»Da muss man richtig um die Ecke denken«
Trump fährt die US-Wirtschaft an die Wand, oder? Politologin Margit Mayer über die unterschiedlichen Kapitalfraktionen, die Trumps widersprüchliche Allianz bilden
Interview: Caspar Shaller

Wessen Interessen verfolgt eigentlich die scheinbar erratische und selbstzerstörerische Wirtschaftspolitik der Trump-Administration? Darüber, über den Wechsel des Silicon Valley an die Seite der Republikaner und aufkeimenden Widerstand in den USA spricht Margit Mayer, emeritierte Professorin für Politikwissenschaft am John F. Kennedy Institut für Amerikawissenschaften der Freien Universität Berlin, im Interview.
Trumps zweite Amtszeit ist bisher noch chaotischer als die erste. Und doch scheint er neue Unterstützer*innen gewonnen zu haben. Gerade die Tech-Oligarchen scharen sich um ihn. Hat sich die Allianz um Trump in den letzten Jahren neu aufgestellt?
Margit Mayer: Ja, es gab eine wichtige Veränderung. Als Trump 2016 angetreten ist, hat er von den meisten Kapitalgruppen keine Unterstützung bekommen. Nur die fossilen Industrien unterstützten wie immer die Republikaner. Die Wall Street, die Pharmariesen und was es sonst noch an Großkonzernen gibt, standen primär hinter den Demokraten. Vor allem das Silicon Valley stand wie ein Mann stramm hinter Biden und Kamala.
Warum gehörte Tech eigentlich so lange selbstverständlich ins demokratische Lager?
Erst jetzt fangen Journalist*innen und Wissenschaftler*innen an, sich die Entstehungsgeschichten des Silicon Valley genauer anzugucken, und stellen auf einmal fest, dass es ideologisch zwei Lager gab: neben den Hippies eben auch Libertäre wie Peter Thiel, der Paypal-Gründer, Elon Musk oder Sam Altman, die »tech-bros«. Bis dahin war die Meinung verbreitet, die seien alle Freidenker und irgendwie alternativ gewesen. Der »Rechtsschwenk« dieser Milliardäre kam nicht aus dem Nichts.
Neben dem Rechtsruck gibt es auch den »tech-lash«, das Zurückschlagen der Tech-Milliardäre gegen ungeliebte Regularien. Warum schwenkt Silicon Valley gerade so rapide um?
Biden hat in ihren Augen schlicht keine gute Politik gemacht. Er hat, unter dem Druck von Bernie Sanders und einer nach links gerückten Basis, einige Forderungen der Gewerkschaften und der Linken umgesetzt, vor allem in seiner Besetzungspolitik. Biden hat eher progressives Personal in verschiedene Regulierungsbehörden gesetzt, zum Beispiel Lina Khan in die Wettbewerbsbehörde FTC (Federal Trade Commission). Dort hat sie versucht, Monopole zu zerschlagen und die wachsende Macht der Tech-Konzerne einzuhegen. Dito Gary Gensler, Börsenaufsicht, der nicht nur Tech-, sondern vor allem Finanzkonzerne im Auge hatte. Es gab was weiß ich wie viele Ermittlungs- und Gerichtsverfahren, das hat dem Silicon Valley gar nicht gefallen, also hat es zu den Republikanern rübergemacht. Dass die verschiedenen Kapitalgruppen frei zwischen den beiden Parteien hin und her wechseln und ihre Spendengelder auf beide Parteien verteilen, zeigt, dass die Parteien eigentlich sehr ähnlich sind: Die Konzerne wissen, dass sie Einfluss haben werden, egal, welche Partei gewinnt.
Das ist schwer zu glauben, sie agieren doch sehr unterschiedlich.
Sie unterscheiden sich mehr in ideologischen und kulturellen Dimensionen, aber kaum in ihrer materiellen, ökonomischen Politik und schon gar nicht in der Außenpolitik. Beide bedienen die Banken. Den großen Vermögensverwaltern wie BlackRock ist es völlig egal, wer regiert. Die kaufen sich beide Parteien und kriegen, was sie bestellen. Auch die Wähler*innen scheinen nicht viel Unterschied zu erkennen. Bei den Wahlen alle vier Jahre oszillieren die Ergebnisse seit Jahrzehnten um kleine prozentuale Differenzen, da kann man kaum von Wahlergebnissen sprechen, die wirklich etwas über die politische Stimmung im Land aussagen. So, wie das Wahlsystem in den USA aufgebaut ist, kommt es darauf an, ob ein paar tausend Wähler*innen in battle ground states am Wahltag auftauchen oder ob sie zuhause bleiben, weil es gerade regnet oder so was. Das liegt auch daran, dass sich die Gründerväter dezidiert überlegt haben: Wie können wir sicherstellen, dass der Plebs niemals die Eliten aus der Macht schieben kann? Deswegen haben sie so ein ausgeklügeltes System entwickelt, in dem sich nicht nur die drei Gewalten wechselseitig in Schach halten, sondern vor allem vorgebeugt wird, dass die unteren Klassen Mehrheiten bilden können.

Foto: privat
Margit Mayer
ist emeritierte Professorin für Politikwissenschaft am John F. Kennedy Institut für Amerikawissenschaften der Freien Universität Berlin. Sie ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der PROKLA, in der sie kürzlich detaillierte Analysen der aktuellen Situation in den USA veröffentlicht hat.
In Trumps Lager gibt es aber eine Strömung, die von sich behauptet, sie repräsentiere die Arbeiter*innenklasse, Vizepräsident JD Vance oder Steve Bannon etwa.
Es gibt diese angeblich arbeiterfreundliche Strömung, aber sie ist keineswegs klassenkämpferisch. Die Fraktion um Vance ist altmodisch patriarchalisch, insofern sie eine klassische kinderreiche Familie will, eine Gesellschaft, in der es keine Abtreibungen gibt und nur zwei Geschlechter. Die sagen: »Die Frau gehört an den Herd. Der Mann ernährt die Familie und deswegen muss er einen ordentlichen Lohn nach Hause bringen.« Das aktuelle Lohnniveau setzt aber voraus, dass alle – Mann, Weib, vermehrt sogar Teenager und Kinder – Geld verdienen müssen. Es gibt auch einige Thinktanks, die diese Ideologie vertieft ausgearbeitet haben. Aber in Trumps Team spielt diese Denke eine relativ unterbelichtete Rolle. Das Großkapital ist natürlich überhaupt nicht daran interessiert; die finden, alle sollen zu Hungerlöhnen arbeiten, was brauchen wir gut funktionierendes Familienleben. Steve Bannons Fraktion schlägt sich noch etwas stärker auf die Seite der losing working class, das hat man auch im Streit um die H-1B-Visa gesehen.
Das sind spezielle Aufenthaltsgenehmigungen für hochqualifizierte Fachkräfte. Warum gab es darum Streit?
Es ging um die Frage, ob man Zuwanderung hochqualifizierter Fachkräfte, wie grade die Tech-Branche sie braucht, fördert, oder, wie die MAGA-Basis fordert, beschränkt. Daran hat man die tiefen Widersprüche innerhalb der Trump-Koalition gesehen. Es gab eine absolute Schlammschlacht in sozialen Medien. Elon Musk und Multimilliardär Vivek Ramaswamy erklärten, Amerika müsse unbedingt ausländische Arbeitskräfte ins Land holen, weil es in den USA einfach nicht genug Ingenieur*innen gebe. Ramaswamy hat sich nicht davor gescheut, die amerikanische Arbeiter*innenkultur durch den Dreck zu ziehen: Unter Schüler*innen sei keine*r daran interessiert, in der Mathe-Competition Beste*r zu werden, diese Kultur fördere eben Mittelmäßigkeit anstatt Exzellenz. Das ist nicht ganz falsch, das Bildungssystem ist eine absolute Katastrophe. Aber da war die MAGA-Basis schwer pikiert. Sie konterte mit Angriffen auf Musk, dem sie vorwarf, er mache sein Geld mit Ausbeutung und schlechten Arbeitsbedingungen bei Tesla. Das ist eben der Widerspruch in »Make America Great Again«. Trump hat schließlich interveniert und die H-1B-Visa beibehalten, aber ausgestanden ist dieser Grundkonflikt in seiner Koalition noch nicht.
Die scheinbar widersprüchliche Doppelstrategie der Trumpers besteht darin, dass sie den Dollar entwerten, aber gleichzeitig seine globale Dominanz sichern wollen.
Gerade sieht es so aus, als würde Trump die amerikanische Wirtschaft mit seiner Politik an die Wand fahren. In wessen Sinn kann das sein?
Die amerikanische Wirtschaft schiebt sowohl ein Handelsdefizit als auch eine immense Staatsverschuldung vor sich her. Sie »löst« das, indem der Staat immer weiter »easy money« in die Wirtschaft pumpt. Wenn diese gigantische Finanzblase mal platzt, wird’s schlimmer als die große Depression. Aber die Mehrheit der Ökonom*innen meint noch, das Problem werde ganz gut gelöst, weil die USA aufgrund der Dollarsuprematie Kapitalinfusionen von allen anderen Ländern erhalten. Der Dollar ist wegen der Hegemonie der USA Weltwährung und damit sehr stark, also lohnt es sich für das Kapital, auch das deutsche und europäische übrigens, seine Dollars zurück in die amerikanische Wirtschaft zu pumpen. Es gibt aber auch andere Stimmen, den maverick Ökonomen Michael Pettis etwa. Der sieht solche Zuflüsse keineswegs als positive Begleiterscheinung des amerikanischen Handelsdefizits, sondern als Grund allen Übels. Denn der hohe Wert des Dollars fördere die exzessive Finanzialisierung, die tendenziell die industrielle Basis der USA erodiert.
Das ist interessanterweise der Analyse von linken Ökonomen wie Yanis Varoufakis nicht unähnlich. Die scheinbar widersprüchliche Doppelstrategie der Trumpers besteht darin, dass sie – um die globale Wirtschaftsordnung in Amerikas langfristigem Interesse umzuformen – den Dollar entwerten, aber gleichzeitig seine globale Dominanz sichern wollen. Da muss man richtig um die Ecke denken. Eine Executive Order schon vom Februar, die »America First Investment Policy«, stellt das zentrale Währungsabkommen von 1984 auf den Prüfstand. Wenn der Dollar billiger wird, steigen die Exporte, gleichzeitig sinken die Kreditkosten, weil ausländisches Vermögen in langfristige US-Schuldentitel fließt. So versuchen sie, die Hegemonie der USA zu wahren und gleichzeitig die verarbeitende Industrie zurückzubringen.
Nach Trumps Zollankündigung stürzen die Aktienmärkte gerade ab, das Kapital scheint diesem Plan also nicht ganz zu trauen.
In dieser Logik gedacht muss man temporäre Disruptionen hinnehmen. Außerdem sind nicht alle Kapitalfraktionen gleichermaßen negativ betroffen. Und der Gewerkschaftsführer der UAW, Shawn Fain, hat sich – vermutlich, weil er eher kurzfristig und primär an die Löhne der Autoarbeiter*innen denkt – für die Einfuhrzölle ausgesprochen. Die Trumpers jedenfalls meinen, nur so kämen die USA in the long run wieder auf Platz eins.
Bisher gibt es im Vergleich zur ersten Amtszeit erstaunlich wenig Widerstand gegen Trumps Politik. Die Demokraten etwa scheinen komplett abwesend. Warum wehren sie sich nicht mehr?
Aus den gleichen Gründen, aus denen sie den Wahlkampf in den Sand gesetzt haben. Sie haben nur gesagt: Trump ist ein Faschist, deswegen werden wir gewinnen und brauchen nichts zu tun. Sie sehen in Trumps Regierung vor allem die Inkompetenz am Werk, und sagen: Wir lassen das jetzt einfach mal implodieren, und hinterher kriegen wir wieder Mehrheiten and the world will be hunky dory again. Zu meinen, die Herausforderung Trump sei schlicht dadurch zu entkräften, dass man ihn und seine Bewegung als faschistisch markiert, war auch in den Kommentarspalten der Mainstream-Medien verbreitet. Das ging bis zu Kommentaren in liberalen Zeitungen, die sich direkt an die ins Trump-Lager abzuwandern drohenden Oligarch*innen wandten und sie anflehten: »Ihr dürft nicht mit Trump zusammenarbeiten. Wisst ihr nicht, dass die deutschen Konzerne wie ThyssenKrupp noch heute darunter leiden, dass sie Hitler unterstützt haben?« Seit wann interessiert es das Kapital, Totalitarismus zu verhindern? Seit wann ist Kapital charitable oder moralisch?
Wenn die Linke ordentliche Analysen produziert hätte, dann hätte sie vor 20 Jahren angefangen, eine Politik zu entwickeln, die breite Koalitionen aufbaut und politisiert, anstatt sich hauptsächlich auf urbane Mittelschichtsgruppen und Identitätspolitik zu fixieren. In Gewerkschaften und in den Kämpfen dafür, gewerkschaftliche Organisation überhaupt zu erstreiten, sehe ich eher Akteur*innen, die nachhaltigen Widerstand gegen die antidemokratische, ja, diktatorische Politik Trumps entwickeln könnten. Die Regierung greift bereits die Gewerkschaften des öffentlichen Sektors massiv an und bestreitet auch in anderen Bereichen das Recht der gewerkschaftlichen Vertretung. Zunehmend sind ja alle, die nicht mit der Regierungsmeinung übereinstimmen, in großer Gefahr. Das Vorgehen gegen Pro-Palästina-Aktivismus und die absolut illegale Abschiebung von angeblichen venezolanischen Bandenmitgliedern in rechtsfreie Räume El Salvadors sind vermutlich nur der Anfang. Da die dagegen einschreitenden Richter*innen ignoriert und sogar diffamiert und selbst kriminalisiert werden, müsste gesellschaftlicher Widerstand von Gruppen kommen, die tatsächlich die Interessen der Mächtigen stören könnten.
Das klingt sehr düster. Gibt es doch etwas, was Ihnen Hoffnung macht?
Die erwähnten Abschiebungen und Ausweisungen haben jetzt immerhin die Proteste wachsen lassen. Und Bernie Sanders zieht mit seiner sogenannten Oligarchie-Tour riesige Menschenmassen an. In Denver kamen 35.000 Menschen zu seiner und Alexandria Ocasio-Cortez’ Rally, das sind mehr als bei Kamala Harris’ größter Wahlkampfveranstaltung. Hoffnung macht auch der Wahlsieg von Susan Crawford zum Supreme Court in Wisconsin – und eben nicht von Musks Wunschkandidat, trotz der Millionen Dollar, mit denen er meinte, dessen Wahl kaufen zu können.