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Konnte ja keiner ahnen

Trump wird wieder US-Präsident, weil die Demokrat*innen lernresistent sind

Von Caspar Shaller

Donald Trump steht bei einer Wahlkampfveranstaltung in einem Ring auf einer Bühne, über der Bühne hängt ein großer Bildschirm mit Trump und dem Slogan Make America Great Again, vor der Bühne sind viele Menschen mit Caps und Cowboyhüten zu sehen
76,4 Millionen US-Amerikaner*innen stimmten für diesen Kandidaten. Bei etwas niedrigerer Wahlbeteiligung gut zwei Millionen mehr als vor vier Jahren. Foto: Gage Skidmore / Flickr, CC BY-SA 2.0

Die griechische Mythologie erzählt die Geschichte von Kassandra. Der Sonnengott Apollo verschoss sich in sie und verlieh ihr die Gabe, die Zukunft vorauszusagen. Für das ungebetene Geschenk erwartete er sexuelle Gegenleistungen, doch Kassandra weigerte sich. Wie Männer so sind, wurde Apollo sauer und verfluchte Kassandra, dass ihr nie jemand ihre Vorraussagen glauben sollte. Tatsächlich versuchte sie, die Trojaner zu warnen, dass die Griechen mit dem geschenkten riesigen Holzpferd versuchen würden, in die Stadt zu gelangen. Die Trojaner glaubten ihr nicht und wurden dann von den Griechen dahingemetzelt.

Ungefähr so fühlt es sich in den letzten zehn Jahren an, links zu sein. Nun hat Donald Trump nicht nur die US-Präsidentschaft, sondern auch den Senat und wahrscheinlich das House of Commons gewonnen, was ihm mindestens die nächsten zwei Jahre (bis zur Teilerneuerung des Parlaments) erlaubt, durchzuregieren. Aber noch viel mehr als Trump gewonnen hat, hat Kamala Harris verloren. Und mit ihr die Demokrat*innen und der westliche Liberalismus überhaupt. Genau davor hatten Linke gewarnt. Der demokratische Senator Bernie Sanders verlieh nach der Wahl einem verbreiteten Gefühl Ausdruck: »Es sollte niemanden überraschen, dass eine Demokratische Partei, die die Arbeiter*innenklasse aufgegeben hat, von der Arbeiter*innenklasse aufgegeben wurde.«

Zeichnung einer freundlich dreinschauenden Freiheitsstatue, die ein Mikrofon in die Höhe recht, vor roten Streifen

Podcast zur US-Wahl What’s left?

In zehn Folgen sprach Lukas Hermsmeier im Vorfeld der Wahl mit Expert*innen und Aktivist*innen aus den USA über die Fragen, die das Land und die Welt bewegen. In der letzten Folge wird das Ergebnis diskutiert.

Tatsächlich ist es so, dass Trump nur wenig mehr Stimmen mobilisieren konnte als 2020, aber die Unterstützung für Harris im Vergleich zu der für Biden kollabierte. Offensichtlich vermochten es Harris und ihr Team nicht, als Alternative zu Trump zu erscheinen. Das hat viel mit ihrem Wahlkampf zu tun, aber auch viel mit Bidens Präsidentschaft. Auf dem Papier boomt die US-Wirtschaft. Wer sich da über wirtschaftliche Probleme beschwere, habe nicht alle Tassen im Schrank, sei ideologisch verblendet oder gleich von Russland manipuliert, so das Urteil vieler Demokrat*innen und liberaler Beobachter*innen. Dem kann man trockenes Zahlenmaterial entgegenhalten: Lebensmittel in den USA sind heute 35 Prozent teurer als vor der Pandemie, das reale Haushaltseinkommen ist niedriger, Mieten sind unbezahlbar, und noch nie gab es so viele Obdachlose. Trump hatte 2020, in Reaktion auf die Pandemie, ein gigantisches Stimulusprogramm gestartet, das US-Amerikaner*innen zum ersten Mal in den Genuss von so etwas wie einem europäischen Sozialstaat brachte. Die Kinderarmut sank drastisch. Biden ließ viele dieser Maßnahmen auslaufen. Unter ihm stieg die Kinderarmut wieder an; 25 Millionen Menschen verloren Zugang zur staatlichen Krankenversicherung Medicaid.

Biden hatte 2020 gegen Trump eine moderat linke, gewerkschaftsfreundliche Kampagne gefahren, wohl das Resultat der Kandidatur Bernie Sanders’, die Zugeständnisse an die Parteilinke erzwang. Doch im Amt folgte darauf wenig. Kamala Harris tat nicht einmal so, als würde sie an der Situation etwas ändern wollen. Sie legte auch keinen überzeugenden Plan vor, das Recht auf Abtreibung zu sichern, obwohl das ein zentrales Wahlkampfthema war. Stattdessen setzte sie darauf, »gemäßigte« Republiker*innen zu gewinnen, eine Stategie, mit der Hillary Clinton schon 2016 gescheitert war.

Die Linke in den USA und in Europa steht nun vor einer schweren Aufgabe: Sie muss den Neofaschismus bekämpften – doch dabei stehen ihnen die Liberalen im Weg. Trotz performativen Händeringens über bedrohte Demokratie und Warnungen vor dem Faschismus nehmen diese doch lieber die Unterdrückung von Minderheiten und die Abschaffung von Grundrechten in Kauf, als die Macht des Kapitals so drastisch zu beschneiden, wie es nötig wäre. Es ist nicht schwer zu erkennen, was der Welt nun droht. Trump will ungeahnte Abschiebungswellen entfesseln, Umweltregulierungen einstampfen, Gewerkschaften einschränken, Transrechte abschaffen und vieles mehr. Werden die Harrises, Macrons und Scholzes dieser Welt wirklich die Schritte unternehmen, die es braucht, um die Gefahr zu bannen? Zweifelhaft. Immer wieder haben sie bewiesen, dass sie nicht bereit sind, für eine drastische Verbesserung der Lebensverhältnisse der Mehrheit auf die Matten zu gehen.

Caspar Shaller

ist freier Journalist.