Ein letzter Anlauf für die SPD
Von Ines Schwerdtner
Sie setzt noch einmal zur Erneuerung an, vermutlich ein letztes Mal. Die deutsche Sozialdemokratie – von einigen totgesagt, von anderen trotz allem hoffnungsvoll zurückgewünscht – muss mit der neoliberalen Politik der letzten Jahrzehnte brechen, um auch nur die Chance zur Erneuerung zu haben. Das neu gewählte Vorsitzendenduo Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans (gemeinsam »Eskabo«) wäre zumindest ein Schritt in diese Richtung – wären da nicht die vielen Gegner*innen von außen, innen und dazu eigene Beschränkungen.
Zunächst war auffällig, wie die deutsche Presse sich auf das Überraschungsduo stürzte. Man hatte landläufig den Sieg des Teams von Olaf Scholz und Klara Geywitz erwartet und sich entsprechend nicht richtig auf den Gegenfall eingestellt. Von einem »Linksrutsch« und gar »Sozialismus« war da schon die Rede, obwohl die beiden lediglich ankündigten, in der Großen Koalition bei Klimapaket, Mindestlohn und den Investitionen nachverhandeln zu wollen.
Zugleich äußerten sich auch die Koalitionspartner, da nun mit zwei »Neulingen« die Regierungsfähigkeit und überhaupt der staatstragende Charakter der SPD gefährdet seien (als ob gerade das je infrage stand). Dass Walter-Borjans von 2010 bis 2017 Finanzminister in Nordrhein-Westfalen war und daher ausreichend Erfahrung und ein Anrecht darauf hätte, Scholz auch in diesem Posten zu beerben, kam dabei selten zur Sprache. Die CDU kündigte ihrerseits an, den Kompromiss in der Grundrente wieder infrage zu stellen, sollte die SPD nun aus der Koalition aussteigen wollen. Es drohen diverse Runden der Erpressung – die daraufhin deuten, dass dieser Regierung mittlerweile nicht nur die Unterstützung der breiten Bevölkerung fehlt, sondern dass sie ohne loyale Minister wie Scholz an der SPD-Spitze auch noch stärker unter Spannung gerät.
Der größte Druck auf die beiden Neuen kommt allerdings aus der SPD selbst – vor allem vom Seeheimer Kreis und den Spitzen aus der Fraktion. Obwohl Saskia Esken sich im Parlament mit der Digitalen Agenda profilieren konnte, wird ihr hier der stärkste Gegenwind drohen; schon während des parteiinternen Wahlkampfes waren mediale Spitzen und Drohungen zu vernehmen. Die beiden werden es gegen diejenigen, die seit Helmut Schmidt im Prinzip keinen internen Machtkampf mehr verloren haben, sehr schwer haben.
Nun könnte man meinen, Jeremy Corbyn war vor einigen Jahren bei der britischen Labour-Partei in der gleichen Lage. Doch ihn unterstützte eine kraftvolle Gruppe mit Plan: Momentum. Ihnen war zum Zeitpunkt des Sieges im Kampf um den Parteivorsitz klar, dass der eigentliche Kampf gerade erst begonnen hatte. In der Parteizentrale hatte man alle Personen austauschen und sich eine Machtbasis aufbauen, das Programm und die Kampagnen radikal ändern müssen. In der SPD allerdings herrscht eine Politik der Befriedung, sodass mit einem radikalen Bruch nicht gerechnet werden kann. Es könnte sogar so sein, dass die kleinen Reparaturen die neuen Begeisterten enttäuschen und es auch nicht gelingt, die alte Machtbasis zu brechen. Im schlimmsten Fall scheitert Eskabo schnell, und ein Backlash droht.
Im besseren Fall setzen sich die beiden insofern durch, als dass sie tatsächlich nachverhandeln in der GroKo und sich die nach wie vor ungebrochene Sehnsucht nach sozialdemokratischer Politik zumindest ein wenig verwirklicht. Zeitgleich müssten Eskabo parteiintern die eigene Machtbasis über die Jusos und einzelne Landesverbände hinaus erweitern und an einem Programm arbeiten, das sich von der Agenda-Politik deutlich unterscheidet und nicht bloß nachbessert. Dazu gehört eine emotionale Tragweite, die bisher in eher technischen Debatten um Sanktionen und Steuern unterging: Wird es ihnen gelingen, einen neuen sozialdemokratischen Konsens zu etablieren?
Davon hängt einiges ab. Werden sie es nicht schaffen, wird es wohl der letzte Anlauf gewesen sein. Unendlich lassen sich auch die hoffnungsvollsten Seelen nicht mobilisieren. Und solange die Linke nicht vom Abstieg der SPD profitiert, sind wir sozialpolitisch in einer Sackgasse, aus der heraus der Weg ohne die Sozialdemokratie (noch) schwer absehbar ist.