Ende der Entspannungspolitik
Der einst gefeierte Friedensprozess zwischen Eritrea und Äthiopien ist vollends zum Stillstand gekommen
Von Jonas Berhe
Im Sommer 2018 kam Hoffnung auf am Horn von Afrika. Die lange verfeindeten Nachbarn Eritrea und Äthiopien schlossen nach vielen Jahren des politischen Schwebezustandes einen Friedensvertrag ab. Die plötzliche Bewegung in beiden Ländern war vor allem dem Wechsel an der politischen Spitze Äthiopiens zuzuschreiben. Das Land hatte mit der Wahl seines Ministerpräsident Abiy Ahmed einen Politiker an der Macht, der anfangs auch seinen Worten Taten folgen ließ. Nach seinem Regierungsantritt entließ er politische Gefangene, gestand Menschenrechtsverbrechen seiner Vorgängerregierungen öffentlich ein und förderte den Annährungsprozess mit Eritrea. Es folgten gegenseitige Besuche, die Öffnung der Grenze und die Aufnahme von Direktflügen. In Aussicht gestellt wurden sogar tiefgreifende Investitionen und intensivierter wirtschaftlicher Austausch.
Bis zu diesem Zeitpunkt schien die Aussöhnung in weite Ferne gerückt, da sich beide Länder von 1998 bis 2000 einen blutigen Krieg mit bis zu 100.000 Toten geliefert hatten. Damals endete der vor allem um die strittige Grenzziehung geführte Krieg erst nach internationaler Vermittlung durch die Organisation für Afrikanische Einheit, EU und UNO. Faktisch blieben aber die letzten 20 Jahre große Truppenverbände als Zeichen des gegenseitigen Misstrauens auf beiden Seiten der Grenze stationiert.
Auch dieses Mal wurde die Annäherung beider Länder durch ausländische Intervention unterstützt. Die Politologin Nicole Hirt vom Deutschen Institut für Global- und Regionalforschung (GIGA) kommt zu dem Schluss, dass die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Saudi-Arabien bei ihren Vermittlungen aus »primär militärstrategischen Interessen handelten« und die VAE Eritrea als Militärbasis nutze, um im Jemen-Krieg gegen die Huthi-Rebellen Einsätze zu fliegen.
Eritrea führt den diktatorischen Kurs fort
Eritrea feierte zwar im Inland und Exil die Annährungen als großen politischen Erfolg ihrer Beharrlichkeit der vergangen beiden Jahrzehnte, blieb aber innenpolitisch bei seinem harten diktatorischen Kurs. Für die zahlreichen politischen Gefangenen, inhaftierten Journalisten und kritischen religiösen Führer änderte sich nichts. Sie blieben weiterhin in Gefangenschaft zumeist ohne jeglichen Kontakt zur Außenwelt. »Eine menschenrechtlich unmögliche Sitution« nennt dies Abdulaziz Saleh, außenpolitischer Sprecher der oppositionellen Exilpartei ENSF (Eritrean National Salvation Front) in Frankfurt. Und weiter: »Demokratische Veränderungen sind in dieser Militärdiktatur weiterhin nicht zu erwarten«.
Die meisten politischen Gefangenen fielen der großen Verhaftungswelle vom September 2001 zum Opfer. Damals trauten sich einige Politiker*innen, einen offenen Brief an den Präsidenten Isayas Afewerki zu richten und seine politischen Alleingänge und die wiederholt verschobene Implementierung der Verfassung zu kritisieren. Diese sieht unter anderem die Bildung politischer Parteien und das Abhalten freier Wahlen vor.
Nur wenige der Politiker*innen konnten sich damals ins Ausland absetzen. Die meisten sind noch heute inhaftiert oder bereits verstorben. Von der Kritik durch verschiedene Menschenrechtsgruppen, EU und UNO und dem innenpolitischen Wandel im Nachbarland Äthiopien zeigt sich Afewerki unbeindruckt: Es gibt keine freien Wahlen, kein funktionierendes Parlament, unabhängige Medien sind verboten. Selbst die eigene Gerichtsbarkeit wird nicht beachtet.
Abiy Ahmed greift zu alten Methoden
Während Ministerpräsident Abiy Ahmed im Ausland für seine Bemühungen international gefeiert und schließlich Ende 2019 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, wurde seine Politik in seiner Heimat stets kritisch beäugt. Die Verbesserungen der Beziehungen zum kleinen Nachbarn war vor allem militärischen Hardlinern ein Dorn im Auge, da diese befürchteten, den Zugang zum eritreischen Meerzugang vollends aufgeben zu müssen.
Die innenpolitische Öffnung förderte paradoxerweise die Zunahme zahlreicher ethnischer und regionaler Konflikte, die bis dahin mit butaler Gewalt unterdrückt wurden. Ende Juni 2020 wurde der beliebte Sänger und Aktivist Hachalu Hundessa in Addis Abeba erschossen. Dies löste in der Hauptstadt und auch landesweit Proteste aus. Infolge dessen kam es nach unterschiedlichen Medienberichten bis zu 100 Toten. Ministerpräsident Abiy Ahmed setzt derzeit zum Entsetzen seiner Fans im europäischen Ausland auf die altbekannte Repression und lies kurzerhand das Internet abstellen. Die mittlerweile über 200 Festnahmen im Zusammenhang mit den Unruhen im Land erinnern an Methoden der alten Regierungen.
Alle diese Konflikte scheinen im Augenblick wichtiger als die weitere Aussöhnung und Annäherung mit dem alten Erzfeind am Horn.
Auch beim Thema Wahlen gerät Äthiopien mehr und mehr unter Druck. Wurden erstmals mit der amtierenden Regierung freie und unabhängige Wahlen versprochen, so wurden diese im Mai mit dem Verweis auf die anhaltende Corona-Pandemie auf einen unbestimmten Zeipunkt verschoben. Das an Eritrea grenzenden Bundesland Tigray, mit einer der ärgsten Kritiker des Ministerpräsidenten, vermutet aber dahinter einen Vorwand, um die Wahlen grundsätzlich nicht stattfinden zu lassen und setzt seit dem 1. September eigenmächtig Wahlen auf regionaler Ebene um.
Zusätzlich gibt es mit den Nachbarn Sudan und Ägypten massive Konflikte um das große Staudammprojekt GERD (Grand Ethiopian Renaissance Dam). Beide Länder werfen Äthiopien bei dem ambitionierten Projekt einen Alleingang vor, der für sie katastrophale Folgen haben könnte. Ägypten schaltete erst kürzlich den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ein und bat um Unterstützung bei der Suche nach einer »ausgewogenen Lösung«, da es vermutet, dass ihnen bald deutlich weniger Wasser zur Verfügung stehen könnte. Alle diese Konflikte scheinen im Augenblick wichtiger als die weitere Aussöhnung und Annäherung mit dem alten Erzfeind am Horn.
Eritrea hingegen hat offensichtlich grundsätzlich kein großes Interesse an einer weiteren Verbesserung der Lage. Die nach der Öffnung der Grenze im Sommer 2018 deutlich intensivierte Flucht vor allem junger Menschen – Beobachterinnen sprechen von 3.000 bis 5.000 Menschen, die monatlich fliehen –, wurde kommentarlos hingenommen, da sie sich auf perfide Weise für das Regime rechnet. Zum einen fliehen vor allem unzufriedene junge Menschen und verringern somit das Risiko von organisierten Unruhen im Land. Zum anderen garantieren viele dieser Geflüchteten die dringend benötigten Devisen, die nach gelungener Flucht und Arbeitsaufnahme im Ausland zurück nach Eritrea fließen.
Um diese oftmals freiwillig an die zurückgebliebenen Familien transferierten Gelder zusätzlich zu forcieren, gilt für Exil-Eritreerinnen eine international kritisierte Zwangssteuer. Wer aus dem Ausland beispielsweise Urkunden braucht, ein Erbe antreten oder ein Geschäft gründen will, muss zuvor belegen, dass 2% des Netto-Jahreseinkommens als Steuer bezahlt wurden. Diese Praxis geht einher mit der massiven Einschüchterung von Geflüchteten, die für ihre Anerkennung oft auf die Unterstützung durch die eritreischen Botschaften und Konsulate angewiesen sind. Obwohl viele Länder diese Praxis der Zwangsbesteuerung und Einschüchterung kritisieren, hält diese an.
Als Hauptgrund für die Flucht aus Eritrea gilt der international kritisierte Militärdienst »national service«. Dieser kennt für Rekrutinnen kein natürliches Ende und beginnt unmittelbar nach dem letzten Schuljahr, das auf Militärgelände absolviert wird. Wer nicht gut genug für das Studium ist, beginnt unmittelbar nach der Schule mit seinem Dasein als Soldatin. Human Rights Watch berichtet, dass es aufgrund dieser Perspektivlosigkeit gerade die 18- bis 24-Jährigen sind, die zuhauf fliehen.
Aktuell ist die Grenze zwischen beiden Ländern wieder geschlossen. Auf Nachfrage von Journalist*innen erklärte die eritreische Regierung, dass sie diese geschlossen hätte. Konkrete Gründe nannte sie keine. Symbolträchtiger als mit einer einseitigen Grenzschließung kann man das Ende eines Friedens- und Annäherungsprozess kaum darstellen.