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Blauer wird’s nicht?

Ein erstes Fazit nach den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen

Von Marcel Hartwig

Ein Blumenkübel vor dem Erfurter Rathaus, daneben ein Laternenmast mit Wahlplakaten der AfD, der Linkspartei und der FDP
Sieger oben, Verlierer darunter: Gruppenbild mit Blumen vor dem Erfurter Rathaus. Foto: ak

Mit einem Anlauf von einem Jahrzehnt ist es der AfD gelungen, die extreme Rechte in Deutschland zu sammeln und zu einem seit dem Machtantritt der Nazis 1933 nicht dagewesenen Wahlerfolg zu führen. Die über mehr als zwei Jahrzehnte gewachsene rechte Hegemonie in Ostdeutschland trägt Früchte. Die AfD steht auf der Schwelle des Übergangs von der Hegemonie zur Macht, wenn wohl auch vorerst ohne direkte Regierungsbeteiligung.

Die gute Nachricht ist: Björn Höcke verfehlt den direkten Einzug in den Thüringer Landtag in dem von ihm ausgesuchten Wahlkreis Greiz. Das war es dann aber auch schon fast mit den guten Nachrichten. Linke und Grüne schaffen es in Sachsen nur dank der Grundmandatsklausel und starker Persönlichkeiten in ihren Wahlkreishochburgen in Leipzig und Dresden in den Landtag.

Die jetzigen Erfolge der AfD können langjährige Beobachter*innen nicht überraschen. Beginnend 2014 und verstärkt seit 2015 hat der rechte Block in der ostdeutschen Gesellschaft – bestehend aus Teilen der CDU, der AfD, extrem rechten Bewegungsunternehmer*innen und rassistischen Wutbürger*innen – die autoritäre Formierung und Mobilisierung des Rassismus im Parlament, in den Medien und auf der Straße vorangetrieben. Assistiert von der Diskurspolitik der Talkshows gelang es der extremen Rechten ohne Unterlass, ihre Themen und Begriffe zu setzen. Die Fixierung auch der liberalen Öffentlichkeit auf die vermeintlichen Sorgen und Nöte jener, die rechten Krisenlösungsmustern zustimmen, begrenzte nicht etwa den Aufstieg der extremen Rechten, er verschaffte ihr erst breite Resonanz und trug so zur Normalisierung ihrer Positionen in der Gesellschaft bei.

Normalisierungs­gewinne und antiwoke Ressentiments

Der Erfolg der AfD basiert nur zu einem geringeren Teil auf der Professionalisierung ihrer Politik. Gerade in Sachsen hat die Vorarbeit der NPD in den 1990er und 2010er Jahren den Boden für die Normalisierung der AfD als offen extrem rechte Partei bereitet. Die nun zutage tretenden raschen Normalisierungsgewinne der AfD auf kommunaler Ebene, über die sie jetzt geräuschlos Ämter und Funktionen in der Exekutive besetzt, fußt auf der geduldigen Vorarbeit anderer extrem rechter Akteure in den vergangenen Jahrzehnten.

Alles, was die AfD und ihre Verbündeten im Osten gerade austesten und umsetzen, wird über kurz oder lang sein Echo im Westen finden.

Zu den Voraussetzungen des Erfolgs der AfD gehört allerdings auch ihre jahrelange Verharmlosung durch Medien, Politikbetrieb und Wissenschaft. Bereits 2015/16 war erkennbar, dass die Partei in Ostdeutschland von extrem rechten Netzwerken dominiert wird, die hier testen wollten, wie weit sie mit der Enttabuisierung rechter Politik gehen können.

Der gesellschaftlichen Linken im weitesten Sinne des Begriffs gelang es in kaum einem politischen Feld Erfolge zu erzielen, die über temporäre die Abwehr weiterer sozialer Zumutungen, punktueller Momente kollektiven Erlebens von Solidarität hinausgingen: Lohnerhöhungen sind längst von der Inflation aufgefressen, die ohnehin nur minimalen Erleichterungen für Empfänger*innen von Bürgergeld werden gerade wieder kassiert. Das Dogma der Austerität ist fiskalpolitisch ungebrochen. Kurz: Kleine vorhandene Lichtblicke ändern nichts daran, dass es der Linken nicht gelingt, eine Gegenmacht zum rechten Block und den verbliebenen Spielarten neoliberaler Zurichtung der Gesellschaft zu etablieren. Mehr noch: Seit den Protesten gegen Hartz IV im Jahr 2004 gelang es der Linken jenseits von ihr nahestehenden Milieus in den Metropolen nicht, für ihre Ziele zu mobilisieren. Die Klimabewegung und ihr linker Flügel blieben ein Projekt postmaterialistischer Akteure und ihrer Aktionsformen.

Gerade der eigentlich notwendige Bruch mit dem fossilen Kapitalismus dient der extremen Rechten als Projektionsvorlage für ihre Agitation, die auf die Aufrechterhaltung jener Normalität gerichtet ist, die die Zukunft aller verspielt. Der Hass in Ostdeutschland auf alles, was die Grünen als Partei lebensweltlich und politisch zu repräsentieren scheinen, trägt geradezu irrationale Züge. AfD und Co beuten die antiwoken Ressentiments und die Furcht vor Statusverlusten gerade im Osten sehr erfolgreich aus.

Cover des ak-Sonderheftes "Brandstifter. Die AfD, ihre Helfer*innen und der andere Osten."

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Rechte Gewalt nimmt zu, die AfD räumt ab, und die »Brandmauer« ist so stabil wie eine Sandburg auf Sylt. Was hilft jetzt noch gegen die rechte Gefahr?

Kein Zweifel. Alles, was die AfD und ihre Verbündeten im Osten gerade austesten und umsetzen, wird über kurz oder lang sein Echo im Westen finden. Auch dort gibt es AfD-Hochburgen, in denen die Partei den gesellschaftlichen Rechtsruck in die Institutionen tragen will. Niemand in Hamburg, Köln oder Stuttgart sollte sich davor gefeit fühlen.

Das Bündnis Sahra Wagenknecht hat mit seinen kurz vor den Wahlen veröffentlichten sechs Punkten zum Thema Migration gezeigt, dass es der AfD migrationspolitisch nacheifert. Der Kurs des BSW gegenüber der AfD schwankt zwischen Absagen an eine Kooperation bis zu rhetorischen Annäherungen. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass eine Partei, deren Chefin zu Zeiten ihres Wirkens in der Linkspartei jeden Gedanken an eine Regierungsbeteiligung als Prinzipienlosigkeit und Verrat am Klassenkampf geißelte, sich nun unter Umständen ausgerechnet mit dem rechtskonservativen Michael Kretschmer von der Sachsen CDU in einer Regierung wiederfinden könnte. In Thüringen wiederholte der wackere Mario Voigt zumindest bis zum Wahlabend das Mantra, mit Bodo Ramelows Linken werde es keine Kooperation geben. So kannibalisiert das Festhalten an der Extremismusdoktrin am Ende vielleicht noch die Ost-CDU.

Ost-Exodus?

Derweil zerfällt die Brandmauer zur AfD von unten. Seit den Kommunalwahlen gehen täglich Meldungen darüber ein, dass die AfD Ortsbürgermeister, Ausschussvorsitzende und Gremienmitglieder stellt, über welche die Partei in den kommenden Jahren direkte lokale Durchgriffsmöglichkeiten gegenüber allen erhält, die ihr politisch nicht passen. Das sind keineswegs nur explizit linke Aktivist*innen. In den Bannstrahl der AfD werden alle geraten, die es wagen, ihren Hegemonie-Anspruch in den Regionen infrage zu stellen. Das kann der Sportverein mit einer Trainingsgruppe für Geflüchtete genauso wie die Kirchengemeinde, das Stadttheater oder die örtliche Cineasten-Initiative sein. Dass es die AfD ernst meint mit ihren Gegner*innen, wird sie diese, dort wo sie kann, sehr schnell und sehr deutlich spüren lassen.

In den kommenden Monaten und Jahren wird es darum gehen, lokalen Initiativen, Vereinen und Gruppen ein Mindestmaß an Handlungsfähigkeit zu erhalten; sie in die Lage zu versetzen, die Angriffe der AfD und ihres politischen Umfeldes schlicht strukturell zu überleben. Das ist leichter geschrieben als getan. Denn junge und engagierte Menschen werden in der kommenden Zeit Ostdeutschland aus Sorge um ihre Zukunft, ihre individuellen Handlungsspielräume oder ihrer körperlichen Unversehrtheit Richtung Westen verlassen. Dies ist die Konstellation, die seit Jahrzehnten das kritische Potenzial in Ostdeutschland schwächt, wovon wiederum die extreme Rechte profitiert.

Wenn die erste Empörung und Frustration über die Wahlergebnisse verraucht sein wird, ist es für die Linke Zeit, sich verbindlich die Frage vorzulegen, was nach emotionalen Demos und Videos gegen die AfD kommen soll. Was auf alle Fälle kommt, sind Wahlen. Am 22. September wählt Brandenburg einen neuen Landtag.

Marcel Hartwig

lebt in Leipzig und Halle. Er ist in der Jugendarbeit tätig.

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