Droht ein grüner Handelskrieg?
Von Guido Speckmann
Der Name Inflation Reduction Act (IRA) führt in die Irre. Zwar könnte das US-Gesetz auch die Inflation ein wenig senken. Doch im Zentrum des Inflationssenkungsgesetzes steht die Klimapolitik. Denn US-Präsident Joe Biden will die US-Ökonomie zum Vorreiter eines grünen Kapitalismus machen. Aus dem Rust Belt, dem deindustrialisierten ehemaligen Zentrum der Schwerindustrie, soll ein Battery Belt für die Elektrifizierung der Ökonomie werden.
Der IRA wurde Mitte August vom US-Kongress verabschiedet und von Präsident Joe Biden unterzeichnet. Er ging aus dem sogenannten Build-Back-Better-Gesetz hervor, das wiederum Elemente des im Wahlkampf insbesondere von linken Demokrat*innen geforderten Green New Deals aufgegriffen hatte.
Biden pries den IRA auf der Klimakonferenz in Ägypten kürzlich als »größtes, wichtigstes und ambitioniertestes Klimagesetz aller Zeiten.« Da ist durchaus etwas dran. Knapp 370 Milliarden US-Dollar sollen in den nächsten zehn Jahren für die Subventionierung von erneuerbaren Energien, in Technologien zur Reduktion von CO2-Emissionen und in Wasserstoffprojekte fließen. So viel hat noch kein Staat jemals für Klimaschutzmaßnahmen in die Hand genommen. Mit Steuergutschriften in Höhe von 7.500 Dollar sollen US-Amerikaner*innen zum Kauf von E-Autos bewegt werden.
Unabhängigen Analysen zufolge soll das Gesetz die Treibhausgasemissionen der USA bis 2030 um bis zu 42 Prozent unter das Niveau von 2005 senken. Ohne das IRA wären es maximal 35 Prozent. Allerdings reichen die IRA-Maßnahmen nicht, um die Pariser Klimaziele einzuhalten. Und fraglich ist, ob sich diese Prognosen bewahrheiten. Denn: Auch ein grüner Kapitalismus soll wachsen.
Darüber hinaus enthält das Gesetzespaket sozialpolitische Änderungen. So soll mit 64 Milliarden Dollar das Gesundheitswesen unterstützt werden. Die staatliche Krankenkasse Medicare soll überdies das Recht bekommen, mit der Pharmaindustrie die Preise bestimmter verschreibungspflichtiger Medikamente auszuhandeln. Davon verspricht man sich niedrigere Preise. Zudem sieht der IRA eine konsequente Mindestbesteuerung von 15 Prozent für große Unternehmen, die Schließung von Steuerschlupflöchern sowie eine Modernisierung der Steuerbehörde und noch vieles mehr vor.
Auch die EU greift gerne zu protektionistischen Maßnahmen, wenn es gegen China geht.
Etwas Klimaschutz und ein bisschen Sozialpolitik – ist doch nicht schlecht. Warum gibt es dann aber die harsche Kritik in Europa an Bidens Vorhaben? Von einem »grünen Trump«, Wirtschaftspolitik im Stile Chinas und einem Subventionswettlauf ist die Rede. Finanzminister Christian Lindner warnt gar vor einem Handelskrieg. Der Grund ist, dass die US-Subventionen an Bedingungen geknüpft sind. Die Steuergutschriften von E-Autos werden nur voll ausgezahlt, wenn die Autos überwiegend in den USA produziert worden sind. Auch müssen ab 2026 80 Prozent der Seltenen Erden für die Batterie im Inland oder in jenen Ländern geschürft worden sein, mit denen die USA Freihandelsabkommen haben. Die Verhandlungen über das transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) sind indes seit Jahren ausgesetzt.
Die Europäer*innen befürchten daher eine Schwächung ihres Standortes und den Verlust von hunderttausenden Arbeitsplätzen. Hinzu kommt, dass viele Standorte wegen der in den USA auch auf Dauer niedrigeren Energiekosten verlagert werden könnten. Die EU-Kommission sprach Ende Oktober davon, dass das US-Vorhaben die Hersteller von Autos, Batterien oder Ökoenergie-Unternehmen bedrohe.
In der Tat ist der IRA protektionistisch. Er ist ausdrücklich als Stärkung des US-Standortes konzipiert. Die USA wollen auch im grünen Kapitalismus ökonomisch führende Weltmacht sein – vor China und vor der EU. Dass europäische Politiker*innen nun überlegen, vor der Welthandelsorganisation zu klagen oder mit gleicher Münze zurückzuzahlen – Macron fordert einen Buy European Act –, weil angebliche Prinzipien des freien Welthandels verletzt würden, zeigt nur ihre Doppelmoral. Schließlich greift die EU selbst gerne zu protektionistischen Maßnahmen, wenn es gegen China geht. Sie führt einen CO2-Grenzzoll ein, um europäische Stahlproduzenten, die in Klimaschutz investieren, vor Konkurrenz aus dem Ausland zu schützen. Das lässt sich ebenso gut als grüner Protektionismus bezeichnen wie Bidens Politik. Die zaghafte Transformation hin zu einem grünen Kapitalismus bringt also auch grüne Handelskonflikte mit sich. Und die Aufregung um den IRA zeigt, dass Klimaschutz im Kapitalismus stets auch Kampf um die besten Kapitalverwertungsbedingungen ist. Ob die von den USA und der EU eingesetzte Kommission den Streit wird schlichten können, bleibt abzuwarten. Mit der Forderung nach einem sogenannten EU-Souveränitätsfonds stehen die Zeichen eher auf Konflikt.