Jetzt bring’ ma wieder Schwung in die Kiste
Von Moritz Assall
Der Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint als eine »ungeheure Warensammlung«, die einzelne Ware als seine Elementarform – so lautet der berühmte erste Satz des Kapitals von Karl Marx. Voraussetzung für so etwas wie Warenform ist das Eigentum. Kleines Problem: Das muss juristisch erst Mal hergestellt werden, und das ist manchmal gar nicht so einfach. Wie wird zum Beispiel so etwas wie Eigentum an geistigen Schöpfungen begründet? Durch das Urhebergesetz, das etwa einem »Sprachwerk« den Status eines geschützten Werkes verleiht, wenn es über eine hinreichende »Gestaltungshöhe« verfügt. Die Gerichte müssen also, damit auch Sprachwerke warenförmig und damit in die kapitalistische Verwertung eingespeist werden können, regelmäßig darüber entscheiden, ob ein Sprachwerk banal und alltäglich ist oder eine »geistige Schöpfung« mit »Gestaltungshöhe«. Kurz: ohne Gestaltungshöhe kein geistiges Eigentum, ohne Eigentum kein »zu Markte tragen«, also keine Warenform und ohne Warenform keine Knete.
Und mit dieser Verwarenformisierung haben die Gerichte auch gut zu tun. So hatte zum Beispiel das Landgericht München über die Klage einer Riesenrad-Ansagerin zu entscheiden, die die »alte Kunst der sprachlichen Animation« nach eigener Aussage so perfektioniert habe, dass sie mit ihren Jahrmarktansagen »weit über die deutschen Landesgrenzen hinaus bekannt sei.« Sie sei sogar von der Abendzeitung als »erotischste Stimme der Wiesn« beschrieben worden und mit eben dieser Stimme sagte sie auf dem Jahrmarkt nach alter Kunstform: »Ja und jetzt, jetzt bring ma wieder Schwung in die Kiste, hey ab geht die Post, let’s go, let’s fetz, volle Pulle, volle Power, wow, super!«
Dieser Satz wurde prominent in einem Lied verwendet, das allein auf YouTube über zehn Millionen Mal geklickt wurde, allerdings ohne die Nutzungsrechte zuvor von der Ansagerin käuflich erworben zu haben. Die wollte nun dafür Geld sehen, und dafür musste der Satz die Voraussetzungen von Warenform erhalten – das Zauberwort vor Gericht lautete also wieder Gestaltungshöhe. Die Argumente der Klägerin werden im Urteil so wiedergegeben: »Die von der Klägerin kreierten Worte wiesen – unterstützt durch die ausdrucksstarke Darstellung – einen Spannungsbogen auf, der verloren ginge, wenn die Worte anders platziert wären. So wäre etwa die Verwendung der Worte ›Power‹, ›Wow‹ und ›Super‹ mitten im Satz deplatziert und würde die Rhythmik verändern, der Spannungsbogen ginge verloren. Es handele sich vorliegend gerade nicht um eine gewöhnliche Ausdrucksform, sondern Wortkreation und auch Betonung seien unverwechselbar und damit gerade nicht frei verwendbar.« Das sah das Gericht aber ganz anders. Es urteilte, der Satz erschöpfe »sich in einer losen und willkürlich erscheinenden Aneinanderreihung situativ hervorgebrachter, gebräuchlicher anpreisender Begriffe banalster Art und Weise«, kurz: eine »Belanglosigkeit« ohne »jedwede Doppeldeutigkeit und Individualität«. Die Warenform ist eben doch ein vertracktes Ding.
An dieser Stelle abschließend darum das wohl weltexklusiv erste Sprachwerk-Warenform-Quiz – ab geht die Post, let’s go, let’s fetz! Alle folgenden Zitate wurden vor deutschen Gerichten verhandelt, aber nur drei davon können gerichtlich bestätigt Warenform annehmen. Welche mögen es wohl sein? 1. »Vom Ernst des Lebens halb verschont / Ist der schon, der in München wohnt«; 2. »Früher war mehr Lametta«; 3. »Samba (Lachen) – hai que – Samba de Janairo«; 4. »Mögen hätte ich schon wollen, aber dürfen habe ich mich nicht getraut«; 5. »Wir fahr’n, fahr’n, fahr’n auf der Autobahn«, 6. »Mit dem verheißungsvoll leuchtenden Blick der alternden Künstlergattin« oder 7. »Wann genau ist aus Sex, Drugs & Rock’n’Roll eigentlich Laktoseintoleranz, Veganismus und Helene Fischer geworden?«. Kurz nachdenken – hier die Auflösungen: Als Teil der »ungeheuren Warensammlung« erscheinen können die Sprachwerke Nummer 1, 4 und 6, die anderen nicht. Alles richtig geraten? Volle Pulle, volle Power, wow, super!