Wochenend-Sicherheits-Atom-Bunker
Von Moritz Assall
Im Jahr 1977 erschien ein Buch mit dem einfach wunderschönen, mich sofort wegzaubernden Titel »Tagträume vom aufrechten Gang«. Der dünne Band enthält Interviews mit dem marxistischen Philosophen Ernst Bloch. Bloch hatte eine Philosophie der Hoffnung entwickelt, in der selbst scheinbar banale Tagträume als »Dämmerung nach vorn« utopischen Charakter innehaben können. Dabei ging es Bloch um Hoffnung als »Anmaßung zur Tat«, um »militanten Optimismus«, also auch um daraus folgende Taten.
Er schrieb: »Indem wir hinfahren, erhebt sich die Insel Utopia aus dem Meer des Möglichen«. Und appellierte: »Der Fortschritt wird kommen. Man muss ans ›Prinzip Hoffnung‹ glauben. Ein Marxist hat nicht das Recht, Pessimist zu sein«. Auch wenn man Bloch Unrecht tun würde, ihn als naiven Optimisten abzustempeln, kann man schon sagen: Er war eher so der Typ Glas halb voll. Selbst in der größten drohenden Katastrophe, der Apokalypse, sah Bloch in religiöser Anlehnung noch »einen revolutionären Wunschsinn für die Mühseligen und Beladenen«.
Andere Menschen, man mag es ihnen nachsehen, sehen der Apokalypse weniger hoffnungsfroh entgegen. So auch eine Frau, die im Jahr 2010 vor dem Bundesverfassungsgericht die BRD verpflichten wollte, gegen Versuchsreihen der Europäischen Organisation für kernphysikalische Forschung (CERN) vorzugehen. Die Klägerin war der Auffassung, dass in dem Teilchenbeschleuniger des CERN »Miniatur-Schwarze-Löcher« entstünden, durch die binnen fünf Jahren die Erde zerstört werden könnte – konnte diese Furcht aber nicht so recht begründen.
Das fand das Gericht dann doch etwas realitätsfern und gab der Klägerin mit leicht verärgertem Unterton mit, es genüge nicht »Warnungen auf ein generelles Misstrauen gegenüber physikalischen Gesetzen (…) zu stützen«. Und weiter: »Die Größe eines vermeintlichen Schadens – hier die Vernichtung der Erde – erlaubt keinen Verzicht auf die Darlegung, dass ein wenigstens hypothetisch denkbarer Zusammenhang zwischen der Versuchsreihe und dem Schadensereignis besteht«.
In einem ganz anderen Verfahren erging im April dieses Jahres ein Urteil durch das Verwaltungsgericht Trier. Hier ging es um die wenig hoffnungsvolle Wochenendgestaltung der Klägerin – die Pressemitteilung des Gerichts zum Verfahren trägt den lyrischen Titel »Kein atomsicheres Wochenendhaus in Oberemmel«. In Oberemmel nämlich, einem hübschen Weindorf in Rheinland-Pfalz, wollte die Klägerin einen »Sicherheits-Atom-Bunker« errichten. Die Vorstellungen der Klägerin vom Atomkrieg sind etwas unklar, denn bewohnt werden sollte der Bunker »in der Kubatur eines Oktagons mit 50 cm starken Außenwänden in Stahlbeton« nur am Wochenende.
Ob die Klägerin wohl über einen Zweit-Sicherheits-Atom-Bunker für unter der Woche verfügt? Man weiß es nicht. Jedenfalls wurde ihr die Baugenehmigung versagt, denn der Bunker füge sich »nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein«. Zwar, so steht es im Urteil, halte »sich das Vorhaben jedenfalls mit der angestrebten Nutzung als Wochenendhaus innerhalb des bereits tatsächlich in der näheren Umgebung vorhandenen Nutzungsspektrums«. Allerdings sei die konkrete »Bauausführung« als Atom-Sicherheits-Bunker »für ein Wochenendhaus völlig atypisch«, es füge sich nicht in den Bebauungszusammenhang ein und stelle darum geradezu einen »städtebaulicher Fremdkörper« dar. Vorsichtshalber weist das Gericht im Urteil zwar extra nochmal darauf hin, dass das »Gebot des Einfügens nicht als starre Festlegung (…) allen individuellen Ideenreichtum blockieren« soll.
Ein individuell ideenreich ersonnener Atom-Sicherheits-Bunker in der Kubatur eines Oktagons ist allerdings laut Verwaltungsgericht Trier zum Schutz der städtebaulichen Eigenart der näheren Umgebung baurechtlich dann aber doch unzulässig, denn er sei »in besonderem Maße geeignet (…) ähnliche Bauwünsche aufkommen zu lassen«. Man kennt es: Hat ein Mensch einen Wochenend-Sicherheits-Atom-Bunker in Oktagonkubatur, dann wollen alle einen. Aber immerhin gibt es nun die klare Feststellung des Verwaltungsgerichts Trier, dass Wochenendbunker auch in Deutschland städtebaulich eher untypisch sind. Das macht doch Hoffnung.