analyse & kritik

Zeitung für linke Debatte & Praxis

|ak 647 | Alltag

Wir leben immer noch in diesem Patriarchat

Unsere Autorin ist nonbinary und damit trans – und kommt trotzdem nicht drumrum, eine Frau zu bleiben

Von Jeja Klein

Als die Imbisskellnerin mit dem Harley-Davidson-Shirt nach anfänglich extrem freundlichem Umgang mit dem »jungen Mann« meine glitzernd lackierten Fingernägel sah, redete sie kein einziges Wort mehr mit mir. Sie schob mir die Rechnung wortlos über den Tisch, sah so lange angestrengt weg, bis ich die Münzen auf den Tisch gelegt hatte, und schmiss das Wechselgeld ebenso wortlos zurück. Ich erinnere mich gern an diese Szene zurück, weil die Kellnerin mir unmissverständlich spiegelte, dass ich als der wahrgenommen wurde, der ich an diesem Tag sein wollte – oder »war«.

Seit vielen Jahren lasse ich mich privat mit wechselnden Pronomen ansprechen und habe liebe Menschen in einen männlich konnotierten Namen für mich eingeweiht. Wenn mir danach ist – und das passiert nicht selten –, mache ich mir die Brust mit einem professionellen Binder für transgeschlechtliche Männer platt, verstecke meine Haare unter einer Schiebermütze, male meine Brauen dicht, wähle eine ausgeklügelte Kombi aus »männlichen« und »weiblichen« Kleidungsstücken und schaffe es so regelmäßig, als »männlich« wahrgenommen zu werden.

Ich bin, in der Nomenklatur der genderqueeren Szene, gender fluid und femme – und dass ich das konstant seit vielen Jahren bin, erfüllt zumindest die absurde Voraussetzung aus dem Transsexuellengesetz, nach dem man seit mindestens drei Jahren in einem »anderen« Geschlecht zu leben hat. Mein Körper ist super, ich möchte bloß nicht an jedem Tag für eine Frau gehalten werden, sondern eher feminin-männliche Seiten zeigen. Und trotzdem ist es für mich unmöglich zu verneinen, eine Frau zu sein, einfach von mir als »trans« oder »nonbinary« zu sprechen und das als Anspruch an mein Umfeld zu richten.

Was ich nie verstanden habe, ist, wie sich in besagter genderqueerer Szene dieses Verständnis von Identität durchsetzen konnte: mal als mehr oder weniger freiwilliges Entscheiden, mal aus einem inneren Zwang heraus, aber immer eine irgendwie in einem Menschen drinnen schlummernde Instanz, in der mindestens ein Wort für eines der vielen Geschlechter drinsteht. Dann geht es nur noch darum, das Äußere diesen im Innern liegenden Worten anzupassen – oder ein Privatumfeld aufzubauen, in dem ein neues, richtiges Pronomen benutzt wird. Ich bin cool damit, 1,90 Meter große Menschen mit Bärten, für die Hormone, Haarentfernung und OPs aus individuellen Gründen kein gangbarer Weg sind, mit »sie« anzusprechen. Das gleiche gilt für Leute, deren Brüste ich vielleicht aus der Sportumkleide kenne und ihr »Er«-Pronomen. Ich muss darüber auch gar nicht groß nachdenken. Aber das passt für mich eben nicht: Mein geschlechtliches Erleben war immer davon geprägt, welche Unfreiheiten und Freiheiten ich in Verkettung mit meinem Körper in dieser Welt erfahre. Das bedeutete für mich immer wieder, unter teilweise unmittelbarem Zwang in die Rolle des Sexualobjekts gedrängt zu werden.

Jeder Gang durch die Stadt, jede Fahrt mit der Tram ist geprägt von der permanenten Drohung, dass ein fremder Typ ekelhafte sexualisierte Bemerkungen macht, sich mir in den Weg stellt oder mich anfasst und dass ich durch öffentliche Räume immer nur mit diesem Bewusstsein laufen kann. Wenn ich zu Ärzten gehe, ist mein Kopf zugedröhnt mit Stress und Angst, weil nicht erst ein alter Typ im weißen Kittel diese für ihn praktische Situation mit mir allein für einen kleinen sexuellen Kick benutzt hat. Egal, ob ich beruflich, familiär oder in der Partywelt mit Menschen zu tun habe, viele sind unbewusst der Meinung, dass eine Hand auf meinem Körper etwas ganz normales ist.

Ich gebe Kampfsporttrainings, und wenn ich offen zu einer neuen Gruppe einlade, kommen viele Mädchen und junge Frauen, aber die harten Antifajungs bleiben eher fern. Das ist bei meiner Kickbox-Kollegin genau so. Wenn sie doch kommen, wissen sie alles besser und hinterfragen konstant, was ich tue. Und ich werde den Verdacht nicht los, dass Zeitungsredakteur_innen bei Männern weniger in eingereichte Texte redigieren als bei mir. Kurzum: Für mich sind die Räume in diesem Leben wesentlich kleiner als für Männer. Außer vielleicht beim Sprechen über meine Emotionen, über Sex oder ob man mir zutraut, gut mit Kindern zu können – aber auch das wird gegen mich benutzt.

Und dabei ist es völlig unbedeutend, was meine Geschlechtsidentität im oben beschriebenen Sinne ist. Es ist mein Körper, der in den Leuten ganz viele Assoziationen, Erfahrungen, Gelüste, Unbehagen, Annahmen, Angst und Wut auslöst und sie dazu bringt, mich so zu behandeln, wie sie es tun. Zumindest erscheint es so, dass mein Körper selbst das verursacht. Wir leben ja immer noch in diesem Patriarchat. Für mich war immer klar: Identität ist auch ein Gefängnis, das mich ohnmächtig dagegen macht, was mein als weiblich gelesener Körper in den Leuten auslöst. Identität ist keine Einbahnstraße: Es ist das »sich identifizieren« genau so wie das »identifiziert werden«. Erst dieser Widerspruch macht die Vielfältigkeit unserer Persönlichkeiten und all die daran hängenden Dramen aus, egal, ob man trans oder cis, binär oder inter oder sonst irgendwie nichtbinär ist.

Ob ich mich damit identifiziere, nicht die Person zu sein, die beim Bahnfahren angestarrt wird, ist für die Starrer_innen völlig unbedeutend. Ich kann nicht aufstehen und sagen: »Tschuldigung, Sie starren mich zwar grad an, weil Sie mich für eine vielleicht ganz passabel aussehende Frau halten, aber das muss ein riesengroßes Missverständnis sein: Ich bin ja gar keine.«

Ich kann meine Identität nicht anders beschreiben, ohne genau diesen Widerspruch einzubeziehen. All die Gefühle, die ich dazu hatte, dass Menschen mich so behandeln, all mein Widerstand dagegen und all die immer wiederkehrende Ohnmacht machen mein Leben aus und definieren, wer ich bin. Ich definiere das nunmal nicht selbst. Und natürlich sind da auch all die anderen Erfahrungen, wie viel Platz ich als Junge plötzlich in der Tram haben kann oder dass ich durch die Stadt laufe und die Leute mich kaum beachten. Ich fühle mich außerstande zu bewerten, ob sich meine Identifizierung darauf bezieht, dieser Junge zu sein oder jemand, in dessen Raum niemand eindringt.

Einmal, vor nicht allzu langer Zeit, lief ich frühmorgens im Dunkeln nach dem Feiern über das Köln-Ehrenfelder Bahngleis. Überall standen oder saßen Gruppen von lauten, betrunkenen Männern herum. Rechts hatte ich mich bei einem Mann eingehakt. So war ich vorher noch nie im öffentlichen Raum unterwegs gewesen. Meine innere Alarmanlage sprang an, aber die Typen schauten kaum zu mir auf, starrten mich nicht an, sprachen mich nicht an und liefen auch nicht auf mich zu oder umstellten mich, wie ich es von Nächten in dem Kölner Partyviertel gewohnt war. Und auf einmal fühlte ich mich mit dem Mann an meiner Seite unglaublich sicher und gut; ich mochte ihm noch viel näher sein. Wir fuhren zu ihm und schliefen miteinander. Erst am nächsten Tag habe ich verstanden: Die empfundene Sicherheit war nicht er, sondern die Tatsache, dass Männer den Besitz anderer Männer respektieren, nicht Frauen und ihre Selbstbestimmung oder ihr Recht, zu nichts gezwungen zu werden. Zu dem tollen Gefühl, das mein Bettgefährte mir in dieser Nacht beschert hatte, kam plötzlich der Ekel, weil wir außerstande gewesen sind, uns einfach nur als Menschen zu begegnen. Er war Mann, ich war Frau, ich konnte ihn nur aus dieser Position heraus spüren und habe das nicht einmal bemerkt.

Ich kann meine Identifizierungen mit »beiden« Geschlechtern bis in meine Kindheit zurückverfolgen; da weiß ich ganz konkrete Anekdoten zu erzählen. Aber ich kann nicht behaupten, sie kämen irgendwie unschuldig aus mir selbst. Sie sind immer eine Art des Umgangs damit, dass es Geschlecht ohne die Strukturen der Über- und Unterordnung nicht gibt. Damit sind meine Sehnsüchte notwendig in genau diese Über- und Unterordnung eingebettet, egal, ob ich mich von etwas entfernen oder auf etwas zubewegen will.

Die Verlockung, mich vor allen als nonbinary zu outen und damit einen Anspruch zu verbinden, nicht als Frau behandelt werden zu wollen und ihn vielleicht noch mit einem neuen Pronomen zu unterstreichen, war all die Jahre groß und ist es noch immer. Ich wünsche mir so sehr, diesen Anteilen meiner Persönlichkeit, also diesem Teil des Produkts der in und an mir wütenden Widersprüche, Geltung zu verschaffen. Und ich würde an dieser Stelle auch gar nicht ausschließen, dass ich es nicht bald tue. Und trotzdem ist mir klar, dass ich, anders als binäre transgeschlechtliche Menschen mit gutem Passing, diese Art des gewohnten Umgangs mit mir nicht loswerde. Die Leute werden sich fragen, was ich denn »eigentlich« bin, und sie werden es »herausfinden« – und mich so aufs Neue in mein Geschlechtsgefängnis stecken. Es ist demütigend genug, für eine Frau gehalten und darum in so vielem abgewertet zu werden. Dieses Leid noch zu potenzieren, indem ich eine Identität abseits des Frauseins beanspruche, die eh nicht ernst genommen wird, erscheint mir absurd. Es würde mein Leben kaum besser, aber alle möglichen alltäglichen Aufgaben noch verzwickter machen.

Dabei würde ich mich ja nicht aus bloßer Liebe zur Wahrheit outen, sondern weil ich ein gutes Leben will. Ich habe großen Respekt vor den nichtbinären Personen, die ich kenne und die, darauf angesprochen, dass sie in alltäglicher Kommunikation doch immer wieder grammatisch in ihr »biologisches Geschlecht« gesetzt werden, nur mit den Schultern zucken und sagen können, dass ihnen da leider auch nichts zu einfällt. Dass ich gerade wieder so viel über mein Transsein nachdenke, liegt an der Ermutigung durch solche Menschen.

Wie kann ich über das sprechen, wie mich Menschen behandeln? Wie über das, was mir angetan wurde? Wie kann ich meinen Standpunkt einnehmen, mich zur Wehr setzen, für eine Welt ohne diese ganze am Geschlecht orientierte Gewalt streiten, ohne dabei anzuerkennen, dass die Behandlungen als Frau mich auch faktisch zur Frau machen? Das war doch schließlich mal einer der kritischen Gedanken des Feminismus, dass Geschlecht und die Produktion von Geschlecht nicht zu trennen sind.

Ich habe das Gefühl, ohne die Einsicht in dieses Zwangsverhältnis nicht sprechen zu können, oder dass die Leugnung dieses so engen Zwangsverhältnisses zugunsten von etwas mehr Freiheit im Ausdruck zu nichts weniger führen könnte als zu meiner Verstummung.

Als Feministin könnte mich das um fast alles bringen, was mich als Menschen ausmacht. Ich wünschte, einen Weg aus dieser Zwickmühle zu finden, der sich für mich wirklich gangbar anfühlt.

Jeja Klein

macht freien Journalismus und beschäftigt sich mit Geschlecht und Queerness, sexueller Gewalt und Antifaschismus: jejaklein.net. Pronomen: sie/es.

Als der Artikel erschien, hieß Jeja noch anders. In der Printausgabe steht deshalb Jana Klein.