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|ak 704 | Deutschland

Bürgerliche Rohkost

Die AfD und der rechte Zeitgeist im Wahljahr 2024

Von Friederike C. Domrös und Marcel Hartwig

Ein Hirsch steht in einem Wand, nur der Kopf schaut raus
Wenn man ständig die Themen der extremen Rechten wiederkäut, kommt am Ende was Braunes raus. Foto: Jason Thompson / Unsplash

Nur eine Momentaufnahme? Wenige Wochen vor der Europawahl ist der Höhenflug der AfD in den Umfragen vorerst gestoppt und könnte in einen Sinkflug übergehen. Noch im Winter 2023 lag die Partei bundesweit konstant bei 20 Prozent plus X, in einigen ostdeutschen Bundesländern bei mehr als 30 Prozent. Inzwischen fürchtet die Parteiführung, einen Teil ihres in den vergangenen Jahren gewonnenen Wähler*innenpotenzials zu verlieren. Zeit, die AfD aus den Augen zu lassen, und die knappe Ressource politischer Aufmerksamkeit anderen Themen zu widmen? Vorsicht!

Über mangelnde mediale Präsenz konnte sich die AfD in den letzten Monaten nicht beschweren. Parteichef Tino Chrupalla scherzte mit Caren Miosga in der gleichnamigen Sendung, der AfD-Spitzendkandidat Maximilian Krah durfte bei Tilo Jung sechs Stunden lang seine rassistischen und misogynen Positionen darlegen, Björn Höcke bekam bei Welt TV zur Primetime einen Auftritt mit dem Thüringer CDU-Chef Mario Voigt, in dem er mit Höcke um rechte Wähler*innen und die Frage rang, ob ein mit Fleisch belegtes Brötchen in Thüringen »Mett« oder »Gehacktes« genannt wird. Die Normalisierung der AfD und ihrer extrem rechten Inhalte scheint auf einem vorläufigen Höhepunkt angekommen. Der CDU-Politiker Mario Voigt reklamierte für sich, das »Duell« genannte Gespräch mit Björn Höcke bei Welt TV gewonnen zu haben. Dass er mit Hilfe Höckes seine eigene Bekanntheit über Thüringen hinaus zu steigern hoffte, blieb dabei unerwähnt.

Höcke hingegen genoss seinen Auftritt vor Millionenpublikum sichtlich. Dass Vertreter*innen der AfD die großen öffentlichen und privaten Medien schmähen und zugleich laut darüber Klage führen, die AfD sei dort unterrepräsentiert, wirkt paradox, ist aber kein Widerspruch. In den rechts-alternativen Medien wie Auf 1 und diversen rechten Podcasts und Vlogs erreicht die Partei ihre Kernanhängerschaft. Um ein breites Publikum zu adressieren, benötigen AfD-Mandatare Auftritte in großen Medien. Dort präsentieren sich Chrupalla und Co. sodann als bodenständige, lebensnahe und angeblich unideologische Fürsprechende der Interessen normaler Menschen. Die weiße, männliche hetero Normativität dieser Normalität wird stillschweigend in Übereinstimmung mit dem Publikum vorausgesetzt.

Selbst wenn die AfD nicht die prognostizierten Ergebnisse einfährt, ändert dies am feindlichen gesellschaftlichen Klima nichts.

Elemente des politischen Geschäftsbetriebs der AfD übernimmt nicht nur, aber gerade in Wahlkampfzeiten die CDU. Der Thüringer Landrat Christian Herrgott (CDU) warb im Januar im Wahlkampf gegen seinen AfD-Mitbewerber Uwe Thrum damit, er werde im Falle seiner Wahl eine Bezahlkarte für Geflüchtete als Modellprojekt im Landkreis einführen. Die digitale Bezahlkarte entzieht Geflüchteten den Zugriff auf Bargeld und dient als Gängelband. Wenige Wochen später wurden bereits die technischen Modalitäten für die bundesweite Einführung der Bezahlkarte für Geflüchtete diskutiert. Die bargeldlose Bezahlkarte, ein Modell, das sich manche Politiker*innen wohl auch für die Empfänger*innen von Bürgergeld vorstellen. Dessen Höhe wird von CDU und FDP seit Monaten als angeblich leistungsloses Einkommen denunziert, welches Bürgergeldempfänger*innen von der Arbeitsaufnahme abhalte. Es ist ein simples politisches Muster: Die Parteien des autoritären und des weltoffenen Neoliberalismus übernehmen einen Teil der politischen Agenda der extremen Rechten und grenzen sich von ihr zugleich rhetorisch ab.

Rückhalt in der Mittelschicht

All das spiegelt das zeitgeistige Umfeld, in dem die AfD erfolgreich ist. Es ist, wofür der Soziologe Wilhelm Heitmeyer den Begriff der »rohen Bürgerlichkeit« prägte. Abwertende, sozialdarwinistische und rassistische Einstellungen gewannen im vergangenen Jahrzehnt massiv an Rückhalt in der bürgerlichen Mittelschicht. Diese ist bereit, ihre verbliebenen Privilegien mit allen zu Gebote stehenden Mitteln, im Zweifel mit Gewalt, gegen jene zu verteidigen, die mit ihr um den Zugang zu den kleiner werdenden Zonen sozialer Sicherung kämpfen werden. Das bedeutet auch: Selbst, wenn die AfD bei den kommenden Wahlen nicht die ihr prognostizierten Ergebnisse einfährt und real an politischem Rückhalt einbüßen sollte, ändert dies am feindlichen gesellschaftlichen Klima nichts. Die sich im Umfeld des Wahlkampfes häufenden rechts motivierten Angriffe auf Politiker*innen und Wahlkampfhelfer*innen sind nur der derzeit gesellschaftlich wahrgenommene Teil rechter Gewalt, die vorwiegend jene trifft, die keinen Zugang zu Medien und Polizeischutz haben: Migrant*innen, marginalisierte Menschen, aktive Gegner*innen der extremen Rechten.

Im Zentrum der Kritik an der AfD stehen im Frühjahr 2024 nicht ihre offen extrem rechten und rassistischen Inhalte, sondern der Verdacht, Politiker*innen der Partei bedienten die Interessen von Staaten wie Russland und China und seien in Spionageaffären verwickelt. Zahlreich sind die Belege, die den Verdacht nähren, die Partei empfange Geld und politische Orientierung aus Russland. Geradezu absurd wirkt, dass führende Sozial- und Christdemokrat*innen der AfD im Zuge dessen Vaterlandsverrat vorwerfen. Der Appell an das nationalistische Bewusstsein der Wähler*innen soll helfen, den Geist des völkischen Nationalismus der AfD zu bannen.

Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) wird von verschiedenen Seiten als ernsthafte Konkurrenz für die AfD betrachtet. Für die Linkspartei-Abspaltung wird in Thüringen und Sachsen sogar der Sprung ins kalte Wasser der Regierungsbeteiligung prognostiziert. Sahra Wagenknecht bespielt gekonnt die Klaviatur des Populismus und positioniert sich an der Seite der AfD, wenn es um Geflüchtete geht, und beim Bürgergeld an der von CDU und FDP. Sie ätzt gegen Gender-Debatten und Identitätspolitiken. Ihre Lieblingsvokabel ist »politische Vernunft«. Wagenknecht signalisiert rechten Wähler*innen, bei ihrem Parteiprojekt seien diese auch gut aufgehoben. Wagenknecht ist ein politisches Chamäleon. Vieles, aber bestimmt nicht links. Gleichwohl lag und liegt sie mit ihrer politischen Russland-Diagnostik deutlich neben den realen Entwicklungen. Die Wirkung ihrer politischen Suggestion, ein Monopol auf die Kritik an deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine zu halten, verschafft ihr vor allem in Ostdeutschland politischen Kredit. Und in der Tat: Wahlsoziologisch gibt es eine gewisse Schnittmenge zwischen dem Wähler*innenpotential des BSW und jenem der AfD.

Perspektiven gegen die AfD

Ende Juni steht der Bundesparteitag der AfD in Essen an. Der Parteitag liegt zeitlich zwischen den Europa- und Kommunalwahlen und den drei ostdeutschen Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg. Die AfD wird danach trachten, ihrer Anhänger*innenschaft ihr Abschneiden bei den Europa- und Kommunalwahlen im Juni als Vorspiel der Möglichkeit eines politischen Durchmarsches im Osten im Herbst zu verkaufen. Gegen den Parteitag will ein Bündnis zu breit angelegten Protesten und Massenblockaden mobilisieren. Aller Erfahrung nach bindet eine Mobilisierung die Kräfte gerade bewegungslinker Akteur*innen. So wichtig symbolische Geländegewinne gegen die politische Raumnahme eines AfD-Events sind, so wenig entfalten diese Wirkung über das Momentum ihres unmittelbaren Protestanlasses hinaus. 

Dies zeigen die Demonstrationen nach der Veröffentlichung der Correctiv-Recherchen. (ak 701) Deren Massivität kam auch für die Bewegungsforschung überraschend. Doch um eine für das gesamte Wahljahr anhaltende politische Wirkung zu entfalten, kamen die Demos der ersten Monate dieses Jahres zu früh. Der Elan und die Mobilisierungskraft von Bündnissen wie »Hand in Hand« erlahmte rasch. Eine politische Dynamik über ein im weitesten Sinne progressives Milieu vermochten die Proteste nicht zu stiften, obwohl sie gerade in Ostdeutschland ein wichtiges Signal waren, dass sich die Partei selbst in ihren Hochburgen nicht ohne Widerspruch durchsetzen kann.

Der Härtetest für die Gegner*innen der AfD beginnt jedoch erst mit und nach den Wahlen im Osten. Dann muss sich erweisen, ob die proklamierte Solidarität mit dann politisch unter Druck geratenen Menschen und Projekten trägt. Sich konkret auf die kommenden Machtzugewinne der AfD in den Regionen vorzubereiten, fällt vielen linken und alternativen Projekten schwer, weil sie schon jetzt alle Kräfte darauf verwenden müssen, ihre Funktionsfähigkeit zu erhalten. (ak 703)

Welche Gestalt die Angriffe der AfD annehmen können, lässt sich in Sachsen beobachten. Dort hat sich die AfD für einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss die Unterlagen von gegen rechts engagierten Trägern aus den Jahren 2016 bis 2019 zukommen lassen. Auf Grundlage der Auswertung von ca. 200.000 Akten-Seiten will die sächsische AfD die Arbeit gegen rechts durchleuchten, Daten sammeln und mutmaßlich die Behinderung oder gar Zerschlagung der Strukturen im Rahmen ihrer Möglichkeiten vorbereiten. Es wäre fatal, wenn nach dem Halbjahr der Wahlen der sehr erwartbare Effekt politischer Psychologie einsetzte: die Erleichterung darüber, dass es die AfD nicht in die Regierungsbeteiligung geschafft hat oder »nur« – reine Spekulation – 28 oder 30 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte, statt der prognostizierten 35 Prozent.

Die AfD und das sie begünstigende politische Klima werden nicht im Modus einer Kampagne zu besiegen sein. Den Einfluss der AfD zurückzudrängen, setzt ein Maß an politischer Strategie und Organisation voraus, das kein linker politischer Akteur, ob Partei, Strömung oder Gruppe, derzeit aufbringt. Großorganisationen, wie Gewerkschaften, ringen mit der Frage, wie sie mit aktiven AfD-Protagonisten in den eigenen Reihen umgehen sollen. Die Ankündigungen, eine Mitgliedschaft in der Gewerkschaft und ein erkennbares Engagement für die AfD seien unvereinbar, lesen sich moralisch hoch konsequent, müssen im Falle des Falles jedoch vor Ort auch durchgesetzt werden. Dies für selbstverständlich zu halten, scheint uns mit Blick auf Ostdeutschland naiv.

In einem Worst-Case-Szenario ist es schon ein Erfolg, wenn es linken Projekten gelingt, sich gegen die Angriffe künftiger AfD-Landräte und Bürgermeister zu behaupten. Die extreme Rechte hat seit 2015 gezeigt, wie stark ihre Kampagnenfähigkeit zugenommen hat. Berechtigte Empörung und anlassbezogene Kundgebungen werden nicht ausreichen, den gesellschaftlichen Resonanzraum der AfD wieder zu verkleinern. Politische Bildung und Praxis gegen die extreme Rechte wird die kommenden Veränderungen  der politischen Landschaft berücksichtigen müssen. Die Bedingungen einer politischen Praxis gegen die extreme Rechte in Sachsen sind schon jetzt prekär. Sie werden sich nach den Wahlen nicht verbessern.

Friederike C. Domrös

war vor und nach der Wende Sozialarbeiterin in einer Mittelstadt in Sachsen-Anhalt. Sie lebt heute im Ruhestand in Schwerin.

Marcel Hartwig

lebt in Leipzig und Halle. Er ist in der Jugendarbeit tätig.