»Schlanker, einfacher, effizienter«
Mit großem Tamtam wurde die Intel-Ansiedlung in Magdeburg angekündigt, nun könnte sie sich bereits vor dem ersten Spatenstich erledigt haben – warum?
Die geplante Ansiedlung zweier Chipfabriken in Magdeburg ist (oder war) mehr als ein gewöhnliches Investitionsvorhaben. (Siehe ak 690) Die Formulierung des Ministerpräsidenten Reiner Haseloff, dem zufolge sie »ein Quantensprung für Sachsen-Anhalt, ein Meilenstein für den ostdeutschen Wirtschaftsraum« sei, umschreibt in etwa das Anspruchsniveau, auf dem nicht nur Stadt und Land, sondern auch Bund und EU die Ansiedlung sehen. Mit Intels Ankündigung im März 2022 hätten sich endlich die jahrzehntelangen Bemühungen politischer Standortentwickler*innen in Ostdeutschland ausgezahlt: Die lang erträumte Krönung der marktwirtschaftlichen Integration Sachsen-Anhalts würde nach über dreißig Jahren »Aufbau Ost« Realität werden.
Doch noch vor dem ersten Spatenstich wurde die Verwirklichung dieses Traums um zwei Jahre aufgeschoben – für viele Kommentator*innen aus Politik, Wirtschaft und Medien hat sich die Ansiedlung bereits gänzlich erledigt. Stimmen diese Prognosen? Ein Blick aus der Perspektive der politischen Ökonomie kann dabei helfen, das aktuelle Geschehen um Intel, dem einstigen Marktführer der Chipindustrie, zu verstehen.
Was hinter der Krise steckt
Seit August 2024 ist vermehrt in deutschen Medien zu lesen, dass Intel in einer Krise steckt. Als Gründe dafür werden Verluste in Milliardenhöhe in den letzten Quartalen und der darauf hin eingebrochene Börsenkurs des Unternehmens angeführt, worauf Intel mit Kosteneinsparungen reagiert. Der Fokus auf solche Krisenanzeichen versperrt allerdings den Blick darauf, was Intel mit den Kosteneinsparungen bezweckt. Das Unternehmen hat schon im vergangenen Jahrzehnt seine marktbeherrschende Stellung in der Chipindustrie eingebüßt und befindet sich seitdem in einer strukturellen Krise. Um den Halbleiterhersteller wieder profitabler zu machen, ist Pat Gelsinger 2021 als neuer Hauptgeschäftsführer mit einem Fünfjahresplan, der sogenannten IDM 2.0-Strategie, angetreten, der das Geschäftsmodell des Unternehmens grundlegend verändern soll.
Dieser Plan sieht unter anderem vor, dass Intel, unterstützt durch Subventionen von EU und USA, das kapitalintensive Geschäft der Auftragsfertigung für Chips massiv aus-, also neue Produktionsanlagen aufbaut. Als Kosten dafür sind 150 Milliarden Dollar veranschlagt, die – nebst staatlichen Subventionen von bis zu 32 Milliarden Dollar – größtenteils am Finanzmarkt eingesammelt werden sollen. Der Journalist Stephan Kaufmann hat darauf hingewiesen, dass Investor*innen am Finanzmarkt dafür etwas geboten werden muss: Im Fall von Intel sind es Massenentlassungen. Dass diese Maßnahme nicht unmittelbar den gewünschten Effekt erzielte, führte G. Dan Hutcheson von TechInsights gegenüber der Financial Times darauf zurück, dass Gelsinger an Glaubwürdigkeit verloren hätte. Weiter sagte er: »Wenn die Entlassungen zu Beginn (von Gelsingers Fünfjahresplan) stattgefunden hätten, würden die Aktien stattdessen steigen.« Insofern sind die angekündigten Entlassungen von 15.000 Beschäftigten weniger ein Zeichen der Krise, und vielmehr als ein probates Mittel zu verstehen, mit dessen Hilfe der Übergang zu jenem neuen Geschäftsmodell bewerkstelligt werden soll, von dem sich Intel in der Zukunft mehr Profite erhofft.
Alle ökonomisch potenten Staaten sind derzeit darum bemüht, die Chipindustrie mittels Subventionen auf den jeweils heimischen beziehungsweise »richtigen« Standort zu verpflichten.
Auf dem Weg dahin ist Intel nun an einen Wendepunkt gekommen, an dem das Management Maßnahmen ergreift, »um Intel schlanker, einfacher und effizienter zu machen«, wie Gelsinger in einem offenen Brief an »das Team« schrieb. Die Rede vom »schlanken Unternehmen« bedeutet in der Konsequenz nicht nur, dass unproduktiv gewordene Arbeitskraft abgestoßen, sondern auch die verbliebene Belegschaft zur Erreichung der Zielstellung von der Unternehmensleitung in die Pflicht genommen wird. So richtet sich Gelsinger zum Ende des Briefes direkt an die Beschäftigten, lobt ihre tugendhafte Aufopferungsbereitschaft und macht unter Verwendung des alle eingemeindenden »Wir« klar, worauf nun jede*r, vom Hausmeister bis zum CEO, unmissverständlich einzuschwören ist: »Ich weiß Ihre Geduld, Ihren Mut und Ihre Belastbarkeit sehr zu schätzen, während wir die harte Arbeit leisten, die nötig ist, um unseren Plan umzusetzen und unser Unternehmen für die Zukunft zu positionieren.«
Kaufmann schreibt zurecht, dass Arbeitskraft für die Kapitalseite nur »als potenzielle Ressource von Wachstum und Gewinn« gilt und damit klar ist, »wer hier wem zu dienen hat: die Lohnabhängigen dem Wachstum«. Sollte Intel noch nach Magdeburg kommen, so wird dieser Grundsatz auch für die voraussichtlich 3.000 Beschäftigten am dortigen Standort gelten. Sobald das neue Geschäftsmodell nicht das halten kann, was es verspricht, sind auch sie schlicht Manövriermasse – der ganz normale Alltag der kapitalistischen Produktionsweise.
Protektionistisch sind immer die anderen
Einige Kommentator*innen machen die »America-First-Politik« als vornehmlichen Grund dafür aus, warum die Intel-Ansiedlung in Magdeburg scheitern würde. Für Wulf Gallert etwa, den wirtschaftspolitischen Sprecher der Linksfraktion in Sachsen-Anhalt, handelt es sich um eine »protektionistische Strategie der USA«, wegen derer der europäische Standort unter Druck gesetzt werde. Damit hat er erst einmal Recht. Allerdings liegt er falsch, wenn er sagt, dass die Intel-Ansiedlung in Magdeburg »Opfer« dieser Programmatik sei. Denn die europäischen und deutschen Standortentwickler*innen hatten als Reaktion auf den US-amerikanischen Vorstoß ein ähnliches Subventionsprogramm für die Chipindustrie auf den Weg gebracht, das eine wesentliche Bedingung für die nun aufgeschobene Intel-Ansiedlung in Magdeburg darstellt und diese damit überhaupt erst ermöglicht hat.
Alle ökonomisch potenten Staaten sind derzeit darum bemüht, diese Schlüsselindustrie mittels Subventionen auf den jeweils heimischen beziehungsweise »richtigen« Standort zu verpflichten – aber protektionistisch sind immer die anderen. Von dieser weltweiten industriepolitischen Gemengelage schmarotzt Intel im Speziellen und die Chipindustrie im Allgemeinen. Mit Industriepolitik werden Gewinner ausgewählt, nicht nur, weil ganze Sektoren und einzelne Unternehmen staatliches Geld erhalten, sondern auch, weil dem nach Anlageoptionen suchenden Finanzkapital signalisiert werden soll, in den ausgewählten Sektor beziehungsweise das Unternehmen zu investieren. Durch staatliche und private Geldmacht im Rücken wird Intel in die Lage versetzt, die Produktion zugleich auf mehreren Kontinenten massiv auszubauen und so ihr ambitioniertes Unterfangen in die Tat umzusetzen. Damit will sich das Unternehmen in der Konkurrenz um Marktanteile in Nordamerika, Europa und Asien in Stellung bringen – Märkte, denen im Zeitalter digitaler Wertschöpfungsketten ein sagenhaftes Wachstum bescheinigt wird.
Für Intel stellt sich also nicht die Frage, ob es entweder in den USA oder in Europa investieren soll. Vielmehr ist für das Unternehmen unter den Gesichtspunkten aktuell fehlender finanzieller Liquidität und einem vor allem in Europa schwächelnden Absatzmarkt die Frage entscheidend, welche Investitionen es priorisiert – und welche hinten anzustellen sind.