Was bleibt vom Green Deal der EU?
Angesichts von Bauernprotesten werden mehrere Umweltgesetze zurückgezogen
Von Guido Speckmann
Brüssel im Februar und März: Wütende Landwirt*innen zünden Heu an, veranstalten Hupkonzerte und kippen Mist auf die Straße. Die Polizei rückt mit einem Großaufgebot an, um Blockaden aufzulösen. Tränengas und Wasserwerfer kommen zum Einsatz.
Der Protest zeigt Wirkung: Zahlreiche Umweltauflagen, die in der EU nach zum Teil jahrelangem Ringen schon fast unter Dach und Fach waren, werden verwässert oder ganz zurückgenommen. Damit vollzieht die EU eine Kehrtwende. Ein vergleichsweise kleiner Anlass genügte, um zentrale Elemente des Europäischen Green Deals, mit dem der Kontinent bis 2050 klimaneutral werden will, zu kassieren. Ein anti-ökologischer Backlash – und das unabhängig davon, dass der Green Deal bereits von der Anlage her völlig unzureichend angelegt war. Schließlich soll durch ihn vereint werden, was nicht zu vereinen ist: Umweltschutz und Wirtschaftswachstum.
Die Liste der zurückgezogenen Umweltauflagen, die eigentlich der Sicherung der natürlichen Grundlagen gelten sollten, ist lang. Zuletzt scheiterte Mitte März die Verordnung zur Wiederherstellung der Natur, nachdem diese zwei Jahre lang verhandelt worden war und alle EU-Staaten grünes Licht gegeben hatten. Doch plötzlich stellte sich Ungarn quer, aber auch Österreich, die Niederlande, Italien und Schweden hatten Ablehnung signalisiert. Das Gesetz sah vor, die Natur nicht nur zu schützen, sondern in einen guten ökologischen Zustand zu versetzen. Die Wiederherstellung von Mooren, Flüssen und Wäldern ist ein wichtiges Instrument im Kampf gegen den Klimawandel und den Verlust der Artenvielfalt. Eine ausreichende CO2-Reduktion ist unter anderem auf natürliche Senken wie Moore und Wälder angewiesen. Und die Lebensmittelversorgung – und damit das Geschäft der Landwirt*innen – wird zukünftig nur gesichert, wenn es ausreichend bestäubende Insekten und fruchtbare Böden gibt..
Es ist ein anti-ökologischer Backlash – und das unabhängig davon, dass der Green Deal bereits von der Anlage her völlig unzureichend angelegt war.
Dafür sollten auch weitere EU-Vorhaben sorgen: So sollten die Bäuer*innen einen Teil ihrer Ackerflächen brach liegen lassen, um das Artensterben zu stoppen. Ende Januar lockerte die EU-Kommission diese Auflage. Auch wollte Brüssel den für Insekten schädlichen Pestizideinsatz um die Hälfte reduzieren. Eine entsprechende Verordnung scheiterte bereits im November – dieses Mal im EU-Parlament. Die Parlamentarier*innen hielten auch nichts von Nachverhandlungen. Folge: Es muss ein komplett neues Gesetz eingebracht werden.
Nur wenige Tage zuvor hatte die EU-Kommission das in der Kritik stehende Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat für zehn weitere Jahre zugelassen. Die EU-Mitgliedsstaaten hatten sich auf keinen Umgang einigen können, weswegen die Kommission alleine entscheiden konnte.
Dass von dem grünen EU-Deal nicht mehr viel übrig ist, liegt sicher auch daran, dass im Juni ein neues Parlament gewählt wird. In diesem werden Konservative und Rechte, die verständnisvoll auf die Bauernproteste reagierten und gegen die Umweltauflagen mobil machten, voraussichtlich deutlich an Sitzen gewinnen. Danach wird ein neuer Anlauf für die Umweltgesetzgebung noch schwieriger. Die grün-liberalen Strömungen sind den Rechten, ähnlich wie in der Migrationsfrage, entgegengekommen.
Das entbehrt nicht einer gewissen Tragik. Denn mit ihrem Widerstand gegen Umweltauflagen untergraben Bäuer*innen langfristig ihr eigenes Geschäftsmodell, und Konservative und Rechte unterstützen das. Mit ausgelaugten Böden lässt sich immer weniger verdienen. Dabei haben tausende Wissenschaftler*innen in einem offenen Brief zur Unterstützung des Naturwiederherstellungsgesetzes argumentiert: Stabile landwirtschaftliche Erträge sind auch mit weniger Umweltbelastung und mehr Artenvielfalt möglich. Aber wie das im Kapitalismus halt so ist: Der Gewinn in diesem Jahr ist wichtiger als der in zehn, 20 oder 30 Jahren.