Expert*innenkommission zur Vergesellschaftung: Taktische Manöver
Von Constanze Kehler und Bana Mahmood
Vor den großen Entscheidungen des Lebens kann man nicht weglaufen. Das gilt auch für die Politik. Seit dem 26. September letzten Jahres liegt in Berlin das historische Ergebnis des Volksentscheides für die Vergesellschaftung von Wohnraum, für die eine Million Berliner*innen gestimmt haben, auf dem Tisch. Es wurde klar: Die sich zum damaligen Zeitpunkt noch zu konstituierende Berliner Landesregierung wird damit einen Umgang finden müssen.
Auf das geschäftige Treiben des Wahlkampfs der Kampagne, den Siegestaumel der Wahlnacht, folgte die nervöse Stille der Koalitionsverhandlungen. Monatelang war die Stadtgesellschaft im Gespräch über die Enteignung, aus den Verhandlungen wurden die Berliner*innen jedoch mit Berichten über Nebensächlichkeiten wie den gemeinsamen Genuss von Leberwurstbroten und Spargelsuppe abgespeist. Die Koalition hat sich schlussendlich nicht klar zur Umsetzung bekannt, der Volksentscheid drohte zur Verhandlungsmasse zu werden.
Dessen Schicksal liegt seither in den Händen des Senats: Einer SPD, die sich der strengen Disziplin der Bürgermeisterin Franziska Giffey ergibt, der Grünen, die sich in der Frage der Vergesellschaftung einen schlanken Fuß machen, und einer Linkspartei, die sich in internen Kämpfen verbeißt. Den großen Entscheidungen kann man nicht aus dem Weg gehen, man kann sie aber verschleppen. Zum Beispiel, indem man eine Expert*innenkommission einsetzt. Um den Eindruck zu erwecken, man kümmere sich, wurden ein paar Floskeln im Koalitionsvertrag platziert. Die Botschaft des Senats: Wir müssen das gründlich prüfen. Kein juristisches Debakel vor dem Bundesverfassungsgericht bitte, der Mietendeckel darf sich nicht wiederholen! Doch statt Expert*innen mit dem klaren Auftrag zu entsenden, ein wasserdichtes Gesetz zu erarbeiten, zeigte sich bei der Einsetzung der Kommission, dass die SPD nur Verfassungsjuristen in die Kommission schickt, die weiter auf Zeit spielen sollen. Sie vertreten etwa die bereits in der Stellungnahme des Senats zum Volksentscheid entschieden zurückgewiesene Auffassung, dass die Berliner Verfassung die Vergesellschaftung verunmögliche. Dass diese juristische Auffassung aus der Mottenkiste gekramt wird, zeigt, dass der SPD nichts zu grotesk ist, um die Immobilienwirtschaft nicht verärgern zu müssen. Während der Volksentscheid möglichst unter juristischen Fragen versanden soll, wird die Kooperation mit der Immobilienwirtschaft eifrig vorangetrieben. Freiwillige Selbstverpflichtungen und eine Bauoffensive sollen den sozialen Frieden in der Stadt kitten. Dabei fallen Wohnungen schneller aus der Sozialbindung, als sich neue bauen lassen, und ein rentabler Neubau ist mit dem ökologischen Verständnis der Grünen nicht vereinbar. Selbstverpflichtungen sind das Papier nicht wert, auf dem sie stehen – das wissen die Berliner*innen aus bitterer Erfahrung.
Die Taktik des Verschleppens hat indes einen Schwachpunkt: Nicht alle der Expert*innen der Kommission werden sich in parteipolitische Spielchen einbinden lassen. Denn Vergesellschaftung ist ein machbares Projekt und eine der spannendsten juristischen Fragen, nicht nur in der Hauptstadt. Der Druck auf dem Immobilienmarkt ist enorm, die toxische Profitlogik des Immobilienmarkts scheinbar unaufhaltsam. Mietenpolitische Instrumente hingegen sind ausgeschöpft: die Wirkkraft zu gering, die Schlupflöcher zu groß, der Baufilz der SPD in Berlin hat zu lange Tradition. Der Ernst der Lage ist einem Teil der Expert*innen der Kommission bewusst und sie werden sich weder von Giffeys Lächeln beeindrucken noch vom schiefen Haussegen in der Koalition ablenken lassen.
In einem Jahr wird die Kommission dem Senat ihre Empfehlung vorlegen. Vermutlich mit einem uneindeutigen Ergebnis, das der Senat interpretieren wird. Ob enteignet wird, ist und bleibt eine politische Frage. Es wird also erneut zu einem Dreikampf kommen. Dem können die Koalitionsparteien dann nicht mehr aus dem Weg gehen. Der Druck ist enorm: Die Basen aller drei Parteien haben die Initiative aktiv unterstützt und das Thema in ihre Gremien getragen. Es wird den Mut der Linkspartei und der Grünen brauchen, sich ihrer Koalitionspartnerin SPD entgegenzustellen. Bausenator Andreas Geisel kann sich weiter auf weichem Filz betten. Aber die Grünen und besonders die Linkspartei sind darauf angewiesen, ihre Glaubwürdigkeit nicht weiter zu beschädigen.
Die regierenden Parteien spielen auf Zeit, aber die kommenden zwölf Monate nach Einsetzung der Kommission sind nichts weiter als die Ruhe vor dem Sturm. Die Mutlosigkeit des Senats mag das Vertrauen der Berliner*innen in die Politik erschüttern, aber die klare Willensbekundung der Bevölkerung und das Selbstbewusstsein der Kampagne nicht. Heute in einem Jahr wird die Initiative wieder mit lila-gelben Fahnen vor dem Roten Rathaus stehen. Bis dahin wird der Senat sich entscheiden müssen: Steht er an der Seite der Berliner*innen oder an der Seite des Kapitals?