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»Die Vorwürfe sind meist hochgradig konstruiert«

Ausweisung schon nach einem Like? Die Kriminologin Christine Graebsch ordnet die Verschärfungen des Ausweisungsrechts ein

Interview: Katharina Schoenes

Man sieht auf dem Bild Innenministerin Nancy Faeser bei einer Pressekonferenz. Sie grinst.
Hat Seehofer schon längst rechts überholt: Abschiebeministerin Nancy Faeser von der SPD. Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress | Bernd Elmenthaler / Geisler-Fotopress

Ende Juni beschloss die Bundesregierung auf Vorschlag von Innenministerin Nancy Faeser (SPD) einen Gesetzentwurf, der Ausweisungen erleichtern soll. »Ausweisung schon nach einem Like« lauteten die Überschriften in vielen Zeitungen. Dass Ausländerbehörden auch ohne vorherige strafrechtliche Verurteilung ausweisen dürfen, stieß auf einige Kritik. Die Kriminologin und Strafverteidigerin Christine Graebsch spricht im Interview über Folgen der geplanten Novellierung und die schon jetzt bestehende Überwachung ausländischer Staatsbürger*innen mit den Mitteln des Ausweisungsrechts. 

Die geplante Verschärfung des Ausweisungsrechts rief vor einigen Wochen vergleichsweise große mediale Aufregung hervor. Können Sie einmal für Lai*innen erklären, was Nancy Faeser eigentlich genau ändern möchte? 

Christine Graebsch: Viele wissen nicht, dass es schon jetzt gängige Praxis ist, Menschen wegen Aktivitäten in den sozialen Medien auszuweisen, etwa weil ihnen vorgeworfen wird, mittels Kommentaren oder Likes eine terroristische Vereinigung zu unterstützen. Bereits jetzt ist das ohne strafrechtliche Verurteilung möglich. Die Sicherheitsbehörden, also Verfassungsschutzämter und Staatsschutz, geben den Ausländerbehörden Hinweise, woraufhin diese die Ausweisung in die Wege leiten. Etwas grundlegend Neues plant Faeser somit nicht. Bisher war es erforderlich, dass eine Person mehrere terroristische Taten billigt, künftig kann schon die Verherrlichung einer einzelnen Tat zur Ausweisung führen. Allerdings ist die Auslegung des Aufenthaltsrechts ohnehin relativ frei, auf den genauen Wortlaut kommt es nicht an, anders als im Strafrecht. Und ich kenne auch keinen Fall, der daran gescheitert wäre, dass eine Person »nur« eine Tat verherrlicht hat und nicht mehrere. Daher denke ich, dass die Änderung eher symbolischer Natur ist und dazu dient, ein hartes Vorgehen zu kommunizieren. Zugleich könnte sie aber Behörden und Gerichte ermutigen, noch entschiedener gegen vermeintlich gefährliche Personen vorzugehen – eben weil die Schwelle für Ausweisungen weiter gesenkt wurde. 

Prof. Dr. jur. Christine Graebsch 

ist Diplom-Kriminologin und Professorin für Recht der Sozialen Arbeit an der Fachhochschule Dortmund. Sie ist zudem Leiterin des Strafvollzugsarchivs, einer Institution zur Dokumentation von und Aufklärung über Recht und Rechtswirklichkeit in Gefängnissen.

Foto: FH Dortmund

Sie kennen solche Fälle vor allem aus anwaltlicher Sicht. Können Sie einige Beispiele geben, was Ihren Mandant*innen widerfahren ist? Wie läuft das ab, wenn die Behörden eine Person zum Beispiel aufgrund von Aktivitäten in sozialen Medien ausweisen? 

Die Vorwürfe, auf denen die Ausweisungsentscheidungen beruhen, sind meist hochgradig konstruiert. Sehr häufig geht es um Kontaktschuld, es wird also gesagt: Sie haben die Person X getroffen, sie waren bei derselben Veranstaltung wie Person X, und Person X unterstützt den Terrorismus, also unterstützen Sie auch den Terrorismus. Die Veranstaltungen, die das betrifft, sind oft Veranstaltungen von in Deutschland legalen Vereinen, und trotzdem werden sie in diesen Kontext gestellt. Das zweite sind Posts in den sozialen Medien, in denen jemand bestimmte politische Auffassungen geäußert hat, die als Unterstützung des Terrorismus gesehen werden. Ein Mandant von mir hat beispielsweise eine Art Abschiedsgedicht für einen verstorbenen Freund geschrieben und auf Facebook veröffentlicht. Eine ganz andere Person hat ein Foto dieses verstorbenen Freundes bei seinem Begräbnis gepostet, das meiner Erinnerung nach in Gaza oder zumindest in den palästinensischen Gebieten stattgefunden hat. Der Verstorbene war auf dem Foto in ein Tuch eingewickelt, auf dem man bei sehr genauem Hinsehen Hamas-Symbole erkennen konnte. Auf dieser Grundlage haben die Behörden meinen Mandanten der Terrorunterstützung bezichtigt. Dabei hatte er weder etwas mit der Beerdigung in Gaza zu tun, wo er überhaupt noch nie war, noch mit der Veröffentlichung des Fotos. Ich habe einen weiteren  Mandanten, dem vorgeworfen wurde, er sei Salafist und Hamas-Anhänger. Seine Reaktion war: Die haben überhaupt keine Ahnung, das schließt sich gegenseitig aus, das kann nicht sein. Wir haben dann ein islamwissenschaftliches Gutachten eingeholt – was man übrigens selbst finanzieren muss – und konnten die Behauptung letztlich entkräften. Aber bis dahin wurde das überall so geschrieben. 

Sehr häufig geht es um Kontaktschuld: Sie waren bei derselben Veranstaltung wie Person X, und Person X unterstützt den Terrorismus, also unterstützen Sie auch den Terrorismus.

Um Kritik abzuwehren, wurde in der Diskussion um Faesers Gesetzentwurf darauf verwiesen, dass es in einem Rechtsstaat wie der BRD natürlich möglich sei, Ausweisungen gerichtlich überprüfen zu lassen. Was sagen Sie dazu, welche Rechtsschutzmöglichkeiten gibt es tatsächlich? 

Der Rechtsschutz ist bei Ausweisungen völlig anders ausgestaltet als in anderen Bereichen des Verwaltungsrechts. Normalerweise ist es so, dass Dinge, die in einem behördlichen Bescheid stehen, erstmal nicht passieren, wenn man einstweiligen Rechtsschutz bekommen hat. Bei der Ausweisung ist das anders: Der vorläufige Rechtsschutz hat allein den Effekt, dass man nicht abgeschoben wird. Aber die anderen Wirkungen der Ausweisung bleiben für die gesamte Dauer des gerichtlichen Verfahrens bestehen, und meist muss man mit einer Verfahrensdauer von mehreren Jahren rechnen. In dieser Zeit haben die Betroffenen eine Duldung. Zusätzlich können die Behörden sie einer umfassenden Kontrolle unterwerfen. 

Was bedeutet Ausweisung?

Ausweisung wird im Alltagssprachgebrauch häufig synonym mit Abschiebung verwendet, rechtlich gibt es aber einen entscheidenden Unterschied. Während Abschiebung meint, dass eine Person tatsächlich außer Landes gebracht wird, handelt es sich bei einer Ausweisung um eine Behördenentscheidung, mit der ein bestehendes Aufenthaltsrecht entzogen wird. Das kann im nächsten Schritt die Abschiebung nach sich ziehen. Ist es nicht möglich, die betreffende Person abzuschieben, wird eine Duldung erteilt. Meist werden Menschen infolge einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen. Es gibt aber auch Konstellationen, in welchen Betroffene ihr Aufenthaltsrecht allein deshalb verlieren, weil die Behörden sie aufgrund bestimmter Anhaltspunkte als »gefährlich« ansehen. Die Zahl der jährlichen Ausweisungen ist in den letzten Jahren angestiegen: Zwischen 2019 und 2022 waren jährlich rund 8.000 bis 11.000 Personen betroffen, während es zwischen 2010 und 2015 noch etwa halb so viele waren. Auch Geflüchtete werden zunehmend häufig ausgewiesen. 

Was bedeutet das?

Das beginnt mit Meldeauflagen und der räumlichen Beschränkung auf eine Stadt, außerdem können die Behörden Kontaktverbote zu bestimmten Personen verfügen, die Benutzung eines Smartphones und sozialer Netzwerke untersagen usw. Man kann dagegen natürlich gerichtlich vorgehen. Bei einem Mandanten haben wir erreicht, dass das meiste aufgehoben wurde, aber er musste sich trotzdem jeden Tag bei der Polizei melden, und das über viele Monate hinweg. Ein weiteres Problem ist das Ineinandergreifen von Aufenthaltsrecht und Strafrecht – und die Tatsache, dass es im Aufenthaltsrecht keine mit dem Strafrecht vergleichbaren Verfahrensgarantien wie die Unschuldsvermutung oder das Schweigerecht gibt. Ich habe schon häufiger erlebt, dass gegen Mandant*innen zunächst ein Strafverfahren eingeleitet wurde. In den strafrechtlichen Ermittlungen haben Polizei und Staatsanwaltschaft dann bestimmte Erkenntnisse gewonnen, auf deren Grundlage die Betreffenden ausgewiesen und teils auch abgeschoben wurden. Das Strafverfahren wurde anschließend eingestellt, die Betroffenen bekamen also nie die Chance, sich gegen die Vorwürfe zu verteidigen. So werden Rechtsschutzmöglichkeiten ausgehebelt. 

Die Sanktionierung von Posts und Likes in sozialen Medien klingt nach sehr weitreichender, staatlicher Kontrolle. Was macht das mit dem Recht auf Meinungsfreiheit? 

Das wird natürlich erheblich eingeschränkt. Nicht nur dadurch, dass auf Meinungsäußerungen eine Ausweisung und schlimmstenfalls auch eine Abschiebung folgen kann, sondern auch dadurch, dass die Leute inzwischen um diese Gefahr wissen und völlig verunsichert sind, was man überhaupt noch sagen kann. Ein Mandant von mir, der in den Fokus der Behörden geraten war, hat aus Angst sein Facebook-Profil gelöscht. Genau das hat man ihm dann vorgehalten, indem gesagt wurde: Tun Sie doch nicht so harmlos, wenn daran nichts problematisch gewesen wäre, hätten Sie es ja nicht löschen müssen. Was ich auch beobachte, übrigens mit Blick auf Palästinenser*innen, denn die vertrete ich hauptsächlich in diesen Verfahren: Früher ging es in meiner Praxis meist um Personen, die sich selbst etwas außerhalb der deutschen Gesellschaft gestellt haben. Und die sich in sozialen Netzwerken in einer Weise geäußert haben, dass ich teilweise auch dachte, die sind ganz schön »radikalisiert«. Aber inzwischen geht es um Menschen, die mitten in der deutschen Gesellschaft sind, die studiert haben, die gute Berufe haben, deren Kinder hier in der Schule sind oder studieren. 

Die Forderung, »kriminelle Ausländer« abzuschieben, gehört seit jeher zum Repertoire rechter Innenpolitiker*innen. Unter jenen, die sich antirassistisch organisieren oder sich solidarisch mit Geflüchteten zeigen, gibt es hierzulande dagegen wenig Auseinandersetzung mit dem Thema Ausweisung. Warum ist das so, und warum wäre es wichtig, sich damit mehr zu beschäftigen? 

Ich arbeite schon seit den 1990er Jahren zu Ausweisungen. Wenn ich über das Thema gesprochen habe, wurde mir häufig entgegnet, ich müsse aufpassen, dass ich nicht den rechten Diskurs bediene, der immer eine Verbindung zwischen Staatsangehörigkeit und Kriminalität herstellt. Ich würde das fördern, wenn ich diese Praxis kritisiere. Es sei besser, sich auf die »guten Ausländer« zu konzentrieren. Ich habe das aber immer für falsch gehalten, weil ich schon früh die Gefahr gesehen habe, dass sich die Gefährderlogik immer weiter in das Aufenthaltsrecht einschreibt. Die Behörden beginnen fast immer mit Fällen, bei denen auch ich intuitiv denke, das ist ganz schön heftig. Das ist aber nur der erste Fall. Der zweite ist schon nicht mehr so drastisch, und inzwischen sehen wir, dass wirklich Leute kriminalisiert werden, bei denen man nicht auf die Idee käme, dass sie als »Gefährder« angesehen werden könnten. Deshalb muss man diesen ganzen Gedanken im Grundsatz kritisieren. Ich habe aber das Gefühl, dass das zum Glück seit einiger Zeit mehr passiert. 

Katharina Schoenes

ist aktiv zu institutionellem Rassismus und arbeitet im Bundestagsbüro der Linksparteiabgeordneten Clara Bünger.

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