Nicht nur der Impfstoff fehlt
Maren Egerbeck arbeitet als Medizinische Fachangestellte im Hamburger Impfzentrum und berichtet, wie es dort zugeht.
Interview: Carina Book
Die gelernte Krankenschwester und Palliativpflegerin Maren Egerbeck aus Hamburg arbeitet hauptberuflich in der »Spezialisierten ambulanten Palliativversorgung«. Ihre Arbeit besteht darin, Menschen zu begleiten, die nicht mehr lange zu leben haben. Im Impfzentrum will Maren nun Leben retten. Doch die fehlende Wertschätzung und der schlechte Arbeitsschutz machen sie wütend.
Als Palliativpflegerin hast du ja immer alle Hände voll zu tun. Jetzt arbeitest du zusätzlich beim Impfzentrum. Wie kommst du mit dieser Belastung klar?
Maren Egerbeck: In meinem Beruf als Palliativpflegerin arbeite ich nicht Vollzeit. Für mich ist Vollzeit in der Pflege arbeiten belastungsmäßig keine Option. Ich arbeite, um zu leben, und lebe nicht für die Arbeit. Und ich habe immer gerne Freizeit gehabt. Aber da die ja eh gerade gestrichen ist, lag es für mich auf der Hand, mich beim Impfzentrum zu melden. Ich habe sowohl die Zeit, als auch das fachliche Know-how, und natürlich erhoffe ich mir davon, dass ich dazu beitragen kann, dass die Pandemie endlich mal vorbei ist.
Hast du das Gefühl, dass deine Arbeit wertgeschätzt wird?
Also, ehrlich gesagt habe ich persönlich nach dem ganzen Geklatsche im Frühjahr mehr erwartet. Klar, 27 Euro pro Stunde sind für eine Pflegekraft eine ganze Menge Geld, aber die Ärzte verdienen dreimal so viel. Dabei sind die ja hauptsächlich für die Aufklärungsgespräche zuständig. Das Impfen selbst wird in dem Impfzentrum, in dem ich arbeite, von Pflegekräften übernommen, und davon gab es ja schon vor der Pandemie viel zu wenige. Übrigens stehen wir als Pflegekräfte bezahlungstechnisch nicht mal am unteren Ende der Nahrungskette. Die Schreibkräfte, die für die Dokumentation zuständig sind, und auch das Wach- und Logistikpersonal verdienen nochmal viel weniger. Da kann man sich schon fragen, warum diese Arbeit so wenig wert zu sein scheint.
Maren Egerbeck*
Maren Egerbeck arbeitet aktuell zusätzlich zu ihrem Job als Palliativpflegerin in einem Hamburger Impfzentrum. Dass sie dadurch selbst schon geimpft werden konnte, ist für sie ein kleines Bonbon, das aber über die allgemein mangelnde Wertschätzung ihrer Arbeit nicht hinwegtäuschen kann.
* Der Name der Interview-Partnerin ist der Redaktion bekannt, wurde hier jedoch geändert.
Wie läuft die Umsetzung der Impfstrategie ab?
Aktuell gibt es die Mobilen Teams, die in Altersheime geschickt werden und dort die Bewohner und das Personal durchimpfen, und es gibt das Impfzentrum in den Messehallen. Im Impfzentrum ist es so, dass am 5. Januar zunächst eine von drei Hallen in Betrieb genommen worden ist. Das ist im Grunde wie am Flughafen. Erstmal wird man durch das Personenleitsystem durchgeleitet, dann kommt man irgendwann an den ersten Schalter und wird da registriert. Wenn die Registrierung abgeschlossen ist, kommt man in den Wartebereich, dann wird man da von dem Arzt aufgerufen, der das Aufklärungsgespräch macht. Der Arzt bringt dann die Person zu mir ins Zimmer, sagt mir, ob ich Besonderheiten wie Gerinnungsstörungen oder ähnliches zu beachten habe, und ich mache dann die Impfung. Danach bringe ich den Patienten in einen anderen Wartebereich, wo Pflegekräfte die Geimpften für etwa 15 bis 30 Minuten beobachten, je nach Krankengeschichte. Wenn es der geimpften Person gut geht, dann wird sie zum Auschecken gebracht.
Klingt nicht nach einer schnellen Sache.
Nein, überhaupt nicht. Bei uns können derzeit 500 bis 800 Menschen am Tag geimpft werden. Perspektivisch soll die Kapazität auf 7.000 Menschen pro Tag hochgeschraubt werden. Und diese Arbeit muss von medizinischem Personal erledigt werden, das ja ohnehin völlig überlastet ist. Ehrlich gesagt macht es mich wirklich sauer, wenn ich überall lese und höre, dass es zu langsam voran geht. Tatsächlich ist das schon eine ganz schöne Meisterleistung, dass man die Impfzentren überhaupt in so kurzer Zeit aus dem Boden hat stampfen können, bei all dem Personalmangel im Gesundheitssektor. Was denken die Leute denn, wer das machen soll?
Das heißt, der limitierende Faktor ist nicht der Impfstoffmangel?
Der Impfstoffmangel ist natürlich auch ein limitierender Faktor. Bei uns sind ganze 1.200 Dosen des neuen Moderna-Impfstoffs angekommen. Dafür lohnt es sich nicht einmal, eine weitere Halle in Betrieb zu nehmen. Der Moderna-Impfstoff wird jetzt vor allem von den mobilen Impfteams verimpft. In Hamburg soll aufgrund des Impfstoff-Mangels ja tatsächlich auch die Impfstrategie geändert werden. Der Plan ist jetzt scheinbar, dass die Dosis für die zweite Impfung nicht mehr aufgespart werden soll, sondern jetzt einfach verimpft wird. Ob es dann in drei Wochen noch genügend Impfstoff für die nötige zweite Dosis geben wird, ist Spekulation.
Und was sind die anderen Faktoren, die das Impfen verlangsamen?
Erstens der Personalmangel. Die Zeitarbeitsfirma, über die ich im Impfzentrum angestellt wurde, ruft mich dauernd an und will Schichten umlegen, weil zu wenige Pflegekräfte da sind. Ständig wird versucht, mir noch mehr Schichten aufzuschwatzen als eigentlich vereinbart, weil das Impfzentrum personell so knapp besetzt ist. Da muss man sich schon sehr gut abgrenzen können, um sich nicht kaputt zu arbeiten, schließlich arbeite ich durch die zwei Jobs deutlich mehr als Vollzeit.
Und zweitens?
Das klingt wahrscheinlich unglaublich, aber tatsächlich mangelt es an Kanülen. Die Kanülen, mit denen wir derzeit arbeiten, werden aus Sicherheitsgründen eigentlich gar nicht verwendet. Keine Sorge, für die Patientinnen sind die Kanülen nicht gefährlich, aber im Zweifel für das Personal, das die Injektionen machen muss. Eigentlich benutzt man Nadeln, an denen man sich sofort nach Gebrauch nicht mehr stechen kann. Die gibt es aber nicht mehr, denn die werden in China hergestellt, und dort werden die ja auch zum Impfen gebraucht. Deswegen impfen wir mit Kanülen, die kein sogenanntes Safety-Needle-System haben. (1) Wenn man gut aufpasst, ist das alles nicht so tragisch, aber eigentlich ist es arbeitsschutzmäßig total problematisch. Ich habe den Eindruck, dass sich darüber mal wieder keine Gedanken gemacht wurden. Es geht ja nicht nur darum, einen Impfstoff zu entwickeln, sondern irgendwie muss der Impfstoff ja auch in den Menschen kommen.
Also an allen Ecken Mangel?
Man arbeitet immer in Sieben-Stunden-Schichten, kann Pause machen und bekommt Essen und Trinken zur Verfügung gestellt. Immerhin. Da kann man wirklich nicht meckern. Was aber schon merkwürdig ist, ist das alles über eine App läuft: Die Schichtplanung, die Arbeitszeiterfassung läuft darüber, und man wird die ganze Schicht über konstant GPS-getracked von der Zeitarbeitsfirma. (2) Das erinnert mich immer ein bisschen an das, was man so aus der Logistik hört. Jederzeit kann man feststellen, wo ich mich aufhalte und was ich tue.
Warum ist das so?
Ich denke, weil es natürlich eine riesengroße Angst davor gibt, dass Impfstoff gestohlen wird. Du kannst dir ja vorstellen, wie viel man für so eine Dosis Impfstoff auf dem Schwarzmarkt verlangen könnte. Das Impfzentrum wird rund um die Uhr von Polizisten mit Schäferhunden bewacht. Vorstellbar wäre auch, dass leere Fläschchen mit Kochsalzlösung wieder aufgefüllt und von Betrügern verkauft werden könnten. Ich bin im Moment für das Aufziehen der Spritzen zuständig. Gerade da wird mehrfach kontrolliert, welche Flaschen ich in die Hand nehme und dass die danach korrekt entsorgt werden.
Apropos Sicherheit. Ich habe gelesen, dass im Vogtland ein Impfzentrum mit Gift angegriffen wurde. Und in den USA wurde offenbar von Corona-Leugnern versucht, Impfstoffe zu zerstören. Sind die Impfgegner und Corona-Leugner bei euch auch ein Thema?
Ja, das war bereits am ersten Tag ein Thema. Die ganzen Sicherheitsmaßnahmen zielen schon auch darauf ab, solche Leute fernzuhalten. Ein Kollege aus dem Bereich Planung und Logistik sagte bei der Einführung, dass damit gerechnet werden müsste, dass Querdenker demnächst Kundgebungen vor den Messehallen abhalten könnten.
Macht dir das Sorgen?
Um mich und meine Kollegen mache ich mir eigentlich keine großen Sorgen. Ich rechne nicht damit, angegriffen zu werden. Viel mehr beschäftigen mich die diversen Mutationen, etwa aus Großbritannien oder Südafrika. Ich hoffe einfach nur, dass der Impfstoff auch dagegen hilft und dass wir ab der zweiten Jahreshälfte endlich wieder einen Funken Normalität spüren können. Und vor allem hoffe ich, dass ich meine Freundinnen bald wieder umarmen kann. Das könnte ich gerade ganz gut gebrauchen.
Was wir nach dem Interview erfuhren
1) Auch aus der Arbeitsschutzunterweisung der Zeitarbeitsfirma doctari geht gemäß Paragraf 14 der Biostoffverordnung hervor, dass der »Einsatz von gesicherten scharfen und spitzen Arbeitsgeräten verpflichtend (bspw. Safty-Needle-Systeme [sic!])!« ist. Wir fragten die Hamburger Sozialbehörde nach dem im Interview angesprochenen Kanülenmangel im Impfzentrum. Daraufhin meldete sich die Kassenärztliche Vereinigung in ihrem Auftrag bei uns und räumte ein, dass es nicht nur in Hamburg, sondern sogar bundesweit an Sicherheits-Kanülen mangelt: »Die Sicherheits-Kanülen sind aktuell bundesweit ausverkauft. Wir versuchen auf allen Kanälen, solche Kanülen zu erhalten, aber das ist aktuell nicht möglich. In diesem Fall erlaubt es der Arbeitsschutz, auch mit einfachen Kanülen zu arbeiten. Dies entspricht im Übrigen dem Vorgehen aller Bundesländer.«
2) Die Zeitarbeitsfirma doctari fordert die Beschäftigten dazu auf, sich die App »MySirenum« auf ihr Handy zu laden. Nur durch die Nutzung der App sei es möglich, die Arbeitszeiten in den Messehallen vor Ort zu erfassen. Dafür müsse das GPS auf dem Handy aktiviert sein. Auf der Firmen-Homepage richtet sich App-Hersteller Sirenum an Manager*innen und verspricht: »Überwachungstools von Sirenum geben Ihnen die Informationen, die für eine effiziente Verwaltung Ihrer Mitarbeiter nötig ist. Diese umfassen den Aufenthaltsort, die Arbeits- und Anwesenheitszeiten. So können Manager Personalherausforderungen angehen. Dank der GPS-Standortfunktion können Sie die Aufenthaltsorte Ihrer Mitarbeiter und Ihrer Assets jederzeit live verfolgen.«