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Don’t believe the Wasserstoff-Hype

Warum die erneuerbaren Energien für eine Wasserstoffwirtschaft nicht reichen und was das für den Kapitalismus bedeutet

Von Klaus Meier

Für einen Teil des ÖPNV könnte es langen, für viel mehr aber auch nicht. Foto: Marco Verch/Flickr, CC BY 2.0

Wenn man die Meldungen in den Medien verfolgt, dann scheint Wasserstoff als grüne Technologie kurz vor dem Durchbruch zu stehen. Anders klingt das beim renommierten Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung (PIK), das davon spricht, dass Wasserstoff, chemisch H2, noch lange knapp bleiben wird. Was ist nun richtig? Und wie wichtig ist Wasserstoff?

Tatsächlich wäre ohne dieses Gas eine Dekarbonisierung, die Reduzierung der klimaschädlichen Kohlendioxidemissionen, wichtiger Industrieprozesse kaum möglich. Das gilt etwa für die Stahlproduktion im Hochofenprozess, wo Wasserstoff den bisher verwendeten klimaschädlichen Koks ersetzen kann. Oder für die Chemieindustrie, die Wasserstoff unter anderem für die Herstellung von Kunststoffen und Dünger einsetzt. Des Weiteren gibt es verschiedene industrielle Hochtemperaturprozesse, bei denen erneuerbarer Wasserstoff bisherige fossile Brennstoffe ersetzen könnte. So beispielsweise beim Brennen von Zement, Kalk, Keramik oder auch bei der Herstellung von Buntmetallen wie Kupfer und Aluminium.

Wasserstoff sollte sicher auch für schwere Sattelschlepper eingesetzt werden, die extrem viel Energie fressen. Wollte man diese mit Batterien bereitstellen, bräuchten die Lkws dafür fast schon einen eigenen Anhänger. Daher gehen die meisten Expert*innen davon aus, dass für schwere Lkws Brennstoffzellen, die mit Wasserstoff versorgt werden, die passende Lösung sind. 

Doch das ist längst noch nicht alles. Auch für das klimaneutrale Fliegen und die Dekarbonisierung des Schiffsverkehrs wird Wasserstoff benötigt – nicht für den direkten Einsatz, sondern als Vorprodukt für die Herstellung von grünem Kerosin und klimaneutralen Schiffskraftstoffen. Und Wasserstoff ist auch für die Energielangzeitspeicherung gegen Dunkelflauten unerlässlich. Darunter versteht man die Zeit eines anhaltenden Hochdrucks in den Wintermonaten mit viel Nebel, bedecktem Himmel und wenig Wind. Dann liegt die Erzeugung erneuerbaren Stroms auf einem Minimum. Die Versorgung kann aber mit gespeichertem Wasserstoff gesichert werden, der dann in Kraftwerken wieder zu Strom umgewandelt wird.

Das große Problem allerdings: Bisher wird Wasserstoff fast ausschließlich aus Erdgas produziert, was sehr hohe CO2-Emissionen zur Folge hat. Alternativ ließe sich Wasserstoff in Elektrolyseanlagen aus Wasser mit erneuerbarem Strom herstellen. Das ist der grüne Wasserstoff, von dem derzeit so viel geredet wird. Bis dato ist dieser Anteil indes homöopathisch gering.

Energiefresser

Die Frage ist folglich, ob vom grünen Wasserstoff die erforderlichen Mengen zur Verfügung stehen können. Schließlich hat der Kapitalismus die Produktion zahlloser nützlicher und nutzloser Güter immer weiter erhöht. Um nur zwei Beispiele zu nennen: 1991 gab es in Deutschland 31 Millionen Pkws, im Jahr 2022 waren es bereits 48,5. Die energiefressende Kunststoffherstellung stieg von 1990 bis heute um den Faktor 2,3. Verfolgt man das Ziel, die gesamte Industrieproduktionen im heutigen Umfang aufrechtzuerhalten, bräuchte es allein für die Herstellung des dafür benötigten Wasserstoffs überschlägig rund 850 Terawattstunden (TWh) Strom extra. In dieser Zahl wären aber Kerosin und Schiffstreibstoffe noch nicht enthalten. 

Um das richtig einordnen zu können: Die Stromerzeugung in Deutschland lag in den letzten Jahren gerade mal bei rund 520 TWh. Davon stammte nur die Hälfte aus erneuerbaren Energien. Doch es geht nicht nur um Strom. Man muss den gesamten heutigen fossilen Energieverbrauch ersetzen. Eine Zahl, die das wiedergibt, ist der Endenergieverbrauch aller in Deutschland produzierten Güter und Dienstleistungen. Er liegt seit Jahren bei etwa 2.500 TWh. Fast alles aus fossilen Energien. Diese Menge muss man mindestens aus erneuerbarem Strom und Wasserstoff bereitstellen. Aber das Potenzial für erneuerbaren Strom in Deutschland liegt nach Angaben wissenschaftlicher Institute bestenfalls bei 1.000 TWh. 

Weltweit gibt es nur ein Schiff, das flüssigen Wasserstoff transportieren kann.

Gerne wird behauptet, erneuerbare Energien stünden unbegrenzt zur Verfügung. Das stimmt aber nur bedingt. Kohle, Öl und Gas haben sich durch Jahrmillionen dauernde geologische Prozesse in großen Lagerstätten konzentriert, auf die die Menschheit bisher leicht zugreifen konnte. Erneuerbare Energien müssen dagegen kleinteilig und mühsam mit hohem technischem und flächenmäßigem Aufwand gesammelt werden. Daraus Wasserstoff zu gewinnen, erhöht den Aufwand nochmals erheblich.

Tatsächlich hat Wasserstoff ein wesentliches Problem. Seine elektrolytische Herstellung aus Wasser ist mit hohen Energieumwandlungsverlusten verbunden. Hinzu kommen Verluste durch Transport und Verteilung, da er dafür unter hohem Druck zwischengespeichert werden muss. Auch der Einsatz von Wasserstoff in Brennstoffzellen für Lkws und seine direkte Verbrennung in Kraftwerken zur Stromerzeugung ist mit weiteren Energieverlusten verbunden. Das heißt, von der Energie, die man am Anfang in die Wasserstofferzeugung steckt, kann man am Ende des Prozesses nur einen kleinen Teil überhaupt nutzen. FDP-Chef Christian Lindner und andere haben öffentlich geäußert, dass sie mit Wasserstoff Autos betanken oder Häuser heizen wollen. Das sind unrealisierbare Fantasien. 

Keine Infrastruktur für Importe 

Bürgerliche Politiker*innen gehen heute davon aus, dass der für die Industrie benötigte Wasserstoff importiert werden kann. Der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck vereinbart genauso wie sein CDU-Vorgänger Peter Altmaier immer neue Wasserstoff-Kooperationsvereinbarungen, so mit den Regierungen der Golfstaaten, mit Marokko, Australien, Kanada oder Namibia. Vermutlich dürften diese Absichtserklärungen das Papier nicht wert sein, auf dem sie geschrieben stehen. Denn es fehlen alle wesentlichen infrastrukturellen Voraussetzungen für den Import von Wasserstoff. Das Problem: Die H2-Transporte aus abgelegenen Regionen sind aufgrund der deutlich geringeren Energiedichte des Gases im Vergleich zu Öl nur machbar, wenn Wasserstoff verflüssigt wird. Der Transport von flüssigem Wasserstoff (Liquefied H2, LH2) erfordert jedoch eine völlig andere Infrastruktur als der Transport von verflüssigtem Erdgas. Für LH2 sind Spezialkühlschiffe notwendig, denn die Temperatur der Flüssigkeit muss konstant bei minus 253 Grad gehalten werden. 

Und es gibt noch weitere Probleme: Trotz der Isolierung der LH2-Ladetanks, die den Wärmeeintrag von außen begrenzen soll, dringen immer wieder geringe Wärmemengen in die Tanks ein und führen zu einer leichten Verdampfung der H2-Gase. Dieses sogenannte Boil-off-Gas sammelt sich an und muss aus den Tanks abgelassen werden, damit der Tankdruck nicht über die zulässige Grenze ansteigt. Die dabei freigesetzten Gasmengen sind so groß, dass sie noch auf dem Schiff rückverflüssigt werden müssen. Dies ist jedoch eine komplexe Technologie, die wiederum mit Energieverlusten verbunden ist.

Gerne wird behauptet, erneuerbare Energien stünden unbegrenzt zur Verfügung. Das stimmt nur bedingt.

Angesichts dieser Schwierigkeiten verwundert es nicht, dass es bisher weltweit nur ein einziges Schiff gibt, das flüssigen Wasserstoff transportieren kann: den Tanker Suiso Frontier, der von Kawasaki Heavy Industries entwickelt und 2021 fertiggestellt wurde. Vom Volumen her ist es eine Nussschale. Zwar hat Kawasaki im Juli 2021 angekündigt, ein größeres LH2-Schiff bauen zu wollen. Die geplante Größe ist aber im Vergleich zu Öltankern immer noch klein, sodass für den LH2-Transport nach Deutschland mehrere Hundert Tanker benötigt würden. Es stellt sich die Frage, woher all diese Schiffe, von denen bisher noch kein einziges gebaut wurde, in der kurzen Zeit bis 2045, dem anvisierten Ziel der deutschen Klimaneutralität, kommen sollen. Und es geht ja nicht nur um Deutschland. Schließlich wollen auch andere Industrieländer wie Japan oder die gesamte EU H2 importieren. An dieser Stelle sollten erste Zweifel am rechtzeitigen Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur aufkommen. 

Alternativ ließe sich etwa der in Australien produzierte Wasserstoff chemisch in Ammoniak (NH3) umwandeln. Dieses Gas könnte dann mit Tankern nach Deutschland gebracht und hier wieder in Wasserstoff zurückverwandelt werden. Das sieht auf dem Papier gut aus, aber die Energieverluste für die chemische NH3-Herstellung und seine Rückumwandlung sind erheblich. Damit wäre nichts gewonnen. Gleiches gilt für das vorübergehende Andocken von Wasserstoff an chemische Trägerflüssigkeiten (LOHC – liquid organic hydrogen carriers). Auch hier treten hohe energetische Verluste auf. 

Ein industrieller Rückbau ist nötig

Das Fazit ist eindeutig: Es ist auf absehbare Zeit nicht möglich, große Mengen Wasserstoff aus sonnenreichen Regionen des Globalen Südens nach Deutschland oder in andere europäische Länder zu exportieren. Und auch hierzulande stehen nicht die erneuerbaren Energiemengen zur Verfügung, um alle heute laufenden Produktionsprozesse mit Wasserstoff klimaneutral fortzuführen. Das gilt zum Beispiel für die unbegrenzte Autoproduktion, das Fliegen, den Online-Handel oder die Wegwerfverpackungswirtschaft.

Die Konsequenz wird sein: Ein klimaneutrales Deutschland kann die Industrieproduktion einfach nicht mehr auf dem heutigen hohen Niveau fortführen. Dies ist ebenso wie die begrenzte Verfügbarkeit von Rohstoffen ein K.-o.-Kriterium für die Ökonomie des Kapitalismus. Die Gesetze dieser Ökonomie verlangen ein immer weiteres, grenzenloses Wachstum, weil die erzielten Profite auch immer neue Kapitalanlagesphären erfordern. Sind diese nicht vorhanden, kommt es unweigerlich zu einer Wirtschaftskrise mit schweren Erschütterungen. Das zeigt sich bereits, wenn es zu kleineren Dellen im Wirtschaftswachstum kommt. Das dürfte aber nichts sein im Vergleich zu den chaotischen Entwicklungen, die beim ökologisch notwendigen Schrumpfen der Produktion eintreten werden. Ganz abgesehen davon, dass sich die Kapitaleigner*innen mit Händen und Füßen gegen jeden Rückbau ihrer Wirtschaft wehren werden. Will man dann am ökologischen Umbau festhalten und nicht kapitulieren, wird man de facto zu Maßnahmen übergehen müssen, die zur Abschaffung des Kapitalismus führen, ob man das vorher wollte oder nicht.

Klaus Meier

ist Ingenieur und Hochschuldozent und engagiert im Netzwerk Ökosozialismus.