Es geht nicht um »USA gegen Iran«
Die Reaktionen auf den Tod von General Soleimani zeigen, wie tief gespalten die iranische Gesellschaft ist
Von Mina Khani
In der Nacht zum 3. Januar 2020 wurde Qasem Soleimani, der Kommandeur der Quds-Einheit der iranischen Revolutionsgarde (Sepah), bei einer Visite im Irak durch einen US-Drohnenangriff ermordet. Diese Nachricht hat nicht nur den Iran, sondern die ganze Welt überrascht. Weltweit haben viele Menschen direkt nach der Nachricht von Soleimanis Tod über einen möglichen Krieg zwischen den USA und dem Iran spekuliert. Die Reaktion vieler Iraner*innen im Netz war aber eine Mischung aus Freude, Nervosität und Angst.
Nach der Ermordung Soleimanis attackierte der Iran US-Basen auf irakischem Boden und schoss versehentlich ein ukrainisches Passagierflugzeug ab, kurz nachdem es vom internationalen Flughafen in Teheran gestartet war. Alle 176 Menschen an Bord des Flugzeugs kamen ums Leben. Der iranische Staat versuchte zunächst, den Absturz als Folge eines technischen Defekts an der Maschine darzustellen. Erst nach internationalem Druck durch die USA, Kanada und die Ukraine gab die Führung der Islamischen Republik den versehentlichen Abschuss zu. Seitdem sind im Iran wieder Tausende Menschen auf der Straße.
Soleimanis Rolle im Iran und in der Region
Als wichtigster Kommandeur der Revolutionsgarde war General Soleimani nicht nur für die Militärinterventionen im Irak und in Syrien und für die Verteidigung des syrischen Diktators Bashar al-Assad zuständig. Er ist auch verantwortlich für die gewaltsame Niederschlagung der jüngsten Proteste im Iran im vergangenen November.
Um die Rolle Soleimanis zu verstehen, hilft ein Blick auf die Geschichte der iranischen »Revolutionswächter«. Kurz nach der Gründung der Islamischen Republik im Iran auf direkten Befehl von Ajatollah Khomeini ins Leben gerufen, war die Aufgabe der Sepah nicht nur, die von Khomeini und seine Anhängern gekidnappte Revolution von 1979 zur »Islamischen Revolution« umzumodeln und in der Region zu exportieren, sondern auch, die Opposition im eigenen Land zu bekämpfen oder sogar physisch zu liquidieren.
Im November 2019 erlebte der Iran eine der landesweit größten Proteste seit der Gründung der Islamischen Republik. Auslöser war die Ankündigung der Regierung, die Benzinpreise zu verdreifachen. Unmittelbar nach dieser Ankündigung begannen die Proteste, rasch weiteten sie sich auf mehr als 100 Städte aus. Die Protestierenden riefen Parolen gegen die Verarmung der iranischen Bevölkerung wie auch gegen die Diktatur. Das Regime reagierte mit brutaler Gewalt. Für eine Woche verhängte es eine totale Internetblockade; im Schatten dieser Blockade ermordeten Sicherheitskräfte laut Amnesty International mehrere Hundert Menschen, einer Meldung von Reuters zufolge verloren bei der Niederschlagung der Proteste sogar 1.500 Menschen ihr Leben. Auch hierbei spielte die Revolutionsgarde eine wichtige Rolle. Sie verfügt über einen eigenen Geheimdienstapparat und Gefängnisse, hat mindestens 150.000 bewaffnete Mitglieder, zusätzlich unterstehen ihr die jederzeit mobilisierbaren Basij-Milizen, ein paramilitärischer Freiwilligenverband mit zusätzlich mehreren Hunderttausend Angehörigen.
Auch wenn es von außen so aussah, als sei es nach der Niederschlagung der Proteste ruhiger geworden, brodelt es weiter in der iranischen Gesellschaft. Die täglichen Nachrichten über neue Festnahmen und weitere Ermordete, die die riesige Dimension des staatlichen Verbrechens im November offenbaren, führten dazu, dass die Lage angespannt blieb. Familienangehörige der Ermordeten riefen für den 40. Tag nach dem Tod ihrer Angehörigen dazu auf, sich auf den Straße zu versammeln. Diesen Mobilisierungsversuch konnte der iranische Staat durch gezielte Festnahmen und die Militarisierung vieler Städten verhindern. Allerdings gelang es Student*innen am »Studententag« (7. Dezember), gegen die Repression und die neoliberale Politik im Land zu protestieren.
Auch als im Oktober 2019 im Nachbarland Irak Proteste begannen (ak 653), war die iranische Revolutionsgarde mit Soleimani als Kommandant vor Ort. Nach Angaben irakischer Aktivist*innen versuchten die proiranischen Milizen im Irak alles, um die Proteste zu unterdrücken und die Protestierenden zum Schweigen zu bringen. Mindestens 450 Iraker*innen verloren durch gewaltsame Attacken auf die Demonstrant*innen ihr Leben, Tausende wurden verletzt.
Direkt, nachdem Soleimanis Tod bekannt wurde, drohten Vertreter der Islamischen Republik mit Vergeltung und begannen, Vorbereitungen für einen Krieg zu treffen. Gleichzeitig bereitete die politische Führung eine riesige Trauerfeier für ihren »Helden« vor. Soleimani sei nun im Paradies, verkündeten die staatlichen Medien und meldeten weiter, die Regierung habe bereits 13 verschiedene Vergeltungsszenarien vorbereitet.
Bisher sind auf diese Drohungen wenige Taten gefolgt: Die iranische Regierung erklärte, sich nicht mehr an das – von den USA bereits im Mai letzten Jahres aufgekündigte – Atomabkommen von 2015 gebunden zu fühlen und wieder Uran anreichern zu wollen. Es gab riesige, straff durchorganisierte Trauerfeiern für Soleimani. Bei einer dieser Feiern in der Stadt Kerman kam es zu einer Massenpanik, bei der mehr als 50 Menschen ums Leben kamen. Auch beschoss der Iran US-Militärbasen auf irakischem Boden mit Raketen, wobei es jedoch keine Toten oder Verletzten gab. Schließlich kam es zum versehentlichen Abschuss des ukrainischen Passagierflugzeugs. Unter den getöteten Passagieren befanden sich viele iranische, aber auch ukrainische und kanadische Staatsbürger*innen.
Die progressiven Kräfte im Iran sind auf der Straße
Der iranische Staat hat mit aller Kraft versucht, die Trauerfeiern für Soleimani als Ausdruck für dessen Legitimität innerhalb der Bevölkerung darzustellen. Viele internationale Beobachter*innen, die die Verhältnisse im Iran nicht gut kennen, sind darauf hereingefallen. Der iranische Staat würde dagegen nie Demonstration gegen diese Trauerfeiern erlauben.
Qasem Soleimani polarisiert die iranische Gesellschaft. Auf einer Seite stehen jene, die aus nationalistischen, religiösen oder auch materiellen Gründen für ihn und den iranischen Staat sind. Auf der anderen Seite diejenigen, die ihn für die Niederschlagung der Proteste in und außerhalb des Iran oder für die militärischen Interventionen in Syrien, dem Irak und Jemen hassen.
Nachdem die grausame Wahrheit über den Flugzeugabsturz bekannt wurde, waren wieder viele Menschen im Iran auf der Straße. Während der Proteste wurden Bilder von Soleimani von den Mauern gerissen. Die Menschen, die jedes Mal ihr Leben riskieren, wenn sie sagen, dass sie den iranischen Staat satt haben, werden nicht im staatlichen Fernsehen als »das Volk« zelebriert. Stattdessen erwarten sie Schüsse oder Festnahmen.
Natürlich sind auch progressive Iraner*innen gegen eine militärische Intervention der USA. Sie haben es aber auch satt, mit dem iranischen Staat gleichgesetzt zu werden. Die iranische Regierung reagiert auf jeden Versuch der Veränderung mit harscher Repression. Für den progressiven Teil der Bevölkerung, die vielen Frauen, Arbeiter*innen, Kurd*innen, Umweltaktivist*innen, Student*innen, die sich aktiv für strukturelle Veränderungen im Iran einsetzen und deshalb Opfer der staatlichen Gewalt werden, ist es frustrierend, dass die progressiven Kräfte weltweit sie in Zeiten der Eskalation zwischen den USA und dem Iran oft aus den Augen verlieren und sich diese falsche Dualität beim Blick auf die politischen Verhältnisse im Land zu eigen machen.