Ganz Peru hasst die Politik
Vier Monate nach der Absetzung und Festnahme des linken Präsidenten Pedro Castillo feiert die Rechte in Lima, doch die Proteste gehen weiter
Von Knut Henkel
Foro Madrid« nennt sich die Tagung in Lima, die sich selbst gern als Gegenentwurf zum Foro Sāo Paulo präsentiert. Während hinter letzterem verschiedene linke Bewegungen, Stiftungen und Parteien stehen, ist es vor allem die rechtsextreme spanische Partei Vox und deren Stiftung Disenso, die die Tagung in Lima koordiniert haben. Der Bürgermeister von Lima und Gründer der erzkonservativen Renovación Popular, Rafael López Aliaga, ist mit von der Partie, etliche Abgeordnete der rechten Parteien, die sich am 7. Dezember 2022 darauf verständigten, den linken Präsidenten Pedro Castillo mit ihrer Mehrheit im Parlament abzusetzen, und auch ein paar Militärs, so berichten kritische Medien. »Die spanische und die peruanische Rechte feiert sich dort selbst und versucht, sich regional zu vernetzen«, sagt Carlos Herz und zieht genervt die Stirn in Falten. Herz leitet das Centro Bartolomè de las Casas, eine kirchliche Einrichtung im südperuanischen Cusco, die Ausbildungsprojekte für junge indigene Peruaner*innen bietet.
Die politische Rechte gibt in Lima den Ton an, fühlt sich nach dem Abebben der Proteste der letzten Wochen wieder einigermaßen sicher im Sattel. Doch eigentlich gibt es dafür wenig Anlass, denn der Widerstand gegen die Politik aus der Hauptstadt schwelt weiter. Am ersten Aprilwochenende fand im südostperunaischen Puno eine Gedenkveranstaltung für die Opfer der Polizeigewalt vom 9. Januar statt. 17 Menschen waren damals beim Versuch, den Flughafen in der nahe gelegenen Großstadt Juliaca zu besetzen, durch Polizeikugeln getötet worden, Berichten zufolge gezielt.
Drei Monate später gibt es immer noch keine Ermittlungsergebnisse. Carlos Herz kommentiert das mit einem hilflosen Schulterzucken: »Trotz aller Appelle von UN-Organisationen, der Interamerikanischen Menschenrechtskommission und internationalen Menschenrechtsorganisationen mahlt die Justiz in Peru nur selten schnell. Wir brauchen internationalen Druck«, meint der 62-Jährige. Die ehemalige Abgeordnete Maria Elena Foronda, die die Umweltstiftung Natura in Chambote leitet und für die linke Frente Amplio bis 2019 im Congreso, dem peruanischen Parlament, saß, geht noch einen Schritt weiter. »Wir brauchen internationale Vermittlung – durch die UN, vielleicht die EU oder die Organisation Amerikanischer Staaten.«
Eskalation mit Ansage
Die Regierung in Lima setzt derweil auf Business as usual. Der Tourismus wird, vor allem seit der Internationalen Tourismus Messe in Berlin Anfang März, mit Investitionen und Marketingsausgaben wieder angekurbelt, der Bergbau soll mit neuen Projekten folgen. Doch letzteres birgt Risiken. Im Süden Perus sind zwei große Kupferminen, Antapaccay und Las Bambas, weiterhin blockiert. Die 482 Kilometer lange Kupfertrasse von Espinar zum Pazifikhafen von Matarania wird zumindest teilweise von Protestierenden kontrolliert. Die Proteste richten sich zum einen gegen die Umweltverschmutzung, die der lokalen Bevölkerung zu schaffen macht, zum anderen gegen die Politik aus Lima, die alles über ihre Köpfe entscheidet. Sicherheitskräfte in der jetzigen Situation dort aufmarschieren zu lassen, könnte erneut für Konfrontationen sorgen, glaubt Carlos Herz.
Davor warnt auch das Red Muqui, eine Organisation, die bergbaukritische Bevölkerungsgruppen in Peru berät. Auf der Homepage des von kirchlichen und entwicklungspolitischen Organisationen getragenen Netzwerks ist deutlich formuliert, dass ein Weiter-so, wie es die amtierende Regierung von Präsidentin Dina Boluarte anstrebt, zu neuerlichen Toten führen könnte. Das befürchtet auch Jaime Borda, Koordinator des Red Muqui, der die Situation rund um die beiden Minen von Antapaccay und Las Bambas genau kennt. »Die Menschen wollen eine an ihren Bedürfnissen und nicht an denen der Vermögenden in Lima orientierte Politik«, so Borda. Er hat lange in der Bergbaustadt Espinar und in Cusco gearbeitet und weiß, dass die Menschen die Nase voll haben. »Immer wieder wurden sie ignoriert, Proteste niedergeschlagen, in Tränengas erstickt.«
Laut Umfragen lehnen über 90 Prozent der Bevölkerung den aktuellen Kongress und 78 bis 80 Prozent die Präsidentin Boluarte ab.
Doch dieses repressive Modell funktioniert seit der Absetzung Castillos am 7. Dezember vor allem im Süden Perus nicht mehr. Indigene Aymara-Aktivist*innen sind im äußersten Süden des Landes, rund um Puno, aktiv, Nachkommen der Inka in anderen Regionen, etwa in den Tourismus-Drehscheiben Cusco und Arequipa, wo sie immer wieder Widerstand leisten. Auch dort wird Kupfer gefördert, auch dort sind die durch Polizeikugeln getöteten Demonstrant*innen nicht vergessen. 49 Demonstrant*innen starben seit dem 8. Dezember in Peru, außerdem ein Polizist, sechs Soldaten und elf Unbeteiligte. Die Soldaten sollen auf dem Rückweg von einer Straßenblockade den Befehl zum Überqueren eines Flusses erhalten haben, wobei die sechs jungen Wehrpflichtigen im Alter zwischen 18 und 20 Jahren ertranken. Insgesamt sind bisher 67 Menschen im Kontext der Proteste gestorben – keiner dieser Fälle wurde bisher aufgeklärt.
Das ist eine Folge struktureller Probleme im Justizministerium, die sich durch fast alle staatlichen Institutionen in Lima ziehen, die nur partiell oder in Absprache mit den politisch tonangebenden Kreisen ihre Arbeit machen. Das bestätigt der ehemalige Leiter der Wahrheitskommission zur Aufklärung der Menschenrechtsverletzungen im von 1980 bis 2000 währenden Bürgerkrieg, Salomón Lerner: »Wir haben es mit einer jahrelangen Erosion des politischen Systems zu tun, die die Zweiteilung des Landes in einen eher weißen Mestizo-Teil und einen weitgehend abgehängten indigenen Teil weiter verschärft hat«, kritisiert der Professor für Philosophie.
Alte antikommunistische Feindbilder
Präsidentin Dina Boluarte ignoriert dieses Problem, wie der Beschluss neuer Investitionsprojekte über knapp sieben Milliarden US-Dollar im umstrittenen Bergbau zeigt. Deren Umsetzung ist laut dem Red Muqui für das laufende und das kommende Jahr vorgesehen. Angesichts der Tatsache, dass rund die Hälfte aller Bergbauprojekte laut der Ombudsstelle für die Bevölkerung (Defensoria del Pueblo) von den Bewohner*innen der betroffenen Regionen abgelehnt wird, könnte diese Entscheidung zu massiven Konflikten führen.
Die Frage ist bloß, woher Alternativen kommen sollen? Die politische Rechte in Lima gibt sich siegessicher und wärmt auf dem Foro Madrid das alte kommunistische Feindbild auf – ähnlich wie die peruanischen Sicherheitsorgane. Die wurden während der Proteste im Januar nicht müde, das Schreckgespenst der maoistischen Guerilla Sendero Luminoso, Leuchtender Pfad, zu beschwören, die die Demonstrationen unterwandert habe, wie Maria Elena Foronda berichtet. Sie ist es leid, die alten Parolen der Aufstandsbekämpfung zu hören, die sich gegen den Feind im Innern, insbesondere gegen die indigenen Bevölkerungsgruppen, richten. Nun heizt auch die rechtsextreme spanische Vox diese Sicht der Dinge an. Deren Vorsitzender Santiago Abascal warnt gebetsmühlenartig vor einem kommunistische Feind; der Begriff der »roten Gefahr« war auf der Foro-Madrid-Tagung omnipräsent.
Doch auch wenn sie auf ihrer Tagung die Demontage des linken Präsidenten Castillo ausgiebig feierte – allzu selbstgewiss sollte die peruanische Rechte nicht sein. Laut Umfragen lehnen über 90 Prozent der Bevölkerung den aktuellen Kongress und 78 bis 80 Prozent die Präsidentin Boluarte ab. Die peruanische Rechte mag versuchen, diese Probleme wegzulächeln und sich an guten Beziehungen zur spanischen Vox zu berauschen. Den fundamentalen Konflikt im Land löst sie so nicht.