Wer das System trägt, kann es auch stürzen
Die Corona-Pandemie vertieft die Krise der sozialen Reproduktion – alte Forderungen wie »Lohn für Hausarbeit« bekommen neue Dringlichkeit
Von TOP B3rlin
Eine Auswirkung der Covid-19-Pandemie ist die Zuspitzung der kapitalistischen Dauerkrise der sozialen Reproduktion, also der Produktion des Lebens selbst: Kochen und Kinderbetreuung gehören genauso dazu wie Pflege und Erziehung, aber auch Zuhören, Trösten und Kümmern. Schon im kapitalistischen Normalvollzug erledigen Frauen (1) den größten Teil dieser Arbeiten, oft unbezahlt und unsichtbar im Privaten. Social Distancing, Ausgangsbeschränkungen, Kita- und Schulschließungen vergrößern nun noch den Anteil an privat zu erledigender Reproduktionsarbeit. Dieser Prozess ist belastend für alle, trifft Frauen aber meist besonders hart: Homeschooling, Klopapierschlangestehen und Quarantäne-Kümmern stemmen meist sie. Soweit Arbeiten sozialer Reproduktion doch mal entlohnt werden, gibt es durch die Krise manchmal Beifall, selten Prämien, keinesfalls aber eine Lohnerhöhung.
Verwertungslogik, Klassen- und Männerherrschaft bilden den Boden, auf dem die Dauerkrise und ihre gegenwärtige Radikalisierung gedeihen. Nur die Abschaffung von Kapitalismus und Patriarchat und damit eine Aufhebung der Trennung von privater Reproduktion und öffentlicher Produktion würden das Problem tatsächlich an der Wurzel packen. Und nur mit feministischem Klassenkampf überwinden wir diese Krise und ermöglichen das gute Leben für alle: im Kommunismus.
In der grundsätzlich falsch eingerichteten Gesellschaft bleibt aber auch immer Spielraum für dramatische Verschlechterungen der Lage von Frauen. Das betrifft insbesondere die Verlagerung von Sorgearbeiten zurück ins Private. Kitas sind im Kapitalismus nicht unbedingt Orte der Emanzipation, denn schlussendlich sind sie dafür da, dass auch die Frau mit Kind ihre Arbeitskraft verkaufen kann beziehungsweise besser muss – intensives Einüben der Kinder in kapitalistische Tugenden und gesellschaftliche Normierungen hinsichtlich Gender, Race und Klasse inklusive. In Kitas wird damit aber kapitalistisch-notwendig falsch umgesetzt, wofür die Kinderladen-Bewegung zu Recht gekämpft hat: Erziehung jenseits der Kleinfamilie und damit auch ohne Ausbeutung durch unbezahlte Erziehungs- und Betreuungsarbeit im Privaten.
Wenn nun auf Grund von Covid-19 Kitas geschlossen werden, kennen nicht nur der Terror der Kleinfamilie, sondern auch die Ausbeutung von Frauen – in der bezahlten wie unbezahlten Arbeit – keine Grenze mehr. Die Nachrichten über eine Zunahme erschöpfungsbedingter Krankheiten bei Frauen erstaunen nicht wirklich.
Lohn für Frauen
Bekanntlich werden – ebenfalls meist von Frauen erledigte – Arbeiten in der Pflege, Betreuung, Erziehung etc. weitaus schlechter bezahlt als Arbeiten in der sogenannten Produktion und reichen oft gerade mal so zum Leben. Daran hat sich auch in der Pandemie trotz gegenteiliger Bekundungen aus der Politik nichts geändert. Wenn Frauen in »produktiven« Jobs arbeiten, schlägt wiederum der »Gender Pay Gap« lohndrückend zu Buche. Die krisenbedingte Intensivierung der Ausbeutung im Privaten wird also von der Fortsetzung prekärer oder mindestens ungleich bezahlter Lohnarbeit begleitet.
Das bedeutet auch: Die Misere betrifft besonders die Masse der Niedriglohnarbeiterinnen. Selbstsorge lässt sich mit dem nötigen Kleingeld leichter betreiben und Homeschooling in der geräumigen Altbauwohnung mit entsprechender IT angenehmer bewerkstelligen. Mit Nanny und Personal Trainer, natürlich zu Niedriglöhnen beschäftigt, stellen sich viele Probleme gar nicht erst. Geringverdienerinnen müssen indes nicht nur die beschriebene Intensivierung ihrer Ausbeutung erleiden, sondern auch noch um ihre mickrigen Löhne bangen. Erste Studien deuten an, dass Frauen mehr als ihre männlichen Kollegen zur Kurzarbeit gezwungen sind. Auf Kurzarbeit folgt schnell Entlassung, oder die Kinderbetreuung zwingt zur Aufgabe der Lohnarbeit – mit existenziellen Konsequenzen nicht nur im Fall von Alleinerziehenden.
In der grundsätzlich falsch eingerichteten Gesellschaft bleibt auch immer Spielraum für dramatische Verschlechterungen der Lage von Frauen.
In einer Partnerschaft kann ein Jobverlust zwar möglicherweise finanziell aufgefangen werden. Dann droht allerdings eine Wiederkehr des fordistischen Familienmodells – d.h. konkret die finanzielle Abhängigkeit der Frau als Hausfrau vom Mann als Alleinverdiener. Der Staat fördert auf diverse Arten den institutionellen Fortbestand von heterosexueller Ehe und Kleinfamilie. Deshalb dürfte es in der Krise nicht nur eine patriarchale Selbstverständlichkeit, sondern eine einfache Rechnung sein, wer seinen Job aufgeben muss, wenn etwa ins Private zurückverlagerte Kinderbetreuung dies verlangt. Die diversen Reallohnsenkungen der letzten Jahrzehnte und der sich ausbreitende Niedriglohnsektor machen es allerdings Männern trotz »produktiver« Tätigkeit und dem Profitieren vom »Gender Pay Gap« schwer, der Alleinernährerrolle ohne Hartz-Aufstockung gerecht zu werden. In der sozialen Distanzierung bedeutet der Verlust des Jobs zudem eine Verschärfung der gesellschaftlichen Isolation; der einzige Bezugsrahmen bleibt die Kernfamilie. Statistisch gesehen ist das eigene Zuhause für Frauen einer der gefährlichsten Orte. Zur emotionalen Abhängigkeit innerhalb gewalttätiger Beziehungen kommt nun noch eine finanzielle Abhängigkeit hinzu.
Ein Teil der prekären Lohnarbeit sozialer Reproduktion wurde in der Krise als »systemrelevant« entdeckt. Immerhin, könnte man meinen. Aber auf Applaus und lächerliche Corona-Prämien folgt schnell die Idee, dass noch mehr Fachkräfte aus Niedriglohnländern, beispielsweise aus Mexiko und Brasilien, anzuwerben seien: Zum Glück für das Kapital finden sich irgendwo auf der Welt immer noch Ärmere, die ausgebeutet werden können. Die hier beschriebene Misere in Deutschland spielt sich bekanntlich auf einer kapitalistischen Sonnenseite der Welt ab. Erste Nachrichten etwa über Hungertote wegen des Lockdowns in Indien deuten an, was die Pandemie und mit ihr die Vertiefung der Dauerkrise der sozialen Reproduktion an anderen Orten bedeuten. Zugleich wird die internationale Konkurrenz der Arbeiter*innen dazu genutzt, auch die geringen Arbeitskraftkosten in der Reproduktionsbranche reicher Staaten noch weiter zu reduzieren.
Es ist aber nicht so, als ob nicht schon seit Jahren bekannt wäre, dass die Arbeit sozialer Reproduktion weder gesellschaftlich noch monetär anerkannt wird. Im Gegenteil: Pfleger*innen, Erzieher*innen und Sozialarbeiter*innen wehren sich schon lange gegen diese Farce. Seit Jahren fordern sie in Streiks, dass die Arbeit am Menschen nicht kaputtgespart werden soll. Dabei erfahren sie – und das ist die Krux an der ganzen Geschichte – oftmals wenig Solidarität, da das Streiken in Gesundheits- und Sozialberufen als rücksichtslos und als Verstoß gegen die Berufsethik angesehen wird. Sie brauchen unsere Solidarität nicht auf den Balkonen, sondern auf der Straße beim nächsten Arbeitskampf.
Diese Kämpfe leiden auch darunter, dass Sorgearbeit in der bestehenden Gesellschaft als Frauenarbeit betrachtet und abgewertet wird. Darin steckt nach wie vor die Vorstellung, reproduktive Arbeit sei gar keine richtige Arbeit. Auch innerhalb der Arbeiterbewegung wurde und wird die Reproduktion als Kampffeld vernachlässigt und die »Frauenfrage« hintangestellt. Eine Ausweitung des Arbeitsbegriffs auf Pflegen, Zuhören, Erziehen, Putzen, Kochen und Kümmern bricht mit der patriarchalen Idee, Sorgearbeit sei die natürliche Bestimmung der Frau und würde durch Liebe genug entlohnt. Diesen Bruch müssen wir mit feministischen Streiks erkämpfen; er ist die Voraussetzung für einen gemeinsamen antikapitalistischen Kampf.
Eine andere Reproduktion ist möglich
In der Krise der Reproduktion wird deutlich, was in feministischen Kämpfen in den letzten Jahren ausgespart wurde: das Private ist politisch und muss als solches behandelt werden. Es ist an der Zeit, über die Organisierung und andere Möglichkeiten der Reproduktionsarbeit zu reden und das Fortbestehen der heterosexuellen Kleinfamilie zu kritisieren.
Die feministische Kampagne »Lohn für Hausarbeit« beispielsweise – leider oftmals in der feministischen Bewegung fälschlicherweise schon zu den Akten gelegt – wendete sich gegen eine unbezahlte Arbeit im Kapitalismus, die Frauen in Abhängigkeit von Männern hält. Schon in den 1970er Jahren wurde mit dieser internationalen Kampagne auf die ungerechte Verteilung von Arbeit zwischen den Geschlechtern hingewiesen. Zugleich zeigte die Kampagne, dass eine gerechte Bezahlung von Sorgearbeit im Kapitalismus schlicht unmöglich ist. Die Forderung »Lohn für Hausarbeit« dient nicht einer Aufwertung der geschlechterhierarchischen Arbeitsteilung, sondern zielt auf ihre Überwindung. Der Kampf für eine angeglichene Entlohnung von Reproduktionsarbeit sollte also kein Kampf für eine Erweiterung der kapitalistischen Produktionsweise auf den Haushalt, sondern von Beginn an schon gegen die Lohnarbeit an sich gerichtet sein.
Die Krise ist nicht vorbei, wenn nach der Pandemie Frauen zurück in die Lohnarbeit gehen und Pfleger*innen, Erzieher*innen und Lebensmittelverkäufer*innen im Jahresrückblick 2020 als Alltagsheld*innen gefeiert werden. In der marktförmigen wie in der familiären Sorgearbeit zementieren Kapital, Patriarchat und Nation ihre Verfügungsgewalt über Frauen, insbesondere über arme und migrantische Frauen. Die Krise der Reproduktion trifft jede Frau, wenn auch unterschiedlich hart. Innerhalb dieses Systems kann es keine Gleichberechtigung der Geschlechter geben.
Wir weigern uns deshalb, in eine vermeintliche Normalität zurückzukehren. Aus der Krise ergibt sich eine Chance, die nicht darin liegt, endlich Sauerteigbrot selbst zu backen oder eine Yoga-Routine zu etablieren. Lasst uns die feministischen Bewegungen und die Arbeitskämpfe im Gesundheits- und Sozialsystem der letzten Jahre zusammen auf die Straße bringen für eine neue feministische Klassenpolitik. Denn wer systemrelevant ist, kann dieses System auch stürzen!
Anmerkung:
1) Obwohl wir Geschlechterkategorien als Konstruktion erkennen, ist die Zweigeschlechtlichkeit mitsamt ihren »natürlichen« Zuschreibungen eine gesellschaftliche Realität, mit der wir immer wieder konfrontiert sind.