Theorie und Praxis der Westberliner Linken
Aufgeblättert: »Das Prinzip Bewegung« von Benedikt Sepp
Von Peter Nowak
Der Historiker Benedikt Sepp beschreibt, wie sich der seit 1961 von der SPD unabhängige SDS mit Verve auf das Studium der Theorie stürzte. Spätesten ab 1964 wurde dann im SDS wieder der Ruf nach einer verstärkten Praxis laut. Im Anschluss stritten verschiedene Fraktionen über die richtige Theoriearbeit. Jüngere Intellektuelle traten unter dem Label des Antiautoritarismus an und warfen ihren Kontrahentinnen Bürokratismus vor. Nur wenige Jahre später erhob eine neue Generation von Linken die gleiche Kritik an den nun schon Arrivierten. Dieser Mechanismus setzte sich nach Auflösung des SDS in den K-Gruppen fort. Erfreulich ist, dass Sepp auch auf die heute vergessene Projektgruppe Elektroindustrie/Proletarische Initiative (PE/PI) eingeht, die zunächst in operaistischer Tradition die kommunistische Parteigründung ablehnte und den Aufbau von Betriebsgruppen propagierte. Doch nur kurze Zeit später propagierte auch sie das Konzept straff geführter kommunistischer Organisationen. Ein Grund dafür: Die erhoffte Selbstorganisation der Arbeiterinnen ging selten über den Rahmen des Reformismus hinaus. Solche Probleme haben auch heute linke Gruppen, die sich der Stadtteil- oder Betriebsarbeit widmen. Daher hat das Buch von Sepp nicht nur historischen Wert. Positiv: Bei aller Distanz zu vielen der beschriebenen linken Gruppen nimmt Sepp die Aktivist*innen in ihren Engagement als Menschen ernst, die eine Alternative zum Kapitalismus suchten.
Benedikt Sepp: Das Prinzip Bewegung – Theorie, Praxis und Radikalisierung in der Westberliner Linken 1961-1972. Wallstein, Göttingen 2023. 353 Seiten, 42 EUR.