Wieder nur Elendszoo
Aufgeblättert: »Working Class« von Julia Friedrichs
Von Nelli Tügel
In seinem Buch »Class Power on Zero-Hours« kritisiert das Kollektiv Angry Workers, wie Journalist*innen meist über Arbeiter*innen schreiben: Als Opfer, als Unterdrückte, für die sich niemand einsetzt und die sich vor allem nie selbst für sich einsetzen (können). Nicht mit Details für prekäre Lebenslagen zu sparen, zugleich aber keinen Elendszoo zu veranstalten, ist eine Herausforderung. Manchmal gelingt es, oft nicht. Julia Friedrichs Buch »Working Class« hat ein verblüffend ähnliches Cover wie jenes der Angry Workers – abgesehen davon ist es ganz anders, und die eingangs zitierte Kritik trifft durchaus auf den langen Reportage-Text zu. Friedrichs hat über ein Jahr Menschen begleitet, die arbeiten müssen, um Geld zum Leben zu haben; »die keine Unternehmensanteile haben, über keine Mietshäuser verfügen, keine Erbschaften erwarten« – Arbeiter*innen eben. Entlang der Gespräche mit ihnen entwirft Friedrichs ein Panorama von Armutslöhnen, Abstiegsängsten und wachsender Ungleichheit, unterfüttert mit Zahlen und Rückgriffen auf die Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte, mitunter etwas romantisierend auf die alte, viel »gerechtere« BRD blickend. Corona platzt dann mitten in die Recherche und eskaliert vieles. Durchaus lesenswert. Nur: Am Ende bleibt es ein resignierendes, im Grunde hoffnungsloses Buch. Auch wenn Friedrichs den Menschen in ihrem Buch mit Respekt und Empathie begegnet, so bleiben sie Opfer, mit denen man Mitleid empfindet. Nach inzwischen einigen breit rezipierten Büchern zu »Klasse« kann das nicht (mehr) genügen.
Julia Friedrichs: Working Class – Warum wir Arbeit brauchen, von der wir leben können. Piper, München 2021. 320 Seiten, 22 EUR.