken, deren Konkurs unter allem Umständen vermieden werden muss, verlor in der folgenden Woche rapide das Vertrauen von Aktionär*innen und Anleger*innen. Nach einer ersten erfolglosen Notaktion mit einer von der Schweizerischen Nationalbank (SNB) zur Verfügung gestellten Liquiditätshilfe in Höhe von 50 Milliarden Franken, wurde noch an einem Sonntag vor dem internationalen Börsenstart der Verkauf der Credit Suisse bekanntgegeben. Mit der UBS kauft der größte Rivale die vor dem Kollaps stehende Credit Suisse für lediglich drei Milliarden Franken – nicht ohne großzügige staatliche Hilfe, denn SNB und Bund unterstützen die Rettungsaktion mit bis zu 200 Milliarden Franken an Liquiditätshilfen und Garantien.
Warum und vor allem wie die Fusion zweier Banken nun die Probleme der einen Bank beenden soll, ist unklar. Im Anschluss an die dramatische Rettung versicherten jedenfalls erneut zahlreiche Notenbanker, Politiker*innen und Ökonom*innen, dass das Bankensystem im Jahr 2023 viel stabiler sei als noch 2008. Kanzler Scholz (SPD) sagte zum Abschluss des EU-Gipfels in Brüssel, es habe sich gelohnt, dass man in den vergangenen Jahren so strikte Regeln erlassen habe. Die Banken verfügten deshalb heute über eine widerstandsfähige Kapitalausstattung.
Auch EZB-Präsidentin Christine Lagarde und Eurogruppen-Chef Paschal Donohoe bezeichneten das Bankensystem als robust und krisenfest. Doch die Zweifel bleiben, und so verlor etwa der Börsenkurs der Deutschen Bank seit Beginn der Krise in der Spitze rund 30 Prozent. Zudem steigen derzeit die Kreditausfallversicherungen für Anleihen der Deutschen Bank massiv an, was als ein weiterer Krisenindikator gilt. Dabei ist allen Beobachter*innen klar, dass die Deutsche Bank aufgrund ihrer Größe und internationalen Vernetzung unter keinen Umständen fallen darf.
Sobald Zweifel aufkommen, dass eine bestimmte Bank nicht mehr ausreichend zahlungsfähig ist, setzt der Bankensturm ein.
Doch warum kommt die Krise gerade jetzt? Eine wichtige Rolle spielt hier die Zinspolitik. Jahrelang waren die Zentralbankzinsen der wichtigsten Industriestaaten teils im negativen Bereich. Zusätzlich fluteten die Zentralbanken mit eigenen gigantischen Anleihe- und Aktienaufkaufprogrammen im Billionenbereich die Finanzmärkte. Das Ziel dieser Nullzinspolitik bestand darin, für Investitionen und Konsum ausreichend billige Kredite zu ermöglichen. Die Kehrseite war allerdings, dass das Anlegen von Geld, sei es von Sparer*innen oder institutionellen Investor*innen, über Jahre keine oder gar Negativzinsen brachte.
Dementsprechend sind bei allen Banken sehr hohe Summen von Anleihen (besonders Staatsanleihen) gebunden, die angesichts von Nullzinsen und Inflation nun deutlich an Wert verlieren. Oftmals sind die Laufzeiten solcher recht ausfallsicheren Anleihen zehn Jahre und mehr. Halten die Banken die Papiere über diesen Zeitraum, verlieren sie faktisch eine Menge Geld, weil sie nicht von den höheren Zinsen profitieren können. Verkaufen sie vorzeitig, verlieren sie ebenfalls Geld, weil die Kurse der Papiere deutlich gesunken sind: Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine und den Versorgungsengpässen ist die Inflation jedoch auf historische Werte gestiegen, sodass die Zentralbanken eine radikale Zinswende einläuteten und die Leitzinsen von Pfund, Dollar und Euro mittlerweile zwischen 3,5 und 5 Prozent liegen. Seit diesen Zinserhöhungen lohnt sich nunmehr das Investment in (Staats-)Anleihen wieder. Das bedeutet, dass die alten, niedrig verzinsten Anleihen im wichtigen Wertpapierhandel deutlich an Wert verloren haben.
Niemand möchte eine Anleihe kaufen, die kaum Zinsen einbringt, wenn Neuabschlüsse mittlerweile wieder drei Prozent und mehr einbringen. Wenn nun ein Finanzinstitut große Mengen an alten Staatsanleihen in ihren Büchern hält, muss es diesen Wertverlust – oftmals ein Drittel und mehr – jedoch nicht unmittelbar als Verlust bilanzieren, mit der Folge von schlummernden Risiken in den Büchern. Sobald jedoch Zweifel aufkommen, dass eine bestimmte Bank nicht mehr ausreichend zahlungsfähig ist, setzt der Bankensturm ein und die Anleger*innen ziehen ihre Einlagen ab. Um diese Nachfrage bedienen zu können, ist die Bank dann gezwungen, Wertvermögen wie Anleihen auch unter hohen Verlusten zu veräußern, was jedoch das notwendige Eigenkapital der Banken aufzehrt. Neues Kapital, aber auch generell Liquidität ist aber mittlerweile deutlich teurer. Deshalb drohen weitere solcher Kettenreaktionen, auch bei anderen Finanzinstituten.
Die »Systemrelevanz« ist wieder da
Allerdings ist auch Vorsicht bei dieser Art der Ursachenfindung geboten: Bereits während der Finanzkrise 2008 würde beständig das veränderte Zinsumfeld als Grund für den Ausfall der Immobilienkredite und schlussendlich für den Fall von Lehman Brothers, Hypo Real Estate & Co genannt. Damit rückte ein anderer Faktor in den Hintergrund: das äußerst risikoreiche Investmentverhalten der betroffenen Banken und ihrer oftmals sehr vermögenden Klientel. Wohl kaum hätte damals die Öffentlichkeit die Sozialisierung privater Verluste unter dem Passepartout der Systemrelevanz mitgetragen, wäre es in der Debatte um Finanzinstitute gegangen, die sich schlichtweg verzockt hatten.
Auch 2023 dominiert nun die Erzählung vom plötzlich geänderten Zinsumfeld, doch ist dies eben nur die halbe Wahrheit: Auch gegen Zinsveränderung wird sich in der Finanzbranche in aller Regel versichert, die SVB hatte dies aber aufgrund der höheren Gewinnmarge unterlassen. Die Signature Bank war im hochvolatilen Krypto-Markt unterwegs, und die Credit Suisse hatte bereits 2022 einen Verlust von über sieben Milliarden Franken verbuchen müssen. Zudem enthüllten die Suisse Secrets-Recherchen im Februar 2022 geheime Daten zu teils fragwürdigen bis kriminellen Kund*innen der Bank, in deren Folge hohe Mengen an Kapital abgezogen wurden.
Dennoch fließen erneut öffentliche Mittel zur Sicherung des Finanzsystems in Richtung privater Banken. Problematisch ist auch, dass die vielfach hervorgehobene bessere Finanzmarktregulation seit 2010 in den jetzigen Fällen ihre Grenzen erreicht hat. Das Aufweichen der Regelungen zur Systemrelevanz in den USA – unter Trump wurde die Schwelle für strengere Überprüfungen von systemrelevanten Banken von 50 Milliarden auf 250 Milliarden Dollar erhöht – hat zudem dazu beigetragen, dass mit der SVB und Signature Bank zwei Finanzinstitute fielen, deren Probleme sonst mittels Stresstests eventuell früher aufgefallen wären. Eine Vielzahl sogenannter Regionalbanken haben diese Größenordnung und auch diese haben im Moment mit starken Mittelabflüssen zu kämpfen – darunter die Frist Republic Bank, die trotz einer gemeinsamen Rettungsaktion aller großen Banken in den USA in Höhe von 30 Milliarden Dollar taumelt und deren Aktienkurs um über 90 Prozent eingebrochen ist.
Angesichts der Häufigkeit und Dimension der aktuellen Bankenkrisen muss befürchtet werden, dass den Staaten des kapitalistischen Nordens langsam aber sicher die Stabilisierungsmöglichkeiten ausgehen. Im Hinblick auf die hohe Inflation und die damit einhergehende gesellschaftspolitische Brisanz ist eine Umkehr zur Niedrigzinsphase nicht durchsetzbar. Kleinere Schritte bei den Zinserhöhungen sind das maximale Zugeständnis, das sich die Notenbanken in dieser Hinsicht leisten können. Zudem sind die Staatsverschuldungen aufgrund von vorherigen Bankenrettungen während der letzten Finanzkrise, in Folge von Corona und Energiekrise bereits stark gestiegen und engen den Spielraum für notwendige Investitionen in den Klimaschutz und in soziale Politik ein.
Ein weiteres Problem zeichnet sich bei den sogenannten Additional-Tier-1-Anleihen ab. Diese Wandel-Anleihen, im Finanzjargon CoCo-Bonds genannt, können unter bestimmten Umständen in Bank-Aktien und damit Eigenkapitel umgewandelt werden. Anleger*innen halten dann Aktien jener Bank, bei der sie die CoCo-Bonds gekauft haben. Diese Möglichkeit wurde im Nachgang der letzten Finanzkrise eingeführt, um die Krisenfestigkeit der Banken zu erhöhen. Allerdings wurden bei der Notrettung der Credit Suisse deren AT-1-Anleihen im Volumen von fast 16 Milliarden Franken im Handumdrehen für wertlos erklärt – ohne Rücksicht auf die eigentlich geltenden Regeln zur Umwandlung in Eigenkapital und vor allem ohne die Aktionär*innen der Credit Suisse auch an den Verlusten zu beteiligen. Dabei stehen Aktionär*innen als Eigentümer*innen in der Haftungskaskade eigentlich vor Kreditgeber*innen, müssen also Verluste als erstes tragen. Seitdem steht der gesamte AT-1-Anleihenmarkt unter enormen Druck und Anleihen in Eigenkapital umzuwandeln wird teurer, was die Krisenanfälligkeit weiterer Banken erhöht.
Bankenkrise oder Inflation
Zudem hat die US-Zentralbank FED im Zuge der Garantien auf alle Einlagen bei SVB und Signature Bank eine weitreichende Entscheidung getroffen, die jedoch nur wenig Aufmerksamkeit erregt hat: Im Zuge des »Bank Term Funding Program« können Banken nunmehr US-Staatsanleihen und hypothekenbesicherte Wertpapiere – letztere standen bereits im Zentrum der vergangenen Finanzkrise – zum Nennwert bei der Notenbank als Sicherheit für Kredite hinterlegen. Diese Abkehr von einem fundamentalen Prinzip der Finanzwelt – den tatsächlich realisierbaren Wert von Wertpapieren im Handel anzunehmen – unterstreicht die Dramatik der aktuellen Situation, nimmt die FED mit diesem neuen Programm auch vielfach minderwertige Wertpapiere der angeschlagenen Finanzinstitute in ihr Depot auf.
Am meisten betroffen sind allerdings die Menschen, die unter dem enormen Kaufkraftverlust im Zuge der hohen Inflation leiden. Deren Bekämpfung wird nun von der Bankenkrise unterminiert, denn die Zinsaufschläge, die die Inflation drosseln sollen, gelten in der öffentlichen Debatte als Auslöser der aktuellen Bankenkrise. Systemische Ursachen der Finanzkrise können somit leicht ausgeblendet werden.
Erneut droht außerdem, unter dem Deckmantel der Systemrelevanz (»too big to fail«), die Sozialisierung der privaten Verluste des Finanzkapitals. Die altbekannten Krisenlösungskonzepte, etwa mit der Übernahme der Credit Suisse durch die UBS noch größere Banken zu schaffen, trägt jedenfalls eher zur Verschärfung globaler systemischer Risiken bei.