Extremismus-Klausel light
Die sächsische Regierung kürzt die ohnehin knappen Gelder für Geflüchtetenberatung massiv – mit Schützenhilfe von rechts
Von Yaro Allisat
Während die Ampelregierung offensiv rassistische Asylrechtsverschärfungen wie das Abschiebegesetz und auf EU-Ebene das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) beschließt, werden im Stillen austeritätspolitische Fakten geschaffen. Der Haushaltsstreit Ende 2023 bedeutete massive Kürzungen in der Migrationspolitik. Unabhängige Asylverfahrensberatungen erhalten 2024 insgesamt 25 Millionen Euro anstatt den geplanten 40 Millionen. Die Migrationsberatungen für Erwachsene, die bei Behörden Wohnungssuche oder Sprachkursen unterstützen, mussten Kürzungen von 81,5 Millionen Euro in 2023 auf 77,5 Millionen hinnehmen, bei den Jugendmigrationsdiensten waren es knapp 40 Prozent weniger Geld. Eine drastische Kürzung von 17,5 auf 13 Millionen Euro mussten die psychosozialen Zentren hinnehmen, die für Geflüchtete den einzigen Zugang zu psychologischer Versorgung darstellen.
Bundesweit schlugen die Vereine Alarm. Schon vorher arbeiteten sie an den Grenzen ihrer Kapazitäten und konnten nicht genug Geflüchteten Unterstützung bieten. Schließungen von Beratungsstellen wurden angekündigt. Einhellig wird davor gewarnt, dass diese Kürzungen der Rechten massiven Auftrieb geben und den sozialen Zusammenhalt gefährden werden.
Verzögerte Förderzusagen
Auch die Bundesländer stellen Mittel zur Verfügung. In Sachsen werden die Fördertöpfe fast jedes Jahr vom Landtag aufgestockt, trotzdem steht weniger als die Hälfte des beantragten Geldes jährlich zur Verfügung, ein großer Teil ist bereits für mehrjährige Projekte reserviert. Für die Beratungsstellen und sozialen Zentren ist immer aufs Neue unklar, ob sie ihre Arbeit fortsetzen können.
»Eine Förderung ist in erster Linie als Anschubfinanzierung zu verstehen, aber sie kann nicht den Zweck einer dauerhaften Finanzierung von Projekten erfüllen. Aus diesem Grund ist es auch so wichtig, die Kommunen vor Ort mit einzubinden«, heißt es dazu aus dem Sozialministerium. »Die Kommune steht mit uns auf Kriegsfuß«, so Doritta Kolb-Unglaub vom Verein Colorido e.V. aus Plauen. Auch Linken-Landtagsabgeordnete Juliane Nagel bestätigt, dass viele Kommunen und Landkreise gar kein Interesse daran haben, Förderungen für integrative Projekte zur Verfügung zu stellen. Gesetzlich sind sie dazu nicht verpflichtet.
Dabei ist die Verletzung der Rechte von Geflüchteten Alltag, deshalb müssen sie ihre Rechte kennen und wahrnehmen können. Es geht um einen sicheren Aufenthalt, Sprach- und Integrationskurse, eine Arbeitserlaubnis und ungekürzte Sozialleistungen – ein innerhalb des Systems halbwegs eigenständiges Leben, das jedoch schon durch kleinste Fehler gefährdet werden kann: »Wenn bei der Antragsbearbeitung Fristen nicht eingehalten werden, kann dies den Aufenthalt oder den Job kosten oder die Gefahr einer Abschiebung deutlich erhöhen«, so Dave Schmidtke vom Sächsischen Flüchtlingsrat (SFR). Rund vierzig Prozent der negativen Asylentscheidungen werden durch Gerichte gekippt, allerdings nur, wenn die verkürzte Klagefrist von ein bis zwei Wochen eingehalten wird. Anwält*innen können den Bedarf nicht decken. Sprachliche und finanzielle Hürden sowie die psychische Belastung der Geflüchteten im Verfahren kommen hinzu.
Finanzierungslöcher zu Jahresanfang sind faktische Mittelkürzungen.
Anfang dieses Jahres verzögerten sich die Förderzusagen vom Land um bis zu dreieinhalb Monate, in denen die Vereine auf dem Trockenen saßen. Doritta vom Colorido e.V. berichtet, dass die Anfragen die Kapazitäten der örtlichen Beratung um das Dreifache übersteigen. Beim Help e.V. aus Aue fielen drei von vier Berater*innen weg. Der RAA Hoyerswerda berichtet, dass es gar keine unabhängige Beratung mehr vor Ort gibt. »Insbesondere kleinere Vereine müssen Räume kündigen und Arbeitsverträge auflösen, wenn die Zuwendungen erst nach vielen Monaten eintreffen«, heißt es vom Netzwerk Tolerantes Sachsen. Außerdem seien die Finanzierungslöcher zu Jahresanfang faktische Mittelkürzungen.
Als beim SFR die Förderzusage Mitte März eintraf, hatte eine Beraterin aus Chemnitz 350 verpasste Anrufe von Geflüchteten. Um nicht jedes Jahr wieder die Arbeit auf Eis legen zu müssen, fordert der SFR eine Regelförderung, die Projekte über mehrere Jahre bekommen, ohne immer wieder Anträge stellen zu müssen.
Politischer Angriff auf Geflüchtetenberatung
Der SFR hat vor allem geduldete Migrant*innen überall in Sachsen beraten und Beratungsstellen vernetzt und weitergebildet. Insgesamt verloren zwölf der fünfzig Mitarbeitenden Anfang des Jahres ihre Stellen. Grund für die Verzögerung war Kritik vonseiten des sächsischen Rechnungshofs. Der Fördertopf »Integrative Maßnahmen«, aus dem auch Projekte des Flüchtlingsrats weiter bezahlt werden sollten, musste neu vom Sächsischen Landtag beschlossen werden. Bis die Förderzusage kam, mussten sich einige der qualifizierten Mitarbeiter*innen andere Stellen suchen, wodurch enorm viel Expertise verloren ging. Ähnlich lief es sachsenweit bei einem Dutzend Vereinen.
Was der Rechnungshof, der auch in der Vergangenheit schon finanzpolitische Positionen der CDU vertrat, in seinem Bericht vor allem an der Arbeit des SPD-geführten Sozialministeriums bemängelte: Neben Unregelmäßigkeiten in einigen Förderunterlagen sei der »Grundsatz der staatlichen Neutralität nicht ausreichend geprüft« worden sowie eine nur »unzureichende Trennung zwischen politischen Aktivitäten, Lobbyarbeit und Projektarbeit«. Das heißt: Die Vereine sollen sich nicht politisch dafür einsetzen, dass die Missstände, die sie verwalten, eines Tages nicht mehr bestehen.
Was in den letzten Jahren an notwendigen sozialen Strukturen aufgebaut wurde, droht nun wieder einzubrechen. Denn Ende 2024, nach den Landtagswahlen, muss der Fördertopf erneut überarbeitet werden. Der SFR rechnet damit, dass einige Projekte ihre Förderzusagen deshalb erst Mitte 2025 bekommen – eine Finanzlücke von sechs Monaten.
Was in den letzten Jahren an notwendigen sozialen Strukturen aufgebaut wurde, droht nun wieder einzubrechen.
»Es muss insgesamt akzeptiert werden, dass Krisen und Kriege nicht ab-, sondern zunehmen«, so Dave vom SFR. »Daher lohnt es sich nicht, Mitarbeitende jährlich in Bergen von Bürokratie bei der Antragsstellung zu beschäftigen, sondern diese langfristig zu fördern, damit diese mehr Zeit für die Praxisarbeit haben und endlich für ihren Einsatz Wertschätzung erfahren.«
In die Neufassung der Förderbedingungen ist eine, wie Juliane Nagel es nennt, »Extremismusklausel light« gewandert, die politische Betätigung der Vereine von der Förderung ausschließt. Diese lassen sich davon nicht abschrecken: »Wir werden uns als Vereine und Initiativen auch weiterhin nicht davon abbringen lassen, Diskriminierungen und Verstöße gegen die Menschenwürde sowie die unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechte zu kritisieren«, so Doritta vom Colorido e.V.
In der Neuerung der Förderrichtlinie fiel außerdem die Förderung des nun insolventen Dachverbands der Migrant*innenorganisationen (DSM) weg. Zudem wurde im Sinne der »politischen Neutralität« die Sächsische Aufbaubank (SAB) von der Landesregierung allein mit den Förderentscheidungen beauftragt, ohne Einfluss des Sozialministeriums. Der SAB ist die Förderlogik sozialer Projekte komplett fremd: Das musste beispielsweise auch das queere Zentrum RosaLinde aus Leipzig feststellen, denen nach 30 Jahren einfach das Projekt für queere Bildung an Schulen ersatzlos gestrichen wurde.
Düstere Aussichten
Laut Juliane Nagel besteht die Möglichkeit, dass der Fördertopf »Integrative Maßnahmen« bis Ende 2025 verlängert wird. So würde zumindest kein kompletter Leerlauf für die Projekte entstehen. Die Sächsische Linke will noch vor den Landtagswahlen ein neues Integrationsgesetz beschließen lassen, in dem eine »Integrationspauschale« vom Land für die Kommunen von jährlich 25 Millionen Euro, Migrationsräte und -beauftragte und »kommunale Teilhabezentren« verpflichtend werden sowie der Fördertopf »Integrativen Maßnahmen« festgeschrieben wird. Das wäre zumindest eine minimale Absicherung für die Arbeit der Vereine, ob sie lange bestehen bleiben würde, ist jedoch fraglich.
Juliane Nagel glaubt nicht, dass Sachsens Regierung aus CDU, SPD und Grünen dem Linken-Vorschlag zustimmt, schon aus Prinzip. Der eigene Entwurf der Koalition legt Integration weder als Pflichtaufgabe fest, noch klärt er die Finanzierung. Die »Bauchschmerzen« von Grünen und SPD kann man sich bereits lebhaft vorstellen – besonders schlimm müssen sie gewesen sein, als die AfD zur Anhörung zum Gesetz Anfang Januar den CDU-Anwalt Ulrich Vosgerau einlud, der beim von der Rechercheplattform Correctiv aufgedeckten Treffen von Rechtsextremen im November 2023 in Potsdam dabei gewesen war.
Je weniger Geld zur Verfügung gestellt wird, desto mehr Arbeit muss ehrenamtlich getan werden, oder sie fällt komplett weg. Das geht auf Kosten der Geflüchteten, der Begegnungen und dem Austausch vor Ort und trägt so zur gefährlichen Spaltung der Gesellschaft und zur Zersetzung der Demokratie bei.