»Besser keine Reform als diese«
Die Krankenhausreform versprach Entökonomisierung – sie wird die existenziellen Probleme des Gesundheitswesens aber verschlimmern
Von Nadja Rakowitz

Die Krankenhauslandschaft in Deutschland ist dringend reformbedürftig. Für 2024 erwarten 70 Prozent der Kliniken betriebswirtschaftlich ein negatives Ergebnis, vielen von ihnen droht die Insolvenz. Nach 20 Jahren kapitalistischer Ökonomisierung und Konkurrenz durch das Fallpauschalen-System und nach den Verwerfungen durch die Corona-Pandemie sind die Zustände sowohl für die Patient*innen als auch die Beschäftigten so dramatisch, dass es dringend einer »Entökonomisierung« bedarf, einer Rückkehr zur Daseinsvorsorge. Noch besser wäre natürlich eine Revolution.
Diese hatte Gesundheitsminister Lauterbach im Herbst 2022 zu unser aller Überraschung angekündigt und dann zusammen mit der von ihm eingesetzten Kommission das angeblich dazu passende Reformkonzept vorgelegt. Die Vorstellung des Konzepts im Bundestag wurde ziemlich autoritär gerahmt und der Opposition vorgeworfen, dass sie sich anmaße, Kritik zu üben, obgleich das doch ein wissenschaftlich erarbeitetes Konzept sei. Was von der unabhängigen Wissenschaftlichkeit der verschiedenen Papiere der Kommission zu halten ist, hat das Bündnis Krankenhaus statt Fabrik seitdem für jedes einzelne Papier vorgeführt – ohne allerdings irgendwo gehört oder zur Kenntnis genommen zu werden. Nach einem öffentlichen Schlagabtausch vor allem mit den Landesvertreter*innen, die wegen der gesetzlichen Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern die Hoheit über die Krankenhausplanung beanspruchen, kam es im Sommer 2023 zu einem von BMG und Ländern konsentierten Eckpunktepapier, auf dem das im Oktober im Bundestag verabschiedete Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) wesentlich fußt.
Am 22. November wurde es nun im Bundesrat beraten. Vor der Tür desselben hatten sich Vertreter*innen des Bündnis Krankenhaus statt Fabrik, des Bündnis Klinikrettung und des Bündnis Gesundheit statt Profite zu einem letzten Protest formiert. Viele Teilnehmer*innen von der am gleichen Tag in Berlin stattfindenden ver.di-Krankenhaustagung und der Linkspartei zur Gesundheitspolitik unterstützten den Protest und forderten die Bundesratsmitglieder auf, für eine Weiterleitung an den Vermittlungsausschuss zu stimmen, um so die Reform noch zu stoppen. Vergeblich.
Einige Bundesländer hatten zwar für die Anrufung des Vermittlungsausschusses (aus 16 Ländervertretern sowie 16 Bundestagsabgeordneten) gestimmt, aber die Stimmenzahl reichte nicht aus. Die Krankenhausreform wird also wie geplant Anfang 2025 in Kraft treten.
Die gesetzlichen Krankenkassen überlegen allerdings, gerichtlich dagegen vorzugehen, dass die Kosten der Umstrukturierung der Krankenhäuser zur Hälfte den gesetzlichen Krankenkassen aufgebürdet werden sollen (Transformationsfonds). Dies ist tatsächlich ein Rechtsbruch und ein politischer Skandal. GKV-Versichertenbeiträge sind nicht dafür da, Transformationsprozesse in der stationären Versorgung zu finanzieren, sie sind allein zur gesundheitlichen Versorgung der Versicherten zu verwenden. Auch sind Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht möglich, da die Bundesländer Bayern, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg den Standpunkt vertreten, die Planungsbefugnisse der Länder würden grundgesetzwidrig unterlaufen.
Vorhaltekosten und Leistungsgruppen
Die Reform wird nicht das bringen, was Lauterbach und mit ihm nahezu die gesamten Presse- und Medienvertreter*innen behaupten: mehr Qualität, mehr finanzielle Sicherheit für kleine Häuser, Entmachtung der Fallpauschale.
Mit der Verabschiedung des Gesetzes wurde von Lauterbach klar und offen ausgesprochen, dass es keine Brückenfinanzierung für die von Schließung bedrohten Krankenhäuser geben wird und dass durch diese Reform in den nächsten Jahren hunderte Krankenhäuser (von aktuell ca. 1.700) geschlossen werden. Die Kritik von Krankenhaus statt Fabrik ist deshalb, dass das KHVVG nicht wie versprochen den rein betriebswirtschaftlich getriebenen kalten Strukturwandel der Kliniklandschaft stoppen, sondern im Gegenteil das Sterben insbesondere kleinerer Krankenhäuser auf dem Land verstärken wird. Denn die Veränderungen, die geplant sind, gehen in die falsche Richtung.
Sinnvoll wäre es, die Fallpauschalen abzuschaffen und ein Gewinnverbot einzuführen.
Zum einen sind da die Vorhaltekosten. Krankenhäuser müssen für ungeplante und unvorhersehbare Situationen Betten, Personal und Behandlungseinrichtungen vorhalten, das verursacht die sogenannten Vorhaltekosten. Doch die im Gesetz angekündigte und angeblich von den DRG (Fallpauschalen) losgelöste Vorhaltefinanzierung deckt diese Kosten überhaupt nicht ab, sondern ist mit dem Fallpauschalensystem gekoppelt und errechnet sich aus der Anzahl und Schwere der in vorangegangenen Jahren behandelten Fälle. Zusätzlich wird eine Vorhaltevergütung nur bei Erreichen von sogenannten Mindestvorhaltezahlen für diese Behandlungsfälle ausgezahlt, und die Höhe der Vergütung schwankt auch noch mit der Zahl der behandelten Patient*innen im ganzen Bundesland. Damit ist dieser Teil der Einnahmen für ein Krankenhaus nicht planbar. Und gerade kleine, für die Versorgung auf dem Land notwendige Krankenhäuser mit vergleichsweise wenigen Behandlungsfällen kommen bei dieser Pseudo-Vorhaltefinanzierung besonders schlecht weg.
Sinnvoll wäre es dagegen, die DRG vollkommen abzuschaffen, die komplette Finanzierung aller bedarfsnotwendigen Kosten für den Betrieb des Krankenhauses und ein Gewinnverbot einzuführen. Um wenigstens einen Teil der Vorhaltekosten zu finanzieren, wäre es das Mindeste – genau wie jetzt schon bei der Pflege – alle Personalkosten aus den DRG herauszunehmen und vollständig zu refinanzieren. Damit wäre auch der Fehlanreiz für die Kliniken beseitigt, aus ökonomischen Gründen unnötige Behandlungen durchzuführen, was zu Zeiten des Fachkräftemangels doppelt unsinnig ist.
Ein weiteres Thema sind die Leistungsgruppen. Zentraler Bestandteil des KHVVG ist die Einführung von 65 Leistungsgruppen (LG), denen sämtliche medizinische Leistungen (also alle DRG) der Krankenhäuser zugeordnet und mit denen bundesweit einheitliche Qualitätsstandards und Mindestanforderungen an deren personelle und technische Ausstattung festgelegt werden. Die Zuteilung der Leistungsgruppen an die einzelnen Krankenhäuser erfolgt durch die Landesregierung und ist Voraussetzung für die Abrechnungsberechtigung; dies kann unter anderen Bedingungen ein sinnvoller Baustein für Krankenhausplanung sein. Die Länder müssen dabei die für jede Leistungsgruppe bedarfsnotwendigen Kliniken und Fachabteilungen festlegen. Bundeseinheitliche Qualitätskriterien geben die jeweils notwendige Geräte- und Personalausstattung vor, die erfüllt sein müssen, um die Genehmigung für die jeweilige Behandlung zu erlangen. Da im KHVVG aber zusätzlich Mindestzahlen für jede Leistungsgruppe vorgesehen sind, wird aus eigentlich sinnvoller Planung ein zusätzlicher Anreiz zur Steigerung der Behandlungsfälle, der noch stärker ist als im bisherigen DRG-System, denn es geht bei Nichterreichen der geforderten Patient*innenzahlen um den Verlust von 40 Prozent aller Einnahmen der jeweiligen Leistungsgruppe. Zusätzlich droht eine Bürokratieorgie durch die Einführung einer zusätzlichen kleinteiligen und hoch komplizierten Abrechnungssystematik für die Vorhaltevergütung. Im Ergebnis sind die gesetzlichen Bestimmungen zu den Leistungsgruppen ein massiver Eingriff in die Planungshoheit der Länder und dienen als Selektionsinstrument zur Marktbereinigung und Zentralisierung.
Sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen
Schließlich sind da noch die sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen: Seit Jahrzehnten ist die Aufhebung der Trennung der ambulanten und stationären Versorgung überfällig. Viele Beteiligte setzen deshalb große Hoffnungen in ein Konzept sektorenübergreifender ambulant-stationärer Einrichtungen, die flexibel dem lokalen und regionalen Bedarf folgen und zugleich pflegerische und medizinische Versorgung anbieten sollten. Die im KHVVG vorgesehenen Regelungen für »sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen« werden diesem Anspruch aber nicht gerecht. Sie sind der Versuch, möglichst viele kleine Krankenhäuser vom Netz zu nehmen und eine Erweiterung der Betätigungsbereiche für niedergelassene Ärzt*innen durchzusetzen. Sie sind eine Mischung aus (Kurzzeit-) Pflegeheim und Kleinstkrankenhaus, aber keine Gewährleistung einer bedarfsgerechten wohnortnahen Versorgung, schon gar nicht ein Teil eines vernünftigen Primärversorgungssystems.
Zusammengefasst wird das KHVVG die existenziellen Probleme unserer Krankenhäuser weiter verschlimmern:
- Krankenhäuser, die in finanzielle Not geraten, bevor die Maßnahmen der Krankenhausreform Wirkung entfalten, bekommen keine überbrückende Zwischenfinanzierung. Sie werden schließen müssen, selbst wenn sie für die Versorgung unverzichtbar sind.
- Das Krankenhaussterben aus betriebswirtschaftlichen Gründen wird auch mit der Krankenhausreform, besonders in ländlichen Regionen, weiter zunehmen.
- Die finanziellen Steuerungsanreize mit Auswirkung auf medizinische Behandlungsentscheidungen werden zunehmen statt abzunehmen.
- Die Bedürfnisse der Patient*innen werden noch mehr in den Hintergrund gedrängt, die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten werden sich noch weiter verschlechtern, der Fachkräftemangel daher als Folge noch größere Ausmaße annehmen.
- Die Mitgliedsbeiträge der gesetzlichen Krankenkassen werden durch die Auswirkungen des Gesetzes weiter steigen.
Unser Slogan und unsere Forderung: »Besser keine Reform als diese Reform« war deshalb richtig, aber wirkungslos. Das war er auch deshalb, weil es von Seiten der Gewerkschaft ver.di keinen nennenswerten Widerstand, keine Kampagne, keine Mobilisierung gab. Das hat viele Menschen an der Basis, ob Beschäftigte und Aktive im Krankenhaus oder ver.di-Sekretär*innen die letzten Monate irritiert und viele richtig wütend gemacht. Es steht die Frage im Raum, ob der notwendige Widerstand gegen die Reform anders ausgesehen hätte, wenn der verantwortliche Gesundheitsminister nicht aus der SPD gekommen wäre. Für uns als Teil der Krankenhaus-Bewegung gegen die DRG stellen sich jetzt viele Fragen: Wie könnte wirksamer Widerstand in Zukunft aussehen? Was tun, wenn ver.di als kritische Massenorganisation ausfällt? Wie umgehen mit einem Journalismus und Medien, die Regierungspropaganda überhaupt nicht mehr kritisch hinterfragen? Wie kann man das Parlament wieder demokratisieren? Wie lassen sich Sozialstaat und Daseinsvorsorge zu Zeiten von Militarisierung und Aufrüstung verteidigen?