Brodelnder Nazisumpf
SS-Siggi ist tot, doch zwischen Siegerland und Ruhrgebiet ist die extreme Rechte keineswegs am Ende
Von Carina Book
Die Sonne lachte über dem Ruhrgebiet, als etwa 500 Neonazis am 9. Oktober einen Trauermarsch für den verstorbenen Dortmunder Neonazi SS-Siggi abhielten. Siegfried Borchardt hatte seinen Weg nach Walhalla am 3. Oktober angetreten und die Naziszene hat nun eine Ikone weniger. Bereits in den 1980er Jahren war Borchardt führendes Mitglied der rechten Hooligangruppe »Borussenfront« und am Aufbau der Partei »Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei« (FAP) beteiligt gewesen. Später gründete er die Kameradschaft Dortmund und gewann 2014 einen Sitz im Dortmunder Stadtrat für »Die Rechte«.
Am Trauermarsch nahm die Crème de la Crème der neonazistischen und rechtsterroristischen Szene der Bundesrepublik teil. Neben William Browning, dem Gründer von »Combat 18« (C18), und dem C18-Chef in Deutschland Stanley Röske gaben sich auch Borchardts alte Weggefährten Thomas Wulff und Christian Worch die Ehre. Organisiert wurde der Aufmarsch vom Dortmunder Alexander Deptolla (Die Rechte), der auch das rechte Kampfsportevent »Kampf der Nibelungen« verantwortet. Eine Trauerrede hielt Thorsten Heise. Der inzwischen von Dortmund nach Chemnitz gezogene Rechte-Kader Michael Brück machte ein Gesicht, als wäre ihm sein Handy geklaut worden. Der Tod von Borchardt schien viele schwer zu treffen. Ist die Naziszene in Nordrhein-Westfalen nun also am Ende?
»Im Gegenteil«, meint Leroy Böthel von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus im Regierungsbezirk Arnsberg, der große Teile des Ruhrgebiets und damit Dortmund einschließt. »Sicherlich war Siegfried Borchardt eine Figur, auf die man sich vom Hooligan-Spektrum bis in die Neonaziszene einigen konnte und die in den 1980er und 1990er Jahren eine wichtige Rolle gespielt hat. Dennoch muss man festhalten, dass er ab Mitte der 2000er Jahre nach einem Generationswechsel in die zweite Reihe gerückt ist und an Bedeutung verloren hat.« Es war eher eine taktische Entscheidung, Siegfried Borchardt 2014 für den Dortmunder Stadtrat kandidieren zu lassen – schließlich konnte Die Rechte von seiner Bekanntheit profitieren. Doch schon damals überließ Borchardt seinen Sitz nach wenigen Wochen dem jüngeren Neonazi Dennis Giemsch. Auch nach SS-Siggis Tod seien die Neonazis sowohl im östlichen Ruhrgebiet als auch in Siegen durchaus gut aufgestellt, erklärt Böthel weiter. Die Entwicklungen der vergangenen Jahre weisen darauf hin, dass die Szene stärker auf Events wie Konzerte und Kampfsportfestivals orientiert ist als auf die parlamentarische Arbeit. Das tut ihrer Gefährlichkeit jedoch keinen Abbruch.
Rechte Bedrohungslage in Nordrhein-Westfalen
Einen Rückschlag erlebte kürzlich »Der Dritte Weg« in Siegen. Mitte September wurde bekannt, dass der Mietvertrag für das Büro der rechten Splitterpartei nicht verlängert wurde. Eine Pleite für die Partei, die sich zuvor vor allem im benachbarten Olpe ausgebreitet hatte und nun ihre Fühler bis nach Wuppertal ausstreckt. Mit dem Verlust des Büros in Siegen könnte der »Der Dritte Weg« nun nach Auslaufen des Vertrages im Juli 2022 seine direkte Anbindung an das Dreiländereck Nordrhein-Westfalen, Hessen und Rheinland-Pfalz verlieren, was die Bedrohungslage für viele Menschen, die sich andauernden Attacken ausgesetzt sehen, zumindest etwas verbessern könnte. Seit etwa zwei Jahren mehren sich in Nordrhein-Westfalen Anschläge und Übergriffe. Sie sind meist rassistisch oder antisemitisch motiviert oder richten sich gegen politische Gegner*innen. »In Siegen zum Beispiel wurde 2018 eine Studentin in einer Kneipe rassistisch angegangen und durch die Straßen gejagt. Darüber hinaus beobachten wir Übergriffe von Neonazis aus dem Umfeld des Dritten Wegs. Sie patrouillieren und greifen Punks oder andere Menschen an, die nicht in ihr Weltbild passen«, berichtet Leroy Böthel.
Erst kürzlich war es sogar zu einem Brandanschlag auf ein syrisches Lebensmittelgeschäft in Siegen gekommen. Der Besitzer hatte zuvor zwei Drohbriefe erhalten, wie er gegenüber der Siegener Zeitung berichtete. Die offenkundig rassistischen Schreiben seien ihm durch den Türschlitz in das Geschäft geschoben worden. In der Nacht zum 19. September stand dann plötzlich alles in Flammen. Zwei 22-Jährige, die im Obergeschoss geschlafen hatten, konnten sich glücklicherweise noch in Sicherheit bringen, doch von dem erst im April eröffneten Laden blieb wenig übrig. Nun ermittelt der Staatsschutz.
In der Nacht zum 19. September stand der syrische Lebensmittelladen in Flammen.
Nur einen Tag zuvor brannte es im Bochumer Stadtteil Langendreer, der direkt an den Dortmunder Westen angrenzt. Ein Wohnmobil und ein Motorrad gingen in Flammen auf. Auf beiden Fahrzeugen sollen sich Antifa-Sticker befunden haben, wie die Initiative Langendreer gegen Nazis berichtet. Und so häufen sich auch in Bochum und Dortmund die rechten Attacken. Ende April dieses Jahres wurde mit einer Gasdruckpistole auf die Bochumer Synagoge am Stadtpark geschossen. Die Polizei ermittelt derzeit gegen einen 24-jährigen Tatverdächtigen. In Dortmund wurde Mitte Oktober der Gedenkort für Mehmet Kubaşık, ein Opfer des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), geschändet. »Neben der strafrechtlichen Verfolgung der rechten Täter braucht es in Nordrhein-Westfalen vor allem eine kritische Zivilgesellschaft vor Ort, die einer voreiligen Entpolitisierung solcher Taten entgegenwirkt und auf symbolische Wirkkraft rechter Gewalt und Anschläge hinweist. Das ist zum Glück vielerorts gegeben und insgesamt von großer Wichtigkeit«, sagt Leroy Böthel.