Deutscher Pass bleibt Luxus
Völkische Kriterien entscheiden immer noch darüber, wer die Staatsbürgerschaft bekommt
Von Sanaz Azimipour
Spätestens seit Unterzeichnung des Koalitionsvertrages der Ampel ist bekannt, dass die Regierung die Einbürgerung erleichtern möchte. Kanzler Olaf Scholz (SPD) sprach sich kürzlich dafür aus, »dass alle Menschen unabhängig von ihrer Herkunft, Hautfarbe oder religiösem Bekenntnis den Zugang zur deutschen Staatsbürgerschaft bekommen sollen.« Auf den ersten Blick mag das nach einer positiven Absicht klingen, doch das Problem ist damit längst nicht gelöst: Denn die deutsche Staatsbürgerschaft basiert weiterhin auf dem Blutrecht und ist mit Privilegien verknüpft.
Abstammungsprinzip oder Blutrecht ist ein Grundsatz des Staatsangehörigkeitsrechts, der die Staatsangehörigkeit von Kindern nach Nationalität oder »ethnischer« Zugehörigkeit eines oder beider Elternteile bestimmt. In den meisten Ländern gilt das »Bodenprinzip«, demnach erhalten Kinder die Staatsbürgerschaft des Landes, in dem sie geboren wurden. In Deutschland wird der Pass weiterhin nach dem Abstammungsprinzip vergeben.
Das Abstammungsprinzip hat eine lange rassistische und antisemitische Geschichte und ist verankert in der Blut-und-Boden-Ideologie. Sie gründet auf rassistischen Theorien und ist ein zentraler Bestandteil der nationalsozialistischen Ideologie. Das Blut-und-Boden-Prinzip, das zum ersten Mal von dem Schriftsteller Richard Walther Darré, späterer Leiter des Rasse- und Siedlungshauptamtes der SS, benutzt wurde, sollte vor allem Pol*innen sowie Jüdinnen und Juden von einer imaginierten nordisch-germanischen »Rasse« unterscheiden. Eines der wichtigsten Elemente dieser Blut-und-Boden-Ideologie war der Leitspruch »Volk ohne Raum«. Er diente als Legitimation zur Besatzung osteuropäischer Gebiete. Was darauf folgte, war die grausame Siedlungs- und Vernichtungspolitik der Nazis in den besetzten Gebieten Osteuropas.
Regelmäßig reden sich CDU-Politiker*innen um Kopf und Kragen, wenn es um Rechte von Migrant*innen geht.
In Deutschland leben heute über 10,7 Millionen Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft. Viele davon sind sogar hier geboren. Dennoch müssen sie durch einen sogenannten Einbürgerungsprozess ihre Zugehörigkeit beweisen und verdienen. Das neue Erleichterungspaket der Ampelregierung möchte diesen Prozess zugänglicher machen. Selbst dagegen wehren sich CDU und FDP. Das ist keine Überraschung: Regelmäßig reden sich CDU-Politiker*innen um Kopf und Kragen, wenn es um Rechte von Migrant*innen geht. Der CDU-Generalsekretär Mario Czaja hatte den Entwurf der Ampel scharf kritisiert und gesagt, dass »erst Integration, dann Staatsbürgerschaft gelten« solle. Und selbstverständlich versteht die CDU unter einem Einwanderungsland, dass die zu Integrierenden hier Bayerisch sprechen, sich über Verspätungen der Deutschen Bahn aufregen und sich am Besten auch noch weiß anmalen.
Die FDP pflichtete der CDU bei. Ihr Fraktionschef Christian Dürr betonte, »dass diejenigen, die sich nicht integrieren wollen, das Land wieder verlassen« sollen. Wie »Integration« nach Vorstellung der FDP aussieht, ist unklar. Aber bestimmt nicht arm oder arbeitslos. Die FDP widerspricht mit ihren rechten Parolen dem eigenen Wahlprogramm. In diesem steht, »dass die FDP die Einbürgerungen erleichtern möchte und den Rechtsanspruch auf Einbürgerung nach vier Jahren Aufenthalt und Recht auf Doppelstaatsangehörigkeit ermöglichen« wolle. Ein Jahr später ist die FDP so sehr nach rechts gerückt, dass ihre eigene Vergangenheit für sie zu links ist.
Diese ganze Debatte schafft es vor allem, uns von den wichtigen Fragen fernzuhalten, etwa wie diese: Wie lassen sich völkisch codierte Praktiken und Argumentationsstrategien mit dem Anspruch vereinbaren, ein Einwanderungsland sein zu wollen und inwiefern tragen jene Maßnahmen zur Gestaltung einer gerechteren Zukunft für Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft bei? Und genau das ist das Problem: Bei dem Reformvorschlag wird weder das nationalsozialistische Abstammungsprinzip final abgeschafft, noch wird es dadurch Verbesserungen für mehrfach marginalisierte Menschen geben. Denn die ungerechten Voraussetzungen werden nicht angerührt. Einbürgerung bleibt dadurch ein Luxus einiger weniger, die auch sonst privilegiert sind. In der Sprache der deutschen Verwaltung heißen sie »gut integrierte« Migrant*innen. Die wichtigsten Hürden, wie etwa die Kopplung des Rechts auf Einbürgerung an das Einkommen, die Voraussetzung, keine Vorstrafen zu haben oder die peinliche Vorgabe, »sich in die deutschen Lebensverhältnisse einzuordnen«, bleiben bestehen.