Vermeintlich normales Leben im NS-Staat
Aufgeblättert: »Hitlerwetter« von Tillmann Bendikowski
Von Jens Renner
Schon der Zeitzeuge Sebastian Haffner wunderte sich: »Es ist typisch wenigstens für die ersten Jahre der Nazizeit, daß die ganze Facade des normalen Lebens kaum verändert stehen blieb …«, allerdings nur für diejenigen, die nicht vom NS-Regime ausgegrenzt und verfolgt wurden. Der Publizist Tillmann Bendikowski nimmt Haffners Beobachtung als Motto, das er seinem Buch »Hitlerwetter« voranstellt. Zu den Quellen, aus denen er das vermeintlich »ganz normale Leben« im NS-Staat rekonstruiert, gehören Zeitungen, private Briefe, die Deutschland-Berichte der SPD, Victor Klemperers Tagebücher.
Der untersuchte Zeitraum beschränkt sich auf das Jahr zwischen Dezember 1938, nach dem Novemberpogrom, und November 1939, als Georg Elsers Bombe in München mehrere führende Nazis tötete, Hitler aber davonkam. Jeden der in einem gesonderten Kapitel beschriebenen zwölf Monate verknüpft Bendikowski mit einem Thema, darunter Gesundheitspolitik, die Stellung der christlichen Kirchen, Hitlers 50. Geburtstag, »Kraft durch Freude«, der Überfall auf Polen, schließlich Elsers Attentat. Der weniger spektakuläre Widerstand kommt ebenso wenig vor wie der Alltag der Funktionseliten an der Spitze der »Volksgemeinschaft«.
Über die Auswahl der Themen ließe sich streiten, mitunter irritiert ein feuilletonistischer Plauderton. Lehrreich ist das Buch dennoch, auch wenn es keine neuen Entdeckungen enthält. Zweifellos recht hat der Autor mit seinem Schlusssatz: »Uns verbindet mit den Deutschen jener Jahre mehr, als uns lieb ist.«
Tillmann Bendikowski: Hitlerwetter. Das ganz normale Leben in der Diktatur: Die Deutschen und das Dritte Reich 1938/39. C. Bertelsmann, München 2022. 560 Seiten, 26 EUR.