Die Gamestop-Wette
Von Guido Speckmann
Jung gegen alt, Klein- versus Großanleger, Idealisten*innen gegen Turbo-Kapitalist*innen. Das extreme Auf und Ab der Gamestop-Aktie hat interessante Interpretationen hervorgebracht. Von einer Rebellion gegen die etablierten Hedgefonds und von der Demokratisierung der Börsenwelt war die Rede.
Die am häufigsten kursierende Erzählung geht so: Letztes Jahr begann der 34-jährige Keith Gill Aktien der US-Ladenkette für Computerspiele Gamestop zu kaufen. Zudem legte er in zahllosen Posts im sozialen Netzwerks Reddit und auf Youtube dar, warum der Aktienkurs von Gamestop unterbewertet sei. Im Juli hegte er Hoffnungen, dass es zu einem »Short Squeeze« kommen könne.
Der Begriff aus dem Börsenjargon, übersetzt Knappheit oder Engpass, ist nicht ohne einen weiteren Fachbegriff zu erklären: shorten, auf Deutsch leerverkaufen. Dabei verkauft ein Investor Aktien, die er gar nicht besitzt, sondern sich gegen eine Gebühr nur geliehen hat. Klingt absurd? Es geht noch verrückter: In manchen Ländern kann man eine Aktie sogar mehrfach leerverkaufen. Weil der Investor, meist auf solch riskante Wetten spezialisierte Hedgefonds, das im großen Stil macht, sinkt durch das vergrößerte Angebot der Aktie deren Preis. Kurz vor dem vereinbarten Rückgabetermin des geliehenen Aktienpakets kauft der Investor die Wertpapiere zum gesunkenen Preis. Die Differenz zwischen den beiden Kursständen ist sein Gewinn. Die Sache kann aber auch gründlich schief gehen. Dann nämlich, wenn der Kurs nicht wie erwartet sinkt, sondern steigt.
Aber: Inzwischen ist klar geworden, dass das Bild etwas komplexer ist. Zwar war der Schwarm der Kleinanleger*innen wichtig, aber nicht allein ausschlaggebend.
Exakt das passierte mit der Gamestopp-Aktie. Und wie! Anfang Januar notierte deren Kurs bei 20 US-Dollar, am 28. Januar bei sage und schreibe 480 Dollar. Offenbar hatte Keith Gill zahllose Kleinanleger*innen überzeugt, mit leicht zu bedienenden und gebührenfreien Online-Broker-Apps wie Robinhood in die Aktie zu investieren, um es den Hedgefonds, so geht die Erzählung weiter, einmal richtig zu zeigen. Was auch gelang. Der Hedgefonds Melvin Capital, der auf den Kursverlust von Gamestop gewettet hatte, saß in der Short-Squeeze-Falle. Um die ausstehenden Rückgabeforderungen zu begleichen, und die bereits erlittenen Verluste gering zu halten, musste er schnell Gamestop-Aktien kaufen. Das befeuerte wiederum den Kursanstieg.
Resultat: Riesenverluste. Von 12,5 Milliarden Dollar für Melvin Capital, von 20 Milliarden für Hedgefonds insgesamt ist die Rede. Derweil machten viele Kleinanleger*innen Gewinne. Aber nicht nur der schnöde Mammon soll sie angetrieben haben. »Fuck the Hedgefonds« war auf dem Höhepunkt der Aktienrallye ein viel geäußerter Slogan auf Reddit. Die Stimmung wurde politisch, gerade in den USA, wo die Finanzkrise von 2008 viele Menschen viel härter getroffen hatte als in Deutschland.
Aber: Inzwischen ist klar geworden, dass das Bild etwas komplexer ist. Zwar war der Schwarm der Kleinanleger*innen wichtig, aber nicht allein ausschlaggebend. Im Sommer begannen eben auch etablierte Investoren und Hedgefonds Gamesop-Aktien zu zeichnen. Der Milliardär Ryan Cohen hielt im Dezember über zwölf Prozent aller Aktien und legte zudem ein Sanierungskonzept für Gamestop vor. Im Oktober begann der Hedgefonds Senvest auf Kurssteigerungen des Spiele-Einzelhändlers zu wetten. Ohne diese Aktivitäten und ohne Elon Musk, der für Gamestop tweetete, wäre die »Rebellion« der Reddit-Army, die sich ja just im Kampf gegen die Etablierten Finanzmarktakteure wähnte, kaum möglich gewesen. Senvest soll 700 Millionen Dollar Profit gemacht haben, und ausgerechnet Robinhood steht im Verdacht, zugunsten von Hedgefonds den Kauf von Gamestop-Aktien kurzzeitig ausgesetzt zu haben. Von wegen Rächer der Armen. Die Gamestop-Blase wird wie jede andere irgendwann platzen. Dann werden viele Kleinanleger*innen viel Geld verlieren, wenn sie es nicht schon haben.
Idealisten gegen Turbo-Kapitalisten? Klein- versus Großanleger? Eher handelt es sich um einen Kampf innerhalb des Feldes von Finanzanlegern. Neue, junge Akteure wollten auch einmal ein Stück vom Kuchen abhaben. Ihre vermeintlich progressiv-politische Rhetorik verweist allerdings auf ein reales Problem: die krasse soziale Ungleichheit im deregulierten Finanzmarktkapitalismus. Doch ist die Beteiligung an dessen Casino keine Antwort auf diese. Zwar mag ein neuer Akteur viel Geld machen. Doch je mehr Geld in die Finanzmärkte wandert, desto größer wird zum Beispiel der Druck auf Löhne und Gehälter, weil das Management sein Handeln an die Bewertung an den Börsen ausrichtet. Lohnkosten sind da nur Kostenfaktoren, die es zu minimieren gilt.