Anders einheizen
Die Bundesregierung scheitert an einer ökologisch-sozialen Wärmewende – was aber wäre zu tun?
Von Klaus Meier
Geheizt wird heute in Deutschland vor allem mit Gas und Öl. Die Folge: Rund 20 Prozent aller hiesigen Treibhausgas-Emissionen entstehen durch den Wärmeverbrauch der Gebäude, ungefähr so viel wie durch den Verkehrssektor. Viele fragen sich, wieso die Bundesregierungen in der Vergangenheit so alternativlos auf Öl und Gas setzen konnte. Die einfache Erklärung: Öl- und Gasimporte aus Russland waren unglaublich billig, die deutsche Wirtschaft hat davon beispiellos profitiert und konnte Konkurrenten ökonomisch ausstechen. Daher hatte die Merkel-Regierung keinerlei Interesse an einer ökologischen Wärmewende und bremste den Ausbau der erneuerbaren Energien aus. Mit dem Ukrainekrieg ist dieser Sonderfaktor über Nacht verschwunden. Der deutsche Kapitalismus muss sich nun auf andere energetische Perspektiven umorientieren. Ob das heutige politische Personal der bürgerlichen Parteien dafür die Kompetenz und die Weitsicht haben, darf aber angezweifelt werden.
Eine weitere Verschleppung der Wärmewende ist aus drei Gründen fatal: Erstens werden die Öl- und Gaspreise dauerhaft hoch bleiben, was insbesondere die Bevölkerungsschichten mit niedrigem Einkommen belastet. Zweitens lässt sich eine ökologische Infrastruktur für die Heizungs- und Warmwasserversorgung nicht so schnell aufbauen. Sie ist schwerer zu erreichen als die ebenfalls überfällige Verkehrs- oder Energiewende. Drittens erfordert eine ökologische Wärmewende den Einsatz hoher Finanzmittel, was durch den verbreiteten neoliberalen Schuldenbremsen-Unsinn verkompliziert wird.
Verarmung breiter Schichten durch hohe Gaspreise
Viele Stadtwerke haben im neuen Jahr ihre Gaspreise nahezu verdoppelt. Es sind vor allem die ärmeren Schichten der Bevölkerung, die dadurch in existenzielle Schwierigkeiten geraten. Auch die mageren Subventionsmaßnahmen der Bundesregierung, die den Gaspreis auf zwölf Cent pro Kilowattstunde deckeln, ändern daran wenig. Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen, dass alle gestiegenen Energiepreise zusammen zu nackter Not beim ärmeren Teil der Bevölkerung führen: Danach war in 2021 ein Drittel der deutschen Wohnbevölkerung nicht in der Lage, spontan Zusatzausgaben von 1.150 Euro und mehr zu stemmen. Viele Haushalte werden die gestiegenen Kosten erst merken, wenn Anfang 2023 die Rechnungen für die gestiegenen Gas- und Stromnachzahlungen ins Haus flattern. Die Frage ist, ob die Linke dies ausreichend ernst nimmt und ob sie eine überzeugende ökologisch-soziale Antwort formulieren kann, die die lohnabhängige Bevölkerung mitnimmt.
Bereits jetzt ist klar, dass die Bundesregierung angesichts der kombinierten Krisen aus Klima, Wärmewende und Verarmung versagt. So verfehlte der Gebäudesektor 2022 zum zweiten Mal in Folge die selbst gesteckten Klimaziele. Der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck gibt zwar vor, dass er klimapolitisch umsteuern will, aber in der Realität setzt er vor allem auf fossile Erdgaslieferungen. Bei der Wärmedämmung des Gebäudebestandes sieht es dagegen immer noch mau aus. Die Sanierungsrate dümpelt weiter bei nur einem Prozent. Die Bundesregierung fördert dies zwar mit Zuschüssen der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Aber es wird zu wenig Geld in die Hand genommen, zu sehr auf den Markt vertraut, und die Verteilung der Mittel erfolgt nach einem unsozialen Gießkannenprinzip.
Heizungen im Keller sind wie Privatautos, die 23 Stunden rumstehen.
Aber hat Habeck nicht erklärt, dass bis 2030 in die Wohnungen sechs Millionen Wärmepumpen eingebaut werden sollen? Um dieses Ziel zu erreichen, müssten aber jährlich eine halbe Million Wärmepumpen installiert werden. Zur Einordnung: 2022 waren es nur rund 200.000. Bei den Bestandswohnungen wurden vornehmlich Gasheizungen verbaut. Das Problem: Kurzfristig kalkuliert sind Gasheizungen preisgünstiger als die erneuerbaren Alternativen. Hier bedarf es offensichtlich auch ordnungspolitischer Maßnahmen, um eine Abkehr von Öl und Gas zu erzwingen.
Es gab zwar Anfang letzten Jahres einen Beschluss des Ampelkabinetts, dass ab 2024 neue Heizungen mindestens 65 Prozent »Erneuerbare Energien« einsetzen müssten. Das sollte sowohl für Neu- als auch Bestandsbauten gelten. Das wäre real das Ende der fossilen Heizungen. Aber es blieb bei diesem folgenlosen Beschluss. Eine Umsetzung per Gesetz ist bis heute nicht zu vermelden. Der Grund: Die Immobilien- und Bauwirtschaft läuft dagegen Sturm. Zudem müsste es angesichts der wirtschaftlichen Situation vieler kleiner Wohnungsbesitzer*innen und Mieter*innen eine umfassende finanzielle Abfederung durch Regierungssubventionen geben. Doch die Ampelregierung hält ihren Geldbeutel für groß angelegte ökologische Sanierungsmaßnahmen zugeschnürt, während die Bundeswehr über die kommenden Jahre mit vielen hundert Milliarden Euro hochgerüstet wird. Das ist eine schwere Hypothek für die Zukunft, denn viele der gerade neu installierten Öl- und Gasheizungen werden noch jahrelang laufen.
Wärmeversorgung neu denken
Welche Eckpfeiler sind nun für eine Wärmewende notwendig? Zunächst einmal muss man sich von der Vorstellung freimachen, dass eine Wärmewende die bisherige Art des Heizens einfach so fortsetzen kann. Es geht nicht darum, die bisherigen Öl- und Gasheizungen in den Kellern einfach durch neue Wärmepumpen zu ersetzen. Das würde im erforderlichen großen Maßstab nicht funktionieren. Dass heute rund 19 Millionen Ein- und Zweifamilienhäuser eine eigene Heizung im Keller stehen haben, ist an sich schon ein verschwenderischer Anachronismus. Er zielt nur darauf ab, dass so im Kapitalismus möglichst viele Geräte verkauft werden können. Das ähnelt dem privaten Auto als Lösung für die Mobilität, das enorme Ressourcen frisst und 23 Stunden pro Tag nutzlos rumsteht.
Wenn man die urbane Wärmenutzung auf eine Versorgung mit erneuerbaren Energien umstellen will, sind private Heizungen besonders unsinnig. Denn eine urbane Wärmewende braucht große saisonale Wärmespeicher, Tiefengeothermie oder industrielle Abwärmequellen. Diese Infrastruktur lässt sich aber nur gemeinschaftlich sinnvoll nutzen. Beispielsweise sind Wärmespeicher nur effizient, wenn sie eine bestimmte Größe überschreiten, sonst haben sie sehr hohe Wärmeverluste. Im eigenen Keller geht das jedenfalls nicht.
Was ist also zu tun? Orientieren kann man sich an der bisherigen Fernwärmeversorgung. Dabei gibt es keine Heizungskessel mehr im eigenen Haus, sondern die Wärme wird über Leitungen geliefert. Es ist übrigens kein Zufall, dass die ehemals nichtkapitalistischen Länder des Ostens und die in einer sozialdemokratischen Tradition stehenden Länder Skandinaviens vornehmlich auf Fernwärme gesetzt haben, während in den westlichen kapitalistischen Ländern jede*r eine eigene Heizungsanlage aufstellen musste. Für eine Wärmewende haben die bestehenden Fernwärmesysteme einen großen Vorteil: Es müssen nur die Fernwärmezentralen auf erneuerbare Wärme umgestellt werden, statt zahllose neue Heizungen zu installieren. So könnten mit einem Schlag Millionen Menschen auf erneuerbare Heizungsenergien umgestellt werden.
Allerdings bringen die klassischen Fernwärmenetze auch Probleme mit sich: Das Wasser hat Temperaturen von über 80 Grad, was die Integration von erneuerbaren Wärmequellen erschwert. Ökologische Nahwärmenetze arbeiten deswegen heute mit deutlich niedrigeren Temperaturen von 55-60 Grad oder sogar nur von 25-30 Grad. So können zahlreiche nichtfossile Niedertemperatur-Wärmequellen direkt genutzt und in die Netze eingeleitet werden. Das kann industrielle Abwärme, Wärme aus Erdsonden, Flusswasser oder Wärme aus saisonalen Speichern sein. Niedrige Netztemperaturen haben den Vorteil, dass beim Transport weniger Wärme verloren geht. So brauchen die Leitungen weniger Isolation und die Netze können kostengünstiger direkt in die urbanen Wohnquartiere integriert werden.
Die Frage stellt sich, wie man mit diesen eher kalten Netzen eine ausreichende Wärme in die Wohnungen bekommt. Hier kommen die Wärmepumpen ins Spiel. Sie sind den einzelnen Wohnungen und Häusern direkt vorgeschaltet und heben die niedrigen Netztemperaturen in der kalten Jahreszeit auf das gerade benötigte spezifische Heizniveau. Wärmepumpen sind dafür gut geeignet, denn sie können mit einer kleinen elektrischen Energiemenge eine drei- bis fünfmal so hohe Wärmemenge bereitstellen. Große Geräte sind zudem auch für die Wärmeversorgung von Mehrfamilienhäusern in urbanen Quartieren geeignet. Neue Forschungsarbeiten zeigen, dass die Hälfte der deutschen Gebäude sich auch ohne größere Sanierungsmaßnahmen für den Einsatz von Wärmepumpen eignet.
Wärme aus der Tiefe holen
Mit der Nutzung der Tiefengeothermie ließe sich in Deutschland ein zusätzliches großes Potenzial für die Wärmeversorgung erschließen. So existieren in vielen Regionen hydrothermale Quellen in 3.000 bis 4.000 Metern Tiefe. Sie lassen sich mit Tiefenbohrungen erschließen. Kochend heißes Wasser wird hochgepumpt, die Wärme entnommen und das Wasser wird dann an anderer Stelle wieder in die Tiefe injiziert.
Deutschlandweit wird die Tiefengeothermie heute allerdings nur in rund 40 lokalen Anlagen genutzt. Es sind Einzelfälle, obwohl die Kosten für die Tiefenwärme, z.B. in Bayern, bei sehr preisgünstigen sechs Cent pro Kilowattstunde liegen. Stattdessen setzte die Politik fast überall auf das billige Erdgas aus Russland. Dabei ist das tiefengeothermische Potenzial laut einer Studie, die Anfang 2022 von sechs Forschungsinstituten verfasst wurde, erheblich. Knapp die Hälfte des deutschen Raumwärmebedarfs ließe sich mit hydrothermaler Tiefengeothermie decken, also mit heißem Tiefenwasser. Noch einmal deutlich mehr ließe sich mit der trockenen petrothermalen Tiefengeothermie gewinnen, bei der Wasser allerdings erst in die Tiefe injiziert werden müsste.
Die Regierung setzt auf marktkonforme Kleinstmaßnahmen, wo eigentlich mit dem großen Hammer gearbeitet werden müsste.
Halten wir fest: Auch die heutige Ampelregierung missachtet den Ernst der klimapolitischen Lage und setzt auf marktkonforme Kleinstmaßnahmen, wo eigentlich mit dem großen Hammer gearbeitet werden müsste. Das Wuppertal-Institut hat in einer aktuellen Studie berechnet, dass sich die Wärmewende bis 2035 komplett umsetzen ließe. Dafür müsste der Staat aber pro Jahr zusätzlich 50 Milliarden Euro bereitstellen. Das wäre die Größe des deutschen Rüstungshaushaltes.
Zur Umsetzung bräuchten wir Notmaßnahmen, wie sie in einer Kriegswirtschaft üblich sind: So setzte der US-amerikanische Präsident Roosevelt 1941 eine Behörde zur Umstellung der US-Produktion auf Rüstungsgüter ein, das sogenannte War Production Board. Diese Behörde legte für die großen Konzerne eine Konversionsverordnung als Zwangsmaßnahme fest. Darin wurde festgelegt, dass die Autounternehmen und andere Konzerne ihre gesamte Produktion in kürzester Zeit auf Kriegsgeräte umstellen mussten: auf Panzer, Kanonen, Flugzeuge und Schiffe. Das passierte dann auch.
Die Lehre, die wir heute daraus ziehen können, lautet: Die Produktion einer ganzen Volkswirtschaft kann in wenigen Jahren umgestellt werden – wenn denn die Regierung es will. Nötig wäre heute ein Ecological Production Board, das ein Programm für den ökologischen Umbau festlegt. So könnte ein Ausstieg aus dem anachronistische Autoindividualverkehr und eine Wärmewende gelingen. In den großen Autofabriken könnten dann statt ökologisch schädlicher Pkws neben Bussen und Bahnen auch Systeme für die Wärmewende in großen Stückzahlen und kostengünstig in Serienproduktion hergestellt werden: Wärmepumpen, Erdwärmesonden und Erdwärmebohrgeräte. Und die Bauindustrie müsste auf thermische Sanierungen der Bestandsbauten, Wärmenetze und saisonale Wärmespeicher statt auf Luxuswohnungen verpflichtet werden.
Der Autor diskutiert am 9. Februar, 19 Uhr auf der Veranstaltung des Netzwerks Ökosozialismus zum Thema »Ökologisch-soziale Wärmewende statt Heizen mit Öl und Gas – Wie es gehen kann«. (Zoom-Einwahlink: tinyurl.com/vst43pc)