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|ak 709 | Umwelt

Zu Gast bei fossilen Hardlinern

Die Weltklimakonferenz in Baku steht im Schatten mächtiger Interessen der Öl- und Gasindustrie

Von Karl Winter

Schriftzug: Azerbaijan darunter COP29
Umweltschutz in den Hochburgen Gasfans. Ob das klappt? Foto: IAEA Imagebank/Flickr, CC BY-SA 2.0

Justin Tkatchenko ist bei dieser Weltklimakonferenz gleich ganz daheim geblieben – aus Protest gegen die Ergebnisse der bisherigen Konferenzen, die man wohlwollend als zu zögerlich beschreiben könnte. Tkatchenko ist Außenminister von Papua-Neuguinea, wo sowohl Staatsgebiet als auch Bevölkerung vom Steigen des Meeresspiegels bedroht sind. Für andere Staatsleute auf der COP29, der 29. Weltklimakonferenz, die zum Erscheinen dieser Ausgabe gerade in Aserbaidschans Hauptstadt Baku stattfindet, ist die Klimakrise weniger existenzbedrohend, die Lebensbedingungen wird sie indes auch dort grundlegend umwälzen.

Das gilt beispielsweise für die USA, deren Konzerne immer noch mehr Öl fördern als die jedes anderen Landes. Zwar gefährdet die Klimakrise auch Teile der USA massiv, und zunehmende Hurrikans und Waldbrände töten auch dort immer mehr Menschen. Für die Existenz der USA als ökonomische und politische Weltmacht ist das aber (noch) nicht bedrohlich. Bedrohlich hingegen wäre, wenn das Geschäft US-amerikanischer Öl- und Gaskonzerne eingestellt oder stark eingeschränkt würde. Das ist wiederum der Grund, warum auch Donald Trump, bald wieder Spitzenmann des US-Imperialismus, Kritik an der COP laut werden lässt – vielleicht muss man es auch eher pöbeln nennen. »Drill, baby, drill!« hatte Trump im Wahlkampf skandieren lassen, »Bohr, Baby, bohr!«, womit das Bohren nach Gas und Öl gemeint ist.

Das ist aus zwei Gründen nicht einfach irrational und dumm, sondern folgerichtig. Erstens, weil das US-Imperium auf den Öl-Förderquellen in den USA, aber auch in Saudi-Arabien und anderen Ländern aufgebaut wurde. Und zweitens, weil auch Trumps eigene Machtbasis zumindest in Teilen auf Geldern der Öl- und Gasmagnaten aufbaut. Trumps Parole ist Ausdruck der Interessen der wichtigsten Kapitalfraktionen in den USA, sie ist nicht irrationaler als das System, dem er entspringt. Wobei dieses System kein monolithischer Block ist und es auch Kapitalfraktionen gibt, die gerne eine andere Politik hätten.

Der scheidende US-Präsident Joe Biden hatte versucht, in diesem Kräfteringen zu vermitteln, er war wohl der bessere »ideelle Gesamtkapitalist« (Engels), also Anwalt der allgemeinen, langfristigen Bedingungen der Kapitalverwertung – auch gegen kurzfristige Profitinteressen bestimmter Einzelkapitale: Mit einer Gesetzgebung zur Emissionsreduktion hatte Biden Steuersubventionen für Solarparks, Windkraft, Dämmung und E-Mobilität versprochen, immerhin 370 Milliarden US-Dollar sollten es sein, verteilt auf zehn Jahre. (ak693) Trump wird wohl zumindest Teile dieser Politik sowie Umweltauflagen für die fossilen Industrien wieder einreißen.

Aserbaidschan: Autokratie und Gas-Partner der EU

Fossile Hardliner sind bei der COP29 auch die Gastgeber – mal wieder. Während die Weltklimakonferenz im letzten Jahr in der Gas-Autokratie Katar stattgefunden hatte, tagen die rund 20.000 Teilnehmer*innen dieses Jahr in Baku, der Hauptstadt Aserbaidschans. Geleitet wird die Konferenz von Muchtar Babajew. Der hat in den letzten zwei Jahrzehnten Karriere bei Socar gemacht, dem größten Öl- und Gaskonzern Aserbaidschans. Heute ist er Minister für Umwelt und Ressourcen.

Auch die Macht Aserbaidschans ist fossil: Nach Angaben der Internationalen Energieagentur machen fossile Brennstoffe 90 Prozent der Exporteinnahmen des Landes aus und 60 Prozent der Staatseinnahmen sowie mehr als ein Drittel des Bruttoinlandsproduktes. Während die Ölproduktion des Landes seit 2010 rückläufig ist, steigt die Gasproduktion ungebremst an. Als »Geschenk Gottes« bezeichnete Aserbaidschans Machthaber Ilham Alijew die Öl- und Gasvorkommen seines Landes beim Petersberger Klimadialog im April 2024. Das aserbaidschanische Gas macht das Alijew-Regime zu einem »zuverlässigen Partner«, wie es EU-Kommisionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) bei ihrem Besuch in Baku kurz nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine formulierte. Von der Leyen und Alijew unterschrieben eine Absichtserklärung über steigende Gasimporte aus Aserbaidschan: Ab 2027 sollen sie sich auf jährlich 20 Milliarden Kubikmeter mehr als verdoppeln. Seither fließt mehr und mehr Gas aus Baku Richtung Europa.

Als Geschenk Gottes bezeichnete der Gastgeber der Weltklimakonferenz, Aserbaidschans Machthaber Ilham Alijew, die Öl- und Gasvorkommen seines Landes.

Dabei schielen Energieunternehmen und Politik auch auf das Land, das sich auf der anderen Seite des Kaspischen Meers, also weiter östlich befindet: Turkmenistan. Auch dort stand in den letzten Jahrzehnten Öl im Vordergrund, aber auch in Turkmenistan, das ebenfalls autokratisch regiert wird, gibt es viel Gas. Ziemlich viel sogar, das Land verfügt über die viertgrößten Reserven gleich hinter Russland, Iran und Katar. Seit sich Aserbaidschan und Turkmenistan 2021 auf eine Kooperation geeinigt haben, ist auch Turkmenistan dem europäischen Gasmarkt ein Stück näher gekommen. So wie das Gas aus Aserbaidschan würde das Gas aus Turkmenistan Europa über die Türkei erreichen, genauer gesagt über die Transanatolische Pipeline (Tanap).

Eine moderne fossile Autokratie braucht heutzutage aber auch Greenwashing: So hat Socar im Dezember 2023 den Ableger »Socar Green« gegründet. Diese Unternehmenstochter will in Wind und Solar investieren, Energie, die teils auch mit grünem Wasserstoff gespeichert und transportiert werden soll. Die Windturbinen und Solarparks sollen unter anderem in Bergkarabach entstehen, in der Region also, aus der das aserbaidschanische Regime 2023 mehr als 100.000 Armenier*innen vertrieb, um sie ethnisch zu säubern und zu besetzen. (ak 697) Die erneuerbare Energie soll die Förderung von Öl und Gas in Aserbaidschan aber nicht reduzieren, sie dient ausschließlich dazu, einen noch größeren Anteil der fossilen Energie an die EU verkaufen zu können.

Klimaneutral? So spät wie möglich

Nicht zuletzt der Gastgeber lässt die COP29 also schlecht dastehen. Dabei geht es um viel, vor allem um viel Geld. Auf der diesjährigen Weltklimakonferenz wird das neue gemeinsame Finanzierungsziel zur Unterstützung von ärmeren Ländern im Kampf gegen die Klimakrise, das New Collective Quantified Goal on Finance (NCQG) verhandelt. Außerdem werden erste Staaten ihre nationale Klimaschutzbeiträge (NDCs) für 2035 vorlegen – ein wichtiger Zwischenschritt auf dem Weg zur angestrebten Klimaneutralität bis 2050. Ob die erreicht wird – und unter welchen Bedingungen –, ist fraglich. Denn nicht zuletzt sind neben Vertreter*innen von Regierungen, NGOs und Medien auch viele Lobbyist*innen von Gas- und Ölindustrie nach Baku geflogen, um das mit der Klimaneutralität so lange hinauszuzögern, wie es nur geht.

Auf der Klimakonferenz von 2009 in Kopenhagen wurde vereinbart, dass die Industrieländer den Entwicklungsländern insgesamt 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr zur Verfügung stellen. Seit 2022 wird diese Summe auch erreicht. Was wenig mit Solidarität zu tun hat, denn das Geld wird in Form von Darlehen und Investitionen ausgegeben und erhöht den Schuldenberg des Globalen Südens. Und trotzdem schafften die Kopenhagener Milliarden Möglichkeiten für die Förderung erneuerbarer Energien.

In Kopenhagen wurde damals auch festgelegt, dass ab 2025 eine Anschlussfinanzierung vereinbart werden muss. Um die wird jetzt gerungen. Dabei tun sich verschiedene Staaten zu Interessengemeinschaften zusammen. Papua-Neuguinea ist im Block der Small Island Developing States vertreten, auch ohne Außenminister Justin Tkatchenko. Es ist ein ungleicher Kampf in einem Ring, in dem es für die Schwergewichte um Geld, und für die Leichtgewichte ums Überleben geht.

Karl Winter

ist freier Journalist.