analyse & kritik

Zeitung für linke Debatte & Praxis

|ak 707 | International

Traditioneller Rassismus

Nicht nur in England, auch in Nordirland kam es Anfang August zu schweren rassistischen Ausschreitungen.

Von Dietrich Schulze-Marmeling

Wandbild in Sandy Row und East Belfast. Foto: Dietrich Schulze-Marmeling

In Nordirland ist aktiver Rassismus primär eine Sache militanter Loyalist*innen und ihrer paramilitärischen Formationen, hier insbesondere der Ulster Defence Association (UDA), 1971 gegründet und während der »Troubles« für mehr 400 Tote verantwortlich. Bei der Mehrheit der Ermordeten handelte es sich um katholische Zivilist*innen ohne Verbindung zur IRA. Im Belfaster Viertel Sandy Row gibt die UDA den Ton an, in The Village die Ulster Volunteer Force (UVF). Letztere ist auch federführend bei rassistischen Vertreibungen im mehrheitlich protestantischen Osten der Stadt. Anfang August fanden die pogromartigen Angriffe in Belfast vornehmlich entlang der Verkehrsader Donegall Road im Süden der Stadt, an der mit Sandy Row und The Village zwei Hochburgen des militanten Loyalismus liegen.

Nordirische Loyalist*innen und englische Rechtsradikale

Der Rassismus von UDA und Co. ist nichts Neues. Dies gilt auch für die Verbindungen namentlich der UDA zum organisierten englischen Rechtsextremismus, etwa zu Gruppen wie National Front (NF), Combat 18 und der British National Party. Während der »Troubles« waren in England die Rechtsradikalen die einzigen offenen Unterstützer*innen der loyalistischen Paramilitärs.

Die Angriffe auf Migrant*innen begannen schon vor vielen Jahren. Nordirische Städte wie Belfast und Derry sind nicht mehr komplett weiß, wenngleich noch vom multikulturellen Charakter englischer Städte sehr weit entfernt. Aber in einer Gesellschaft, die bislang nur die Spaltung zwischen Katholik*innen/Nationalist*innen/Republikaner*innen und Protestant*innen/Unionist*innen/Loyalist*innen kannte, reagiert man sensibler. Nordirland wurde als protestant state for protestant people gegründet, nun bringen das Wachstum der katholischen Bevölkerung und die zusätzliche Einwanderung alles durcheinander.

Die Politik der Vertreibung

Die Vertreibung von Katholik*innen aus protestantischen/loyalistischen Vierteln hat in Nordirland eine lange Tradition. Auch das Friedensabkommen von 1998 beendete diese nicht. Die Politik der Vertreibung wurde nur um eine zeitgemäße Komponente ergänzt: Vertrieben werden nun auch Migrant*innen.

In den Sommermonaten Juni/Juli 2003 wurden in Belfast sieben Schwarze Familien aus ihren Häusern im The-Village-Viertel vertrieben. Es begann mit rassistischen Beschimpfungen und Graffiti sowie zerstochenen Reifen an ihren Autos. Schon bald wurden Kugeln an den Haustüren hinterlassen, bis schließlich Rohrbomben vor ihren Häusern explodierten. Ebenfalls im Süden der Stadt wurden im Juni/Juli 2009 über 100 Roma aus ihren Häusern vertrieben.

Nordirland wurde als protestant state for protestant people gegründet, nun bringen das Wachstum der katholischen Bevölkerung und die zusätzliche Einwanderung alles durcheinander.

In den folgenden Jahren wurden dann wiederholt polnische Migrant*innen, die sich im Osten Belfasts niedergelassen hatten, aus ihren Häusern getrieben. Die Loyalist*innen störten sich nicht nur daran, dass die Opfer keine britischen Staatsbürger*inen waren. Ihr zweites »Verbrechen« war ihre katholische Konfession. Polnische Zuwanderung wurde als »Blutzufuhr« für die ohnehin wachsende katholische Gemeinschaft betrachtet.

Mit Union Jack und Trikolore

An den rassistischen Protesten in Belfast beteiligten sich auch aus Dublin angereiste Rechtsradikale. Irische Trikoloren in Sandy Row, das hatte es noch nie gegeben. Der loyalistische Blogger Jamie Bryson warnt davor, aus dem Schulterschluss zu viel zu machen: »Es war natürlich ziemlich außergewöhnlich, die irische und die Unionsflagge Seite an Seite und vereint hinter einer gemeinsamen Sache wehen zu sehen. Das ist natürlich, zumindest optisch, bedeutsam, aber ich denke, die Unionist*innen und Loyalist*innen müssen vorsichtig sein. Eine solche Ehe der vorübergehenden Bequemlichkeit birgt viele langfristige Gefahren, ist unhaltbar und wird sich schließlich selbst zerstören. Denn außer dieser einen Sache, die die Arbeiter*innenklasse im gesamten Vereinigten Königreich und in der Republik Irland vereint, gibt es keine andere.«

In Belfast gingen 15.000 Menschen gegen die Rassist*innen auf die Straße. Auf der Kundgebung sprachen auch Vertreter*innen der republikanischen Sinn Féin, die ebenfalls eine Vertretung in Südirland hat, und der Social Democratic and Labour Party (SDLP), die ihre Wähler*innen fast ausschließlich in der katholischen Community rekrutieren. Für Sinn Féin trat Deirdre Hargey, Abgeordnete des nordirischen Parlaments, ans Mikrophon: »Es ist großartig, dass so viele Bürger*innen von Belfast heute hier sind, um der islamfeindlichen und rassistischen Gewalt zu trotzen. Belfast ist die Heimat der Emanzipation, des Antifaschismus, der Bürgerrechte, des Community Organizing und des Widerstands gegen Unterdrückung und Diskriminierung.«

Dietrich Schulze-Marmeling

ist Autor, hält Vorträge und schreibt gelegentlich für Zeitungen über Fußball, Nordirland und Antisemitismus.