Ein Zeichen der Schwäche
Die AfD hofft, mit der Kritik an den Corona-Maßnahmen aus dem Umfragetief zu kommen und eine drohende Spaltung abzuwenden
Ganz staatstragend gab sich Alice Weidel, als sie am 4. März im Bundestag zur Corona-Lage sprach. Die Lage sei ernst, sagte sie gleich zu Beginn und warf der Bundesregierung vor, zu zaghaft zu handeln. Drei Wochen später eröffnete Alexander Gauland an gleicher Stelle eine Rede mit dem ungewöhnlichen Bekenntnis: Die Regierungspolitik enthalte in der Pandemie viele Einsichten, die die AfD für richtig halte. Und ebenfalls im März schrieb die AfD-Fraktion im Landtag von Nordrhein-Westfalen einen offenen Brief an Ministerpräsident Armin Laschet. Der Titel: »AfD-Fraktion unterstützt Maßnahmen der Regierung im Kampf gegen Corona! Politische Differenzen sind jetzt zweitrangig!«
Solche Töne sind mittlerweile von der AfD nicht mehr zu hören. Im Gegenteil: Alice Weidel hält heute die Maßnahmen der Bundesregierung für völlig überzogen und klagt etwa gegen die Maskenpflicht im Bundestag. Dort spricht Alexander Gauland mittlerweile von einer »Corona-Diktatur«. Und wie Rest der Partei, stellt sich auch die AfD in Nordrhein-Westfalen gegen die Maßnahmen der Bundesregierung. In einem internen Diskussionspapier der AfD-Bundestagsfraktion wird für eine Kommunikationsoffensive gegen die Corona-Politik der schwarz-roten Koalition plädiert. »Gegen den Verbotspopulismus!«, »Für eine Kindheit ohne Masken« und »Für freiwillige Impfungen« sind einige der Botschaften, die zukünftig verstärkt verbreitet werden sollen.
Dass die AfD auf die Corona-Proteste aufgesprungen ist, ist auf die tiefe Krise zurückzuführen, in der sie sich seit Monaten befindet.
Der offensichtliche Strategiewechsel der AfD hatte sich bereits im April und Mai während der ersten Welle der Pandemie angedeutet, zu einem Zeitpunkt, als die ersten Corona-Proteste begannen. Dass die AfD auf diesen Zug aufgesprungen ist, ist wesentlich auf die tiefe Krise zurückzuführen, in der sie sich seit Monaten befindet.
Da sind zunächst die miesen Umfragewerte. Bei Infratest Dimap zum Beispiel liegt die AfD seit Mitte März bei etwa zehn Prozent. Zur Erinnerung: Noch vor zwei Jahren kratzte sie an der 20-Prozent-Marke. Dass es seitdem kontinuierlich bergab geht, hat viele Gründe: Zum einen funktioniert die rechte Provokationsstrategie nicht mehr so einfach. Journalist*innen, Politiker*innen anderer Parteien und nicht zuletzt auch weite Teile der Öffentlichkeit haben sich mittlerweile an die AfD, ihr Auftreten und ihre Positionen gewöhnt. Die Normalisierung der Rechten birgt für diese nicht nur Vorteile. Zum anderen gelang es kritischen Stimmen besser, im öffentlichen Diskurs durchzudringen: Die Erkenntnis, dass es sich bei der AfD um eine im Kern rechtsradikale Partei handelt, teilen mittlerweile nicht mehr nur Linke. Nicht zuletzt setzt der AfD auch die Teil-Beobachtung durch den Verfassungsschutz zu.
Die Lage wird für AfD noch misslicher, als der Einwanderungsdiskurs nicht mehr die große mediale Relevanz der Jahre 2015 bis 2018 hat. Die immer weiter rassistische Aufladung des Diskurses war für die Rechten wesentlich, um ihre inneren Widersprüche zu kitten. Die AfD ist von Anfang an eine Sammlungspartei verschiedener rechter Strömungen, die sich in vielen Fragen uneins sind. Auf den kleinsten gemeinsamen Nenner »Ausländer (mehr oder weniger) raus« konnten sich neoliberale wie völkische Nationalist*innen einigen.
Droht die Spaltung?
Wenig verwunderlich ist es also, dass der Richtungs- und Machtkampf in der AfD gerade in diesem Jahr mal wieder voll entbrannt ist. Mit Andreas Kalbitz wurde ein wichtiger Vertreter der völkischen Strömung aus der AfD ausgeschlossen. Parteichef Meuthen hatte zuvor eine offizielle Auflösung des Flügels erwirken können. Am Ende haben sich beide Seiten weit mehr als eine blutige Nase geholt: Meuthen ist nun bei einem gewichtigen Teil der Partei Hassobjekt Nr. 1 und somit als einer von zwei Vorsitzenden stark geschwächt. Und die Völkischen haben mit Kalbitz ihren wichtigsten Strippenzieher zumindest formell verloren.
Die AfD braucht also dringend ein neues verbindendes Thema, das sowohl nach außen als auch nach innen wirkt: nach außen, um sich im Gespräch zu halten, nicht mehr nur noch mit Streitigkeiten für Schlagzeilen zu sorgen und endlich aus dem Umfragetief herauszukommen. Und nach innen, um die Wogen in der zerrissenen Partei zu glätten und eine noch immer im Raum stehende Spaltung abzuwenden.
Dass die AfD ihre Hoffnungen auf das Corona-Thema setzt, ist also letztlich ein Zeichen der Schwäche, vielleicht sogar ein Akt der Verzweiflung. Denn das Thema wird kaum dazu beitragen, die Krise der AfD zu beenden.
Dass die AfD ihre Hoffnungen auf das Corona-Thema setzt, ist ein Zeichen der Schwäche, vielleicht sogar ein Akt der Verzweiflung.
Anders als etwa die rechte EU-Kritik oder die Ablehnung der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung gibt es zur Corona-Frage weit auseinandergehende Positionen. Härtere Maßnahmen, mehr Kontrolle und vor allem geschlossenen Grenzen – all das waren und könnten noch immer Forderungen der AfD sein, stattdessen setzen die Rechten auf einen eher staatskritischen Kurs, der gerade bei den Carl-Schmitt-Ultras nicht besonders gut ankommt. Da wird auch schon mal auf dem Blog der rechten Zeitschrift Sezession ein »antiautoritärer und anarchistischer Affekt« bei anderen Rechten beobachtet, »der so weit zu gehen wagt, sich gegen Staatshandeln per se zu richten«.
Ob die Anhängerschaft den eingeschlagenen Kurs der AfD zu den Corona-Maßnahmen tatsächlich unisono befürwortet, darf zumindest bezweifelt werden. Immerhin finden selbst zwei Drittel der AfD-Wähler*innen die aktuellen Anordnungen zur Maskenpflicht im Großen und Ganzen richtig, was der AfD bekannt ist, weil in dem Diskussionspapier auf die Ergebnisse der entsprechenden YouGov-Umfrage eingegangen wird.
Zweifelhaft ist auch die im neuen Strategiepapier zentrale Hoffnung der AfD, durch das Corona-Thema könnten breitere gesellschaftlichen Milieus angesprochen werden. Von den bisherigen Demos der sogenannten Querdenker ist zumindest momentan nur eine kleine Minderheit in der Gesellschaft angetan. Die darüber hinaus gehende Kritik an den Maßnahmen der Bundesregierung kommt hingegen aus sehr unterschiedlichen Spektren. Liberale bis Linksliberale aus der Kulturszene beispielsweise − in dem Strategiepapier werden Jan Josef Liefers und Herbert Grönemeyer genannt − dürften kaum massenhaft in der AfD ihre Stimme des Protests erkennen.