»Dann machen Sie mal weiter«
In Australien verhindert die Kohlelobby jegliches Vorankommen in der Klimafrage
Von Jessie Cato und Paul Dziedzic
Die Lage ist ernst, nicht nur für Australien. Die Wirtschaft ist stark von Kohleexporten abhängig und spürt gleichzeitig die Folgen des Klimawandels. Dort kommt vieles zusammen, das die Dynamik des globalisierten Kapitalismus auf eindrückliche Weise illustriert. Es sollte auch uns beunruhigen. Für viele progressive Medien und Aktivist*innen anderswo ist die verheerende Feuerkatastrophe der lang erwartete Weckruf und Wendepunkt in der Klimapolitik. Doch die Menschen vor Ort sind weniger optimistisch.
Und so droht ein neues business as usual in Australien. Während die Menschen noch vor den Feuern flüchten und ihre Häuser, ihre Habe und Erinnerungen zurücklassen müssen, nutzt bereits die Kohlefraktion das Durcheinander, um vor allem über die sozialen Medien Desinformationen zu streuen. Denn sie will die Oberhand über die Narrative gewinnen. Die Spannbreite ihrer Einflussversuche reicht von Beschwichtigungen wie »in Australien hat es schon immer gebrannt« über Beschuldigungen, die Grünen seien mit ihre politischen Agenda für die Feuer verantwortlich (obwohl sie in Australien nirgends an der Macht sind) bis zur altbewährten Ausrede »wenn wir die Kohle nicht exportieren, macht es irgendwer anderes«. Auch der konservative Premier Scott Morrison, seit letztem Jahr im Amt, macht keine gute Figur. Täglich liefert der evangelikale Regierungschef neues Material, das ihn zum Ziel von Wut und Hohn macht. Erst weigerte er sich, inmitten der Katastrophe aus seinem Urlaub in Hawaii zurückzukehren, dann machte er sich vor den Anwohner*innen des kleinen Ortes Cobargo zum Deppen, als diese ihm zuriefen, er solle sich »verpissen«. Zuletzt traf er auf einen frisch vom Einsatz kommenden Feuerwehrmann, der ihm erzählte, er habe so viel gearbeitet, dass er nicht einmal zum Essen gekommen sei. Daraufhin erwiderte Morrison, anstatt ihm in einer PR-Aktion Wasser oder Essen zu reichen: »Dann lasse ich Sie mal weitermachen.« Das ist eine Menge Empathielosigkeit für eine Regierung, die umgerechnet beinahe 120.000 Euro für einen Empathietrainer ausgibt.
Klimaleugnung und politische Gleichgültigkeit sind keine Reaktionen »Made in Australia«, sie sind mittlerweile globaler Alltag. In Brasilien zum Beispiel machte Jair Bolsonaro im vergangenen Jahr ausländische NGOs und Naturschützer*innen für die Feuer verantwortlich. In Deutschland kursiert ein wissenschaftlich anmutender Artikel, in dem es heißt, dass die Sonne, nicht die Menschen, für die Klimaerwärmung verantwortlich sei. Verbreitet wird dieser Bericht unter anderem von der AfD und der Werteunion, einem konservativen und wirtschaftsliberalen Zusammenschluss in CDU und CSU. Davon dürfte in Zukunft noch mehr kommen.
Der Kohlelobby sind die Scheingefechte recht
Auch wenn nicht viele den Fake-Meldungen glauben: Schon dadurch, dass die australischen Medien einen Faktencheck nach dem nächsten publizieren, haben sie sich auf das Scheingefecht eingelassen. Auch die Wut über den Premier Morrison und Diskussionen über seinen möglichen Rücktritt werden vorerst wenig bewirken können. Wichtiger ist, dass die Meldungen sich auf ein diskursives Selbstverständnis Australiens stützen, das den kolonialrassistischen Ausschluss der indigenen Menschen verdeckt und die nationale Identität eher mit dem monopolistischen Kapitalismus des Kohlebergbaus verknüpft. Es wird daran erinnert, dass der Wohlstand der Australier*innen auf den Abbau von Rohstoffen basiert.
Letztlich dürfte vielen Australier*innen ihre Rolle im Klimawandel bewusst sein. Im Zweiparteiensystem Australiens führt jedoch kein Weg an den Kohlekonzernen vorbei. Eindrücklich zeigte sich das daran, wie die Konservative Partei sich ihren Wahlsieg erklärt. Jetzt, nach der Wahl behauptet sie, wegen ihrer eindeutigen Bejahung des Kohleexports gewonnen zu haben. Gewonnen hatte sie die Wahlen jedoch eher mit der Werbung für Steuererleichterungen und Warnungen, Labour würde den Menschen neue Steuern auferlegen.
Doch Labour ließ sich auf diese Erzählung ein. Labour-Chef Anthony Albanese spricht sich jetzt eindeutiger für den Export aus, als es seine Partei davor tat. Er sagte, wenn Australien keine Kohle exportierte, würden andere Länder ihren Platz einnehmen. Diese Aussage findet in den Medien Gehör. Denn im Land des Medientycoons Rupert Murdoch sind die Medien über die Jahrzehnte zu lukrativen Investitionsobjekten für Industrielle geworden. Kritik an der Kohleindustrie und der Macht ihrer Lobby kann dadurch eingedämmt werden. Die einzig verbliebenen Alternativen auf Bundesebene sind die öffentlichen Sender, doch wie auch in Deutschland hängen sie stark von der jeweiligen Regierung ab. Und wie in Deutschland beschweren sich konservative ständig darüber, wie links die öffentlichen Medien sind.
Erschreckender noch ist der Klüngel zwischen Politik, Wirtschaft und Medien: Der von Greenpeace herausgegebener Bericht »Dirty Power« deckt auf, wie sich Menschen aus der Kohleindustrie, der Politik und den Medien die Türklinke in die Hand geben. Bei Ereignissen wie den jetzigen Buschbränden schaffen sie es, zusammen an einer Erzählung zu basteln, die den Fokus weg von der Kohleindustrie lenkt.
Emphatielose Erklärungen
Doch nicht nur australische Firmen verdienen an der Zerstörung der Natur. Auch indische, norwegische und deutsche Firmen mischen mit. Ein prominentes Beispiel ist das Adani-Projekt, an dem Siemens beteiligt ist. Das von der indischen Adani Group geführte Projekt soll nach Fertigstellung eine der größten Kohleminen der Welt werden. Verfeuert wird die Kohle nicht etwa in Australien oder in Deutschland, sondern in Indien, das historisch einen vergleichsweise kleinen ökologischen Fußabdruck hat. Gleichzeitig starben in Indien letztes Jahr zahlreiche Menschen beim Rekordsommer mit Temperaturen von bis zu 50 Grad.
Alle Beteiligten weisen somit jede Schuld von sich. Das tat auch Siemens. In einer recht empathielosen Erklärung verwies Siemens-Chef Joe Kaeser darauf, dass die australische Wahl letztes Jahr auch ein Referendum für Adani gewesen sei. Doch beim Wahlkampf hatte Adani kaum ein Rolle gespielt, unter anderem, weil sich Labour zierte, das Projekt anzugreifen. Am Ende ist es wie bei so vielen Katastrophen, die im Kapitalismus produziert werden: Jedes Jahr zu Weihnachten kommen Meldungen über die Feuer rein, machen Videos über die armen Koalas die Runde, versehen mit einer Spendenaufforderung – und man scrollt einfach weiter in der Timeline. Und einfach so verschwindet eine Fläche von der Größe Belgiens in einem Feuer, das sein eigenes Mikroklima entwickelt und dessen Rauch die südamerikanische Küste erreicht. In ein paar Jahren schon könnte das zur Normalität geworden sein. Es darf nicht sein, dass die Analyse über den globalen Charakter der Klimakrise und deren Verursacher dem business as usual weicht, denn der bringt uns am Ende noch um.