Linkes Comeback, rechter Durchmarsch
Erste Überlegungen zur Lage am Tag nach der Wahl – und was jetzt auf die Linke in und außerhalb der Partei zukommt
Von Jan Ole Arps und Nelli Tügel

Endlich, das Pflaster ist abgerissen, die Wahl ist vorbei. Friedrich Merz wird der neue Bundeskanzler, regieren wird er wahrscheinlich im Zweierbündnis mit der massiv geschwächten SPD, nicht ganz ausgeschlossen ist aber auch eine Dreierkoalition mit SPD und Grünen. Die AfD hat ihr Ergebnis von 2021 verdoppelt und wird die neue Bundesregierung mit doppelter Kraft von rechts vor sich hertreiben. Die FDP ist draußen, Christian Lindner zieht sich aus der Politik zurück. Das BSW ist denkbar knapp unter der Fünf-Prozent-Hürde geblieben – den Unterschied machten wenige tausend Stimmen –, gut möglich, dass die Partei das Wahlergebnis anfechten wird, entsprechendes Geraune über Wahlbetrug bringen ihre Noch-Abgeordneten bereits in Umlauf.
Die Linkspartei dagegen ist fulminant zurück: 8,8 Prozent, das sind mehr als vier Millionen Wähler*innen, und nicht nur drei Wahlkreise hat Die Linke gewonnen, sondern sechs, darunter mit Neukölln ihr erstes Westmandat. Eventuell müssen sich Linke-Kandidat*innen, zumal die auf den hinteren Listenplätzen, also nicht nur von der Wahlparty erholen, sondern auch von dem Schock, dass ihre Lebensplanung gestern über den Haufen geworfen wurde: Die Linke wird nun jede Menge Abgeordnete in den Bundestag schicken, die nie damit gerechnet und nur »aus Höflichkeit« einen Listenplatz übernommen hatten, wie jemand auf der Linken-Wahlparty amüsiert erzählte. Noch ein »Fun Fact«: Friedrich Merz wird der wohl unbeliebteste Bundeskanzler aller Zeiten werden. Als »sympathisch« wollen ihn nur 24 Prozent der Befragten bezeichnen, das sind weniger als die 28,5 Prozent, die gestern für die Union gestimmt haben. Nicht einmal seine Wähler*innen mögen Merz.
Der Wind bläst von rechts
Der 69-jährige Ex-BlackRock-Millionär hat, statt wie geplant mit einem »Wirtschaftswahlkampf« gemütlich über die Ziellinie zu segeln, Ende Januar den Kampf gegen Migrant*innen zum zentralen Wahlkampfthema gemacht und sich damit in eine Konkurrenz begeben, bei der er nicht viel gewinnen konnte. Obendrein hat er die AfD erstmals zur Mehrheitsbeschafferin bei Bundestagsabstimmungen aufgewertet und damit die bis dahin auf Bundesebene geltende »Brandmauer«, die er selbst noch im November hochgehalten hatte, gekippt. Es hat ihm letztlich nicht geschadet. Das liegt an der gravierenden Verschiebung gesellschaftlicher Stimmungen nach rechts, vor allem mit Blick auf die Migrationspolitik. Das rassistische Trommelfeuer des vergangenen Jahrzehnts zeigt Wirkung: Fast 70 Prozent sprechen sich in Umfragen dafür aus, dass Deutschland weniger Geflüchtete aufnehmen sollte – Anfang 2015 waren es noch 20 Prozent.
Das rassistische Trommelfeuer des vergangenen Jahrzehnts zeigt Wirkung: Fast 70 Prozent sagen in Umfragen, dass Deutschland weniger Geflüchtete aufnehmen soll – Anfang 2015 waren es noch 20 Prozent.
Genutzt hat das Manöver Merz aber auch nicht. Gegenüber den Umfragen von Ende Januar hat es ihm ein bis zwei Prozent der Stimmen gekostet, der AfD ein bis zwei Prozent zusätzlich beschert. Wenn man auf Anfang November zurückblickt, als die Ampelkoalition zerbrach, hat die Union sogar vier bis fünf Prozent eingebüßt, die AfD drei bis vier Prozent zugelegt. Merz’ vor einigen Jahren formulierter Anspruch, die AfD zu halbieren und die CDU zu stärken, ist jedenfalls gescheitert: Die Union hat im Vergleich zu den letzten Bundestagswahlen eine Million Stimmen an die AfD verloren. Konsequenzen für die Politik unter Merz als Kanzler wird das kaum haben. Da SPD und Grüne in der Migrationspolitik ebenfalls deutlich nach rechts gerückt sind, ist hier nach der Wahl eine Fortsetzung des bereits eingeschlagenen Kurses zu erwarten. Diese Fortsetzung ist, was Merz und Söder am Wahlabend mit »Kurswechsel« meinten, als den sie den Wähler*innenauftrag verstanden wissen wollten: noch mehr AfD-Politik, nicht weniger.
Die Rückkehr der Linken
Von dieser Schlandmauer aller anderen Parteien hat die Linkspartei profitiert, die sich als einzige glaubhaft als antifaschistische Kraft profilieren konnte, was mit Sicherheit eine Ursache für ihren unerwarteten Aufschwung in den letzten Wochen ist – dafür spricht etwa, dass 700.000 Wähler*innen von den Grünen zu ihr abgewandert sind und mehr als 500.000 von der SPD, trotz vielfacher Bedenken in beispielsweise außenpolitischen Fragen in diesen Gruppen.
Ja, die Linkspartei hatte »Glück«, der Ausländer-Raus-Wahlkampf aller anderen Parteien hat es ihr ermöglicht, sich in Abgrenzung davon als echte, auch konfrontativ auftretende Opposition zu präsentieren; etwas, das lange fehlte. Die Trennung vom BSW (bzw. die Trennung des BSW-Personals von der Linkspartei) war dafür eine notwendige Voraussetzung und ist auch deshalb ein Befreiungsschlag gewesen, weil Die Linke zum ersten Mal seit langem während eines Wahlkampfes wirklich an einem Strang ziehen konnte. Und ihr dramatisch verbesserter Social-Media-Auftritt hat der Linkspartei darüber hinaus Türen zu jungen Wähler*innengruppen geöffnet, die ihr bisher verschlossen waren. Bei den Jungwähler*innen(18- bis 29-Jährige) ist Die Linke stärkste Partei geworden, das ist ermutigend, gerade weil in den vergangenen Jahren AfD und FDP hier besonders gut abschnitten. Ebenfalls bemerkenswert: Die Linke ist keine Ost-Partei mehr, drei Viertel ihrer neuen Abgeordneten werden aus dem Westen kommen.
Einer der Hauptgründe für den Erfolg der Linken ist indes im Verhältnis zu den anderen aufgeführten Gründen nur wenig besprochen worden: die strategische Neuaufstellung nach dem Wechsel an der Parteispitze vergangenen Herbst, die einen echten Kurswechsel markiert. Statt als etwas linkere Version aller anderen Parteien aufzutreten, hat sie die Klassenfrage in den Mittelpunkt gestellt: Mietendeckel, hohe Preise, Reichensteuer – und ist strikt bei diesen Themen geblieben.
Einer der Hauptgründe für den Erfolg der Linken ist die Neuaufstellung nach dem Wechsel an der Parteispitze vergangenen Herbst. Statt als etwas linkere Version aller anderen Parteien aufzutreten, hat sie die Klassenfrage in den Mittelpunkt gestellt, ein echter Kurswechsel.
Flankierend gab es praktische Angebote wie den Mietwucherrechner und die Heizkosten-App, die deutlich machten: Die Linke hilft wirklich, nicht nur mit Parolen; Tausende kriegen Dank der Nebenkostenprüfungen Geld zurück. Unter diesem Motto (»Die Linke hilft«) bietet die Linkspartei auch Sozialberatungen an, mit ihrem Haustürwahlkampf ist sie nicht nur zu Hunderttausenden Menschen hingegangen, sondern hat auch ein Mitmachangebot geschaffen, das Linke weit über die eigene Mitgliederbasis hinaus angenommen haben. Haustürwahlkämpfer*innen berichten, dass mindestens die Hälfte derer, die die linke Botschaften an die Haustüren gebracht haben, keine Parteimitglieder waren. Das, zusammen mit dem guten Social-Media-Wahlkampf und Standhaftigkeit in Sachen Asyl und Migration, dürfte dazu geführt haben, dass Die Linke tatsächlich als jene Partei wahrgenommen wurde, die die materiellen Sorgen und Nöte der unteren Klassen zur Sprache bringt und die einzige echte soziale Opposition im Bundestag sein wird. Bei Nachwahlbefragungen gaben 47 Prozent an, die Linke sei die Partei, die sich »am stärksten um sozialen Ausgleich« bemühe.
Diese klare Fokussierung auf die Klassenfrage geht einher mit einer Dethematisierung anderer Fragen, das ist die deutlichste Veränderung gegenüber der bisherigen Politik der Partei. Wenn es nötig war, wie am Tag der gemeinsamen Abstimmung von Union und AfD, hat Die Linke ihre Positionen klar vertreten, von sich aus aber konsequent andere Themen – Mietendeckel, »gerechtes Steuersystem« usw. – gesetzt. Wer sich noch einmal die Debatten des letzten Jahres zur Neuaufstellung der Partei vornimmt, muss feststellen: Die eingeschlagene Strategie hat sich ausgezahlt, die Gegenvorschläge – etwa Rückzug und Neuaufbau aus der Defensive – lagen falsch. Anders, als es manche Debatten um Klassenpolitik vs. Identitätspolitik in und außerhalb der Partei befürchten ließen, wurden für die Zentrierung von Klassenfragen andere progressive Haltungen aber nicht geopfert.
BSW: Verkalkuliert
Im Gegensatz zum BSW, das in Nullkommanichts vom Shootingstar zum Rohrkrepierer geworden ist und im neuen Bundestag aller Voraussicht nach nicht vertreten sein wird. Gelegen hat’s vor allem daran, dass ihr Hausthema – »Friedenspolitik« – in diesem Wahlkampf eine eher untergeordnete Rolle spielte. Und die soziale Frage hat, Ironie der Geschichte, nicht das BSW, sondern Die Linke konsequent bespielt. Beim Ausländer-raus-Wahlkampf konnte das BSW gegenüber AfD und CDU nicht mithalten. Nicht einmal die Tatsache, dass Wagenknecht Merz’ Abstimmungsmanöver – mit der AfD stimmen, wenn man in der Sache übereinstimmt – als erste ausgegeben und Merz es eigentlich nur kopiert hat, hat dem BSW genutzt.
Dafür haben einstige Linke im BSW in Windeseile frühere Prinzipien über Bord geworfen und mit Nazis gestimmt, was einige BSW-Interessierte dann doch abgeschreckt haben dürfte. Ein Gründungsanspruch des BSW war, der AfD Prozente wegzunehmen, damit ist es krachend gescheitert. Stattdessen hat das BSW auf den letzten Metern des Wahlkampfs – und schon zuvor in den Wahlkreisen – Die Linke zur Hauptgegnerin erklärt. Immerhin hat das intern Spuren hinterlassen: Einige Gewerkschafter*innen in Bayern sind wegen der Abstimmung mit der AfD ausgetreten, drei von zehn BSW-Parlamentarier*innen sind der Abstimmung fern geblieben, auch das deutet auf interne Reibereien hin.
Die soziale Frage hat, Ironie der Geschichte, nicht das BSW, sondern Die Linke konsequent bespielt.
Am meisten dürfte dem BSW aber geschadet haben, dass es, berauscht vom eigenen Erfolg, nur kurz nach Gründung bereits in zwei Landesregierungen eingetreten ist. Man kann schlecht Fundamentalopposition sein, wenn man mitregiert. Den Platz als echte Opposition gegen die »Altparteien« hat das BSW damit geräumt, dort macht sich rechts weiter die AfD, links wieder Die Linke breit. Der Platz dazwischen – ein bisschen von beidem – dürfte enger werden. Gut möglich, dass das BSW sich von diesem Rückschlag nicht mehr erholt. Gründerin und Namensgeberin Wagenknecht hat bereits ihren Rückzug aus der Politik im Falle eines Nichteinzugs in den Bundestag angekündigt. Allerdings: Da das BSW ein Milieu vertritt, das nicht wirklich eine politische Heimat hat: sozioökonomisch für Umverteilung, in der Migrationspolitik für Verschärfungen, in der Außenpolitik an der Seite Russlands, ist es nicht ausgeschlossen, dass es sich doch noch erholt. Zumal die Außenpolitik in den nächsten Monaten mit Wucht als Thema wiederkehren wird.
AfD profitiert
Die AfD hat ihr Ergebnis gegenüber der letzten Bundestagswahl verdoppelt, und das bei einer rekordverdächtigen Wahlbeteiligung von über 80 Prozent. Mehr als zehn Millionen Menschen haben ihr Kreuz ganz rechts außen gemacht, fast fünf Millionen mehr als vor vier Jahren. Wenn man in die ostdeutschen Länder schaut, ist die AfD – mit Ausnahme von Berlin – mit Abstand führende Kraft. Von 32,5 Prozent (Brandenburg) bis 38,6 Prozent (Thüringen) reichen dort ihre Ergebnisse; die zweitplatzierte CDU liegt in allen ostdeutschen Bundesländern mindestens 15, teils 20 Prozent dahinter. In Dörfern und Kleinstädten ist die Lage noch dramatischer. Für linke oder auch nur demokratisch gesinnte Menschen, vor allem aber für Nicht-Deutsche und Migrant*innen sind dies mehrheitlich feindliche Landstriche.
Aber auch bundesweit ist das AfD-Ergebnis erschreckend: Ein Fünftel der Wahlberechtigten wünscht sich extrem rechte Politik – oder hat zumindest keinerlei Hemmungen, dafür zu stimmen. Die AfD hat alle anderen Parteien (mit Ausnahme der Linken) ebenfalls nach rechts gezogen. Die Grünen klingen heute wie die CDU vor vier Jahren, die CSU ist mit einem Wahlprogramm angetreten, das über weite Strecken dem der AfD von 2021 entspricht.
Nach Merz’ Abstimmungsmanöver steht nun eine weitere Normalisierung der AfD bevor, die wir in den nächsten Jahren vor allem in den Bundesländern beobachten werden. Die AfD kann sich Hoffnungen machen, dass dort, also auf Landesebene, das Kooperationsverbot der CDU fallen und sie vor allem bei Migration die Politik der neuen Bundesregierung weiter vorformulieren wird. Zudem ist sie mit verdoppelter Fraktion auch materiell enorm gestärkt: 152 Abgeordnete wird sie in den neuen Bundestag schicken.
Wie geht es jetzt weiter?
Die nächste Bundesregierung – vermutlich Schwarzrot – wird wohl eine autoritär radikalisierte Variante der bisherigen Politik verfolgen. In der Migrationspolitik sind weitere Verschärfungen zu erwarten, in der Klimapolitik Stillstand, in der Sozialpolitik geht es Bürgergeldbezieher*innen an den Kragen, in der Wirtschaftspolitik den Löhnen, denn der Exportstandort Deutschland ist nicht erst seit Trumps Zollankündigungen unter Druck. Die von Merz versprochene »Reindustrialisierung« in Konkurrenz zu China und den USA ist nur um den Preis von Lohnsenkungen und einer leichter ausbeutbaren Arbeiter*innenklasse möglich. Die Schuldenbremse dürfte reformiert werden, was eine gute Nachricht sein könnte, wenn es nicht zum Zweck drastischer Aufrüstung geschehen würde. Der sich abzeichnende Bruch im transatlantischen Verhältnis, die Neuausrichtung europäischer Sicherheitspolitik, Aufrüstung und Militarisierung werden die kommenden Monate bestimmen.
Der sich abzeichnende Bruch im transatlantischen Verhältnis, die Neuausrichtung europäischer Sicherheitspolitik, Aufrüstung und Militarisierung werden die kommenden Monate bestimmen.
Dies ist auch für Die Linke eine Herausforderung, die das Thema im Wahlkampf bewusst ausgeklammert hat. Doch in der Haltung zum Ukraine-Krieg, ebenso wie in der zum Krieg in Gaza, sind die Widersprüche in der Partei groß. Mit Jan van Aken, der profilierter Friedenspolitiker ist, hat die Linkspartei immerhin eine Person an der Spitze, die grundsätzliche Solidarität mit der angegriffenen ukrainischen Bevölkerung bei gleichzeitiger Ablehnung von Waffenlieferungen vertritt. Bisher hat das vor allem zu Forderungen, politisch stärker auf Verhandlungen für einen »gerechten Frieden« zu setzen, geführt. Diese Linie ist mit der neuen Lage aber schwieriger geworden, denn Verhandlungen gibt es nun, allerdings ohne Perspektive auf »gerechten« Frieden. Die verschärfte imperialistische Konkurrenz in Europa wird der Linken Positionierungen abverlangen, die sie teilweise erst noch entwickeln muss.
Denn erstens gehört Außen- und Friedenspolitik ohnehin zu den Themenfeldern in der Partei, die auch nach der Abspaltung des BSW kontrovers und bis heute ungeklärt geblieben sind. Und zweitens ist Die Linke nicht mehr dieselbe Partei wie noch vor einem Jahr. Im Zuge des Wahlkampfes ist sie de facto neugegründet worden: Seit November 2024 hat sich die Mitgliederzahl fast verdoppelt. Zehntausende Linke-Mitglieder, die natürlich auch ganz unterschiedliche Wünsche, Anliegen und Positionen mitbringen, sind erst seit wenigen Wochen Teil der Partei. Das wird diese massiv verändern und sie unmittelbar vor große Aufgaben stellen, denn in den letzten Wochen ist Die Linke so auch zu einer riesigen Projektionsfläche der Hoffnungen geworden.
Für die kommenden hundert Tage plant die Partei zunächst, Haustürgespräche fortzuführen und eine Kampagne für einen Mietendeckel aufzusetzen. Möglich, dass es ihr gelingt, mit Hilfe der neuen Mitglieder eine Bewegung dafür in Gang zu setzen. Falls nicht, ist auch das Potenzial für Enttäuschung da.
Was verändert sich für die radikale Linke?
Das Comeback der Linkspartei wird auch das Verhältnis von linker Partei und linken Bewegungen verändern. Wir wissen nicht, wie viele aus der radikalen Linken in den letzten Wochen in die Partei eingetreten sind, aber sehr viele haben den Wahlkampf unterstützt, der sich in Ballungsräumen wie Berlin oder Leipzig (in beiden Städten ist Die Linke stärkste Kraft geworden) fast zu einer Art sozialen Bewegung ausgewachsen hat. Sollten tatsächlich eine größere Zahl radikale Linker in die Partei rübergemacht haben, stellt sich die Frage nach der politischen Perspektive und Organisierung jenseits der Partei noch einmal anders als bisher.
Schon in den letzten Jahren hat die breit und ständig besprochene Krise der Linkspartei überdeckt, dass es auch in der radikalen Linken eine echte Organisationskrise gibt. Seit der Corona-Pandemie sind viele Gruppen und Initiativen zum Erliegen gekommen, eine eigenständige und übergreifende Strategiediskussion des linken Bewegungsspektrums gibt es nicht.
In der geschrumpften Klimabewegung stehen unterschiedliche politische Vorschläge nebeneinander, antirassistische Initiativen haben sich in einzelne Projekte und gelegentliche, eher schwach besuchte Proteste gegen Verschärfungen der Migrationspolitik zurückgezogen. Gegen die Kriminalisierung der Palästina-Solidarität gibt es keine sichtbare Antwort von links. Auch die antifaschistische Szene ist, von einigen wenigen Mobilisierungen wie zum AfD-Parteitag nach Riesa abgesehen, ratlos. Die Brandmauer-Demos haben, bei aller berechtigten Wut über die CDU-AfD-Kooperation, die migrationspolitischen Verschärfungen durch die Ampel-Parteien weitgehend ignoriert. Und die Berliner Mietenbewegung hat sich noch nicht vom Rückschlag beim Volksentscheid für die Vergesellschaftung von Wohnraum, der erst gewonnen, dann aber nie umgesetzt wurde, erholt. Wenn nun die Linkspartei eine Initiative für einen bundesweiten Mietendeckel starten sollte, wird sich auch die radikale Linke überlegen müssen, wie sie sich in dieses Projekt einbringt.
Das Comeback, die Wiederauferstehung der Linkspartei und der Zuspruch gerade von jungen Menschen, zeigt: Es gibt bei aller rechter Dominanz wieder mehr Bereitschaft, sich für progressive Ziele zu organisieren, und – vielleicht vor allem für die Klimabewegung eine wichtige Nachricht: die Klassenfrage ist »zurück«. Nicht nur die Partei, auch die radikale Linke ist gefragt, mit diesen Erkenntnissen etwas zu machen.