Der Neue nach dem Sturz
Macron hat mal wieder einen Premier ernannt – warum war das überhaupt notwendig geworden, und wer hat von der französischen Regierungskrise profitiert?
Von Bernard Schmid

Überraschend war letztlich nur die Inszenierung. Nach mehrtägiger Verzögerung gegenüber eigenen Ankündigungen, und nachdem er noch am Vormittag die Absicht dementiert hatte, ernannte Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron am 13. Dezember François Bayrou zum neuen Premierminister. In deutschen Medien wird Bayrou meist als »liberal« charakterisiert. Richtiger wäre eine Einordnung in eine christdemokratische Tradition – Bayrous erste Partei in den 1970er und 1980er Jahren, das CDS (Zentrum sozialer Demokraten), war die französische Variante der Christdemokratie, die auf der bürgerlichen Rechten tendenziell durch den Gaullismus marginalisiert worden war. Später stand er den ähnlich orientierten Mitte-Rechts-Parteien Force démocrate sowie, zuletzt und bis heute, dem Mouvement démocrate (Modem) vor. Nach drei erfolglosen Präsidentschaftskandidaturen unterstützte Bayrou 2017 und 2022 die Wahl Macrons. Insofern ist dessen Entscheidung, Bayrou zum Premierminister zu ernennen, nur ein Rückgriff auf die Personalreserven im eigenen politischen Lager, das seit den Parlamentswahlen 2022 und den vorgezogenen Neuwahlen im Sommer 2024 stark geschrumpft ist.
Doch warum war die Ernennung eines neuen Premierministers überhaupt nötig geworden? Am 4. Dezember hatte der Sturz des erst seit 90 Tagen amtierenden Premierministers Michel Barnier mittels eines parlamentarischen Misstrauensvotums eine Regierungskrise ausgelöst. Diese nutzte zunächst EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen aus: Sie flog in Uruguays Hauptstadt Montevideo und unterzeichnete dort flugs das seit rund 20 Jahren in Verhandlungen steckende und höchst umstrittene Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem südamerikanischen Binnenmarkt Mercosur.
Am 4. Dezember war der erst seit 90 Tagen amtierende Premierminister Michel Barnier mittels eines parlamentarischen Misstrauensvotums gestürzt worden.
Frankreich hatte bis dahin auf EU-Ebene am stärksten gegen dieses Abkommen opponiert, das unter anderem aufgrund seiner ökologischen Auswirkungen durch Förderung der auf Großgrundbesitz fußenden, exportorientierten Landwirtschaft und Viehzucht in Argentinien sowie Brasilien kritisiert wird. Dabei muss die französische Regierung Rücksicht auf den heimischen Agrarsektor nehmen, während die deutsche vor allem die Interessen ihrer Exportindustrie im Automobil- und Flugzeugbausektor pusht und sich daher für das Abkommen stark machte.
Es gibt also sowohl Menschen, die durch den Regierungssturz verloren haben – wie in der Landwirtschaft, auch weil das zusammen mit der konservativ-wirtschaftsliberalen Minderheitsregierung Barniers gescheiterte Haushaltsgesetz für 2025 finanzielle Zugeständnisse, die auf Agrarproteste reagierten, vorgesehen hatte –, als auch solche, die dadurch gewinnen. Letztere überwiegend deutlich. Denn der Haushaltsentwurf für 2025 stand insgesamt im Zeichen der Austeritätspolitik und enthielt vor allem krasse Einschnitte. Dazu zählten die Verringerung der Rückzahlung von Arzneimittelkosten durch die gesetzliche Krankenversicherung von bislang 70 auf 60 Prozent, die Einführung von drei Karenz- oder unbezahlten Krankheitstagen statt bisher einem zu Beginn jeder Erkrankungsperiode für Staatbedienstete oder die Abschaffung der Inflationsanpassung für Renten.
Dass das kurzlebige Stimmbündnis aus Abgeordneten sämtlicher Linksparteien (mit Ausnahme einer einzigen sozialdemokratischen Parlamentarierin) sowie denen des rechtsextremen Rassemblement national, RN, zum Sturz Baniers zustande kam, hat vor allem interne Gründe bei der letztgenannten Partei. Die Linksparteien waren ohnehin – wie angekündigt – fest dazu entschlossen, Barnier das Misstrauen auszusprechen. Der RN hingegen hatte seit September als Mehrheitsbeschaffer dessen Kabinetts toleriert, eine Premiere für eine rechtsextreme Partei in der französischen Nachkriegsgeschichte. Doch die Wählerschaft des RN rückte in Umfragen immer stärker von der Unterstützung der Regierung Barnier ab. Und die Partei wollte durch den Entzug dieser Unterstützung ihre Machtposition unter Beweis stellen, auch wenn der Partei- und die Fraktionsvorsitzende – Jordan Bardella und Marine Le Pen – sich darüber uneins waren.
Ersten Ankündigungen von Bardella zufolge, der die treibende Kraft bei der Positionierung des RN zum Sturz Barniers war, wird seine Partei François Bayrou das Vertrauen aussprechen. Dieser habe den RN immer respektvoll behandelt. Die Partei werde jedoch inhaltliche Forderungen stellen. Die Linksparteien zeigten sich zunächst skeptisch, da Macron seinen bisherigen Kurs bruchlos fortzusetzen wünsche.