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Die Lindner-Show

Der Haushaltsstreit war über Wochen Thema – gut für die FDP

Von Lene Kempe

Christian Lindner steht auf der Republika 2023 vor einem Tisch und redet in ein Mikrophon, das an einer Stabverlängerung hängt. Auf dem Tisch steht eine Palme.
Der FDPler liebt und braucht das Rampenlicht: Christian Lindner, hier mit einer Palme im Bild. Foto: republica GmbH, CC BY-SA 2.0

Das Sommerloch fiel aus in diesem Jahr. Bis vergangenen Freitag rang die Koalition öffentlich um einen neuen Haushaltsentwurf. Details zur finalen Einigung waren bei Redaktionsschluss noch nicht bekannt. Nun liegt das Papier bei Bundestag und Bundesrat. Was war zuvor passiert? Schon Anfang Juli hatten die Ampel-Parteien der Öffentlichkeit einen gemeinsamen Haushaltsentwurf präsentiert, wenig später stellte sich FDP-Finanzminister Christian Lindner auf die Bremse: Er ließ zwei Gutachten anfertigen, um bereits verkündete Finanzierungsinstrumente auf ihre Vereinbarkeit mit der Schuldenbremse zu prüfen. Unter anderem das Vorhaben, nicht abgerufene 4,9 Milliarden Euro aus dem Topf der Gaspreisbremse umzuwidmen, um eine 17-Milliarden-Finanzlücke im aktuellen Haushalt zu reduzieren, wurde darin als nicht verfassungsgemäß bewertet.

Uneindeutig blieben die Gutachten mit Blick auf die Umwandlung von Zuschüssen für die Autobahn AG in (rückzahlbare) Darlehen. Lindner und die FDP forderten umgehend Neuverhandlungen und Kürzungen bei den Sozialausgaben. Bemerkenswert war dabei weniger der Vorgang an sich, denn der Finanzminister hatte eine verfassungsrechtliche Prüfung bereits bei der Vorstellung des Haushaltsplans im Juli angekündigt.

Diskursräume eröffnen, Maximalforderungen stellen, Sagbarkeiten verschieben, die Medien vor sich hertreiben.

Lindner hat überhaupt – mit jedem öffentlichen Auftritt und jedem Interview seit seiner Amtsübernahme – klargemacht, dass er haushaltspolitisch nicht gewillt ist, Kompromisse einzugehen. Und warum sollte er auch? Er ist mit einer Fünf-Prozent-Partei ins Finanzministerium eingezogen. »Nach dem Amt des Finanzministers kann realistisch betrachtet nichts mehr kommen für einen FDP-Vorsitzenden«, sagte er in einem Interview. Lindner hat aber nicht nur den Job seines Lebens und qua dieses Amtes eine starke politische Machtposition ergattert; vielmehr hat er auch bewiesen, dass er die Regeln des öffentlichen Diskurses brillant beherrscht und für seine Sache nutzen kann: Diskursräume eröffnen, Maximalforderungen stellen, Sagbarkeiten verschieben, die Medien vor sich hertreiben.

Wo es zunächst nach Einigung aussah, kamen Lindner und seine Partei um die Ecke und meldeten »Beratungsbedarf« an: Kindergrundsicherung, Diesel-Aus, Lieferkettengesetz, Rente, Industriesubventionen, Bürgergeld. Letzteres etwa sei, so Lindner vergangene Woche, ohnehin eine »Perversion des Leistungsgedankens« und gehöre weiter gekürzt. Steht in der Presse. Überall. Und kaum jemand im parteipolitischen Raum wird sich einem Kommentar dazu entziehen können. Dabei warteten noch weitere FDP-Vorschläge auf Statements der Ampel-Kolleg*innen: die Idee, das Entwicklungsministerium abzuschaffen oder jene, wieder mehr Parkplätze im Innenstadtbereich zu schaffen. Der mediale Raum wird seit Antritt der Ampel dominiert von diesem FDP-Themen-Stakkato, und die aktuelle Haushaltsdebatte ist nur ein weiterer Stein auf dem Weg, den Lindner seinen »Koalitionspartnern« zu den nächsten Wahlen pflastert. Dumm für SPD und Grüne, schlimm für all jene, die seit Antritt der Koalition unter den Sparmaßnahmen und dem menschenverachtenden Diskurs leiden, in dessen Wind der Finanzminister segelt.

Lene Kempe

ist Redakteurin bei ak.