Droht Facebook und Google die Zerschlagung?
Marktmacht und Konkurrenz im digital-monopolistischen Kapitalismus
Von Ingo Schmidt
Seit Dezember letzten Jahres laufen neue Verfahren gegen Facebook und Google. Eine Gruppe von US-Staaten, 17 demokratisch, 14 republikanisch regiert, und die Federal Trade Commission, die dem Justizministerium in Washington untersteht und für den Verbraucherschutz zuständig ist, werfen den Digitalkonzernen vor, der Konkurrenz den Zugang zu den von ihnen beherrschten Märkten behindert zu haben. Facebook wird weiterhin vorgeworfen, die Privatsphäre seiner Nutzer*innen missachtet zu haben. Es ist das erste Mal, dass dieser Anklagepunkt in Kartellverfahren erhoben wird. Ebenfalls im Dezember reichte Facebook eine private Klage gegen Apple ein. Dessen App-Store diskriminiere viele, insbesondere kleinere Content-Anbieter.
Digitalkonzerne standen schon mehrfach wegen des Missbrauchs ihrer Marktmacht unter Anklage. Nach zehnjährigen Ermittlungen verurteilte die EU-Kommission Google 2017 zu einer Strafe von 2,4 Milliarden Euro und der Aufgabe wettbewerbsbehindernder Geschäftspraktiken. Spezielle Auflagen zur Gewährleistung von gleichen Wettbewerbsbedingungen und ungehindertem Marktzugang enthielt das Urteil nicht. Microsoft sollte nach einem Urteil der US-Kartellbehörden 1998 zerschlagen werden. Der Konzern hatte seine Dominanz bei Betriebssystemen und sein Quasimonopol bei der Textverarbeitung genutzt, um Hardwareanbieter zur Installation seines Webbrowsers Internet Explorer zu zwingen. In einem Revisionsverfahren wurde das Zerschlagungsurteil aufgehoben. Zur Zeit der Verfahren gegen Microsoft wurden knapp 50 Prozent aller weltweiten Suchanfragen über den Internet Explorer gestellt. Der Browser Netscape Navigator brachte es auf gut 40 Prozent, liegt heute aber nur noch im Null-Komma-Bereich. Den Browsermarkt beherrscht heute mit großem Abstand Google. Microsoft dominiert aber weiterhin die Märkte für Betriebssysteme und Büro-Anwendungen und war 2020 gemessen am Börsenwert das zweitgrößte Unternehmen der Welt – vor Apple, Platz drei, Google bzw. dessen Muttergesellschaft Alphabet und Facebook auf den Plätzen fünf und sechs.
Anders lief die Sache im Falle von Amerikas einstigem Telefonmonopolisten AT&T. Ein zehnjähriges Verfahren, in dessen Verlauf der Konzern bereits verschiedene Sparten verkaufen musste, endete 1984 mit der Gründung regionaler Telefonanbieter, die zudem mit anderen Firmen konkurrieren mussten. Trotz zunächst dramatischer Umsatzeinbrüche ist AT&T wieder auf die Beine gekommen. Nicht zuletzt durch die Übernahme einstmals ausgegliederter Regionalgesellschaften, aber auch des Medienriesens Time Warner kam der Konzern letztes Jahr immerhin auf Platz 26 der Weltgrößten-Liste.
Garagenunternehmen und Netzwerkträume
Die Zerschlagung von AT&T fiel in eine Zeit, in der viel von Konkurrenz, Unternehmerinitiative und schöpferischer Zerstörung die Rede war. Die Wiederbelebung marktwirtschaftlicher Prinzipien sollte die Stagnation überwinden, die angeblich eine unheilige Allianz aus Big Government, Big Labor und Big Business ausgelöst hatte. Dazu passte die Zerschlagung von AT&T. Weniger ins Bild passte die Tatsache, dass es sich um einen Ausnahmefall handelte. Der allgemeine Trend ging nämlich in Richtung immer zahnloserer Kartellverfahren. Dies gilt auch für die Unternehmen der digitalen Informations- und Kommunikationstechnologie, deren Märkte aus den Ruinen des von AT&T monopolisierten Fernmeldewesens entstanden sind. Dabei spielt der Übergang von analogen Festnetzen zu digitalen Mobiltelefonen noch die geringste Rolle. Viel wichtiger ist der Aufbau digitaler Datennetze, ohne die Facebook, Google, aber auch Amazon, Netflix und viele andere nicht operieren könnten. Dem Aufbau dieser Netzwerke stand AT&T aus Sicht der amerikanischen Eliten nicht wegen des Besitzes und Betriebs analoger Technologien im Wege. IBM hat den Übergang vom analogen bzw. mechanischen Zeitalter in die digitale Neuzeit schließlich auch bewältigt. Als störend galt vielmehr die Tatsache, dass AT&T, im Gegensatz zu IBM, ein gewerkschaftlich organisierter Betrieb war. Auf dem Weg zur digitalen Netzwerk-ökonomie galten Gewerkschaften als Altlast.
Von der Informationstechnologie auf die Ökonomie übertragen, verwandelte sich der Begriff Netzwerk von einem Wort, das Datenflüsse zwischen Computernutzer*innen beschreibt, in den Mythos flacher Hierarchien, so der einstmals populäre Managementslogan, bis hin zu einer flachen Welt, in der die Macht vertikal integrierter Konzerne durch das spontane Interagieren gleichberechtigter Individuen abgelöst werde. In den Medien, die selbst weitgehend von einer Handvoll Konzerne kontrolliert werden, wurde dieser Mythos gepflegt. Die Gründer von Microsoft und Apple, Bill Gates und Steve Jobs, galten als Pioniere des digitalen Zeitalters. Gerne wurde dabei verschwiegen oder übersehen, dass die Garagenunternehmer an Technologien andockten, die im militärisch-industriellen Komplex entwickelt wurden.
Dies gilt auch für die fortdauernde Abhängigkeit digitaler Informations- und Kommunikationstechnologien von staatlich finanzierter Hardware. Staatsknete, nicht das Doppelpack aus Wagniskapitalfirmen und Garagenunternehmen, das die Medien so sehr faszinierte, brachte die zum Betrieb des Internet erforderlichen Satelliten auf ihre Umlaufbahnen. Nachdem sich die erste Generation digitaler Konzerne – nicht zuletzt dank großzügiger staatlicher Unterstützung – etabliert hatte, wurden die Pioniere der zweiten Generation, Jeff Bezos (Amazon) und Marc Zuckerberg (Facebook), schon zu Beginn ihrer Unternehmerkarrieren mit einer gewissen Skepsis beäugt. Der Traum von der Netzwerkökonomie, in der sich jeder und jede nach seinen bzw. ihren eigenen Vorstellungen verwirklichen könne, war im Jahr 2000 zusammen mit der Dotcom-Blase geplatzt.
Auf dem Weg zur digitalen Netzwerkökonomie galten Gewerkschaften als Altlast.
Seither wurde immer deutlicher, dass der digitalisierte Kapitalismus in vielerlei Hinsicht einer Zeit ähnelt, die Mark Twain als »vergoldetes Zeitalter« bezeichnet hat. Der Zeit, als nicht Gates, Jobs, Bezos und Zuckerberg die Verbindung von Unternehmertum, Reichtum und Macht repräsentierten, sondern die Großindustriellen John Rockefeller, Andrew Carnegie, Cornelius Vanderbilt und J. P. Morgan. Deren demonstrative Verschwendung stand in krassem Gegensatz zu den Abstiegsängsten der Mittelklasse und der Armut der Arbeiterklasse. Die Ausbeutung der einen schuf die Konzerne, mit denen die anderen niederkonkurriert wurden. Dieser Monopolkapitalismus 1.0 führte zu zahlreichen, oft extrem gewalttätigen Arbeiterkämpfen und einer populistischen Revolte von Farmer*innen, Handwerker*innen und Kleinhändler*innen. Letztere konnten wieder in das demokratisch-republikanische Zweiparteiensystem integriert werden – nicht zuletzt durch die Verabschiedung der Anti-Trust Gesetze ab 1890, die bis in die heutige Zeit den grundlegenden Rahmen für Kartellverfahren in den USA abstecken.
Produktivkräfte im digitalen Kapitalismus
Ende des 19. Jahrhunderts halfen diese Gesetze, das Vertrauen der Mittelklasse in freie Märkte wiederherzustellen. Damit wirkten sie einer »Volksfront« aus verelendeter Arbeiterklasse und vom Ruin bedrohter oder bereits ruinierter Mittelklasse entgegen. Die Populist Party blieb eine kurzlebige Episode; der Socialist Party gelang der Durchbruch zur Massenpartei nicht. Weltkriege, Depression und neue Wellen militanter Arbeiterkämpfe stellten jedoch das Vertrauen in die Selbstheilungskräfte des Marktes bald wieder in Frage. Mit Kooperation von Unternehmen, Gewerkschaften und Staat entstand ein Monopolkapitalismus 2.0, der in Sachen sozialer und systemischer Integration deutlich erfolgreicher war als sein Vorgängermodell, in den 1970er Jahren aber seinerseits zu Wirtschafts- und Legitimationskrisen führte. Daraufhin entstand der Marktkapitalismus 3.0 mit seinem Marktglauben auf neuer technologischer Basis.
Einkommen und Vermögen sind inzwischen wieder ebenso ungleich verteilt wie zu Zeiten des Monopolkapitalismus 1.0. Die Produktivkräfte in den jeweiligen Leitsektoren, die auch die Entwicklung anderer Sektoren beeinflussen, funktionieren dagegen in ganz unterschiedlicher Weise. Die für den Monopolkapitalismus prägenden Grundstoff- und verarbeitenden Industrien unterlagen dem Gesetz der Massenproduktion: Je mehr ein Unternehmen produzieren kann, desto geringer sind Stückkosten und Preise. Die Produktionskapazität eines Unternehmens wurde zum Wettbewerbsfaktor. Konzentration und Zentralisation des Kapitals folgen dem Gesetz der Massenproduktion. Die Anti-Trust-Gesetzgebung hat diesen Trend nie infrage gestellt. Klein- und Mittelbetriebe überlebten entweder in Nischenmärkten, die den Konzernen schlicht zu klein waren, oder sie überlebten auch im Umfeld der von den Konzernen beherrschten Märkte. Dies gilt für zahllose Reparaturbetriebe ebenso wie für innovative Betriebe, die bestehende Technologien aufgreifen, weiterentwickeln und schließlich ganz neue Anwendungsmöglichkeiten schaffen. Ein Promille dieser Betriebe wird selbst zum Konzern, siehe Microsoft, Apple, Facebook, Google und Amazon.
Nicht die Produktionskapazität, sondern die Zahl der Nutzer*innen ist bei den Digitalkonzernen ausschlaggebend. Die reinen Plattformunternehmen müssen die fixen, von der Zahl der User*innen unabhängigen Kosten der Softwareentwicklung und -bereitstellung aufbringen. Gibt es genug Nutzer*innen, um diese Kosten zu decken, stellt der durch jede*n weitere*n User*in erbrachte Umsatz reinen Gewinn dar, weil so gut wie keine variablen Kosten anfallen. Der Umsatz steigt mit der Zahl der Nutzer*innen in Form höherer Werbeeinnahmen. Die dominanten Konzerne des Monopolkapitalismus 1.0 und 2.0 waren direkt von zahlender Kundschaft abhängig. Die heutigen Digitalkonzerne verkaufen nur wenige Dienstleistungen gegen direkte Zahlung; nahezu ihr gesamter Umsatz stammt vielmehr aus den Marketingbudgets anderer Konzerne. Damit ist ein digital-industrieller Komplex entstanden, in dem der industrielle Part auf die Werbeplattformen angewiesen ist, die von den Digitalkonzernen angeboten werden. Diese sind umgekehrt vom Umsatz der industriellen Konzerne bzw. dem allgemeinen Stand der Konjunktur abhängig. Kommt es dort zu Rückschlägen, werden auch die Werbebudgets gekürzt. Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass Anti-Trust-Gesetze und darauf beruhende Kartellverfahren die neueste Version des Monopolkapitalismus ins Wanken bringen, nachdem sie früheren Versionen das Überleben erlaubt haben.
Ungemach droht eher von den Wirtschaftskrisen, die seit Ende der Dotcom-Blase nicht häufiger, aber tiefer und lang anhaltender geworden sind. Ungemach droht auch von Arbeiter- und Bürgerrechtsbewegungen, die Einkommen und Arbeitsbedingungen bzw. das Eindringen der Konzerne in die Privatsphäre thematisieren. Trotz vielfältiger Organisationsbemühungen ist die gewerkschaftliche Präsenz in den Digitalkonzernen noch minimal. Allerdings dauerte es auch Jahrzehnte, bis die im vergoldeten Zeitalter entstandenen Industrieimperien organisiert waren. Bürgerrechtsbewegungen spielten auch damals auf dem langen Weg zur gewerkschaftlichen Organisierung eine wichtige Rolle. Erinnert sei nur an die Verbindung militanter Arbeitskämpfe und Free-Speech-Kampagnen, mit denen die Wobblies, auch wenn sie als eigenständige Organisation nur vorübergehend eine Rolle spielten, späteren Organisationsansätzen den Weg bereitet haben.