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|ak 712 | Geschichte

Vergleichen wir!

Wiederholt sich der historische Aufstieg der NSDAP, wenn AfD und bürgerliche Rechte zusammen abstimmen?

Von Gerhard Hanloser

Ein Mann in im Anzug verbeugt sich und reicht einem anderen Mann in Uniform und Pickelhaube die Hand, im Hintergrund Menschen, unter anderem ein Mann in Uniform und Stahlhelm
Dieser Handschlag gilt als Inbegriff des Paktes zwischen Nationalsozialismus und den Konservativen: Hindenburg und Hitler reichen sich 1933 die Hand. Foto: Bundesarchiv / Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0 DE

Wer nichts miteinander vergleicht, kann nichts erkennen. Wer wahllos vergleicht und gleichsetzt, erkennt immer etwas – nur das Falsche. Vergleiche mit dem Ende der Weimarer Republik oder dem Januar 1933 stehen gerade auf der Tagesordnung. Nach dem 29. Januar 2025, der gemeinsamen Abstimmung von CDU, FDP, BSW und AfD über ein verschärftes Migrationsgesetz, kursierten in sozialen Netzwerken Bilder und Grafiken, die Friedrich Merz als neuen Franz von Papen imaginierten. Von Papen war der Vorgänger Adolf Hitlers im Amt des Reichskanzlers und unter dem Diktator ein Jahr Vizekanzler. »Rechts wählen ist so 1933«, »Es ist 5 vor 1933« lauten einige antifaschistische Parolen, die sich aktuell einer neuen Machtübertragung nahe sehen. Und auch die neuen Rechten versuchen sich in historischen Erklärungen und Analogiebildungen: Eigentlich seien die Nazis ja von links gekommen…

Es macht Sinn, sich nochmals einige historische Fakten vor Augen zu führen: Die in der Weimarer Republik bekannte Schulpädagogin Anna Siemsen, USPD-Mitglied und Teil der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit, schrieb im zweiten Jahr der Nazi-Diktatur: »Zur Macht brachte Hitler nicht der Wille des Volkes (noch bei den letzten ohne Terror durchgeführten Wahlen von 1932 erhielten die Arbeiterparteien anderthalb Millionen Stimmen mehr als die Nazis), sondern die Verschwörung der militärisch-großbürgerlichen Reaktion, die Hindenburgs Greisentorheit missbrauchte, und darauf der offene Terror, der nach dem Reichstagsbrand einsetzte. Dass Hitler mit diesem scharfen Terror und mit der beschleunigten Aufrüstung zum Krieg und zur Gewinnung erst der Europa-, dann der Weltherrschaft drängte, war allen Klarsehenden gewiss, wurde aber ignoriert von den Völkern, die mit Wirtschaftssorgen beschäftigt waren, und von den Regierungen, die in Europa sich drängten, seine Macht zu stützen.« Neben einer Vielzahl von Zufällen hoben tatsächlich die alten Eliten und wesentliche Kapitalfraktionen Hitler und seine Partei in den Sattel der Macht.

Die AfD ist eine autoritär-nationalistische, aber keine faschistische Partei.

Einige Sätze aus der eidesstattlichen Erklärung des Bankiers Kurt von Schröder im Nürnberger IG-Farben-Prozess 1947 über das Treffen Hitlers mit Franz von Papen bestätigen dies: »Die allgemeinen Bestrebungen der Männer der Wirtschaft gingen dahin, einen starken Führer in Deutschland an die Macht kommen zu sehen, der eine Regierung bilden würde, die lange Zeit an der Macht bleiben könnte. Als die NSDAP am 6. Nov. 1932 ihren ersten Rückschlag erlitt und somit ihren Höhepunkt überschritten hatte, wurde eine Unterstützung durch die Industrie besonders dringend…« Terror gegen die KPD, Zerschlagung der Gewerkschaften und der mit ihnen verbundenen Sozialdemokratie hatte für die Kapitalfraktionen einen besonderen Reiz, verstärkt durch die Weltwirtschaftskrise und ihre sozialen und politischen Auswirkungen von 1929.

Antisemitismus und Antikommunismus

Seit 1930 gab es in Deutschland keine wirkliche parlamentarische Demokratie mehr. Mit Heinrich Brüning als Kanzler begannen die sogenannten Notstandskabinette. Das heißt, es wurde ausschließlich mit Notverordnungen regiert, das Parlament, der Reichstag, blieb weitgehend ausgeschaltet. Hier bahnte sich verfassungsrechtlich für Hitler die Möglichkeit an, »legal« an die Macht zu kommen, zusammen und im Verein mit der »nationalen Opposition«, der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP). Hitler, der in Interviews, Besprechungen und Ansprachen vor erlauchtem bürgerlichem Publikum nicht müde wurde, sich als Retter vor dem Bolschewismus zu präsentieren und die Aussöhnung mit dem Großbürgertum anzustreben, gebärdete sich hingegen in Wahlkampfreden als »deutscher Revolutionär«: Es würde ihm nicht um Abgeordnetenstühle und Ministergehälter gehen, sondern einzig und allein um den deutschen Menschen, um die Ehre des deutschen Volkes, ja um den Frieden, um Arbeit für die Menschen und die Behebung der so entsetzlichen Not. Der spätere Propagandaminister, Joseph Goebbels, tat das Seine, um die Massen für Hitler einzunehmen. Auch die Filmemacherin Leni Riefenstahl tat das Ihre, um den »Triumph des Willens« des Führers in Szene zu setzen.

Es gelang somit den Nazi-Propagandist*innen, uralte Sehnsüchte der Massen, Heilserwartungen, mit modernen auf Technik und Wissenschaft ausgerichteten Einstellungsweisen zu verbinden. Neue Medien wie Kino und Radio benutzte der NS-Apparat für seine Propaganda mehr als seine politische Konkurrenz. Hitler ließ 1932 eine Schallplatte verbreiten, auf der er einen »Appell an die Nation« richtete. Er gab vor, dass er ausschließlich gegen die Zersplitterung der Nation kämpfe und nur ein Ziel verfolge: die Bildung der deutschen »Volksgemeinschaft« gegen den Willen und den Widerstand der »internationalen Hochfinanz«. Er wolle als Führer der NSDAP die beiden großen Grundströmungen »unseres Jahrhunderts«, Nationalismus und Sozialismus, vereinigen und aussöhnen.

Cover des ak-Sonderheftes "Brandstifter. Die AfD, ihre Helfer*innen und der andere Osten."

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Dieses »Jahrhundertprogramm« diente ausschließlich der Propaganda, der demagogischen Massengewinnung. Schließlich ging es in den 1930er Jahren um Massen, für die »Sozialismus« und »Arbeiter« noch nicht verbrauchte Begriffe waren. AfD-Weidel erklärte in einem zweiten Demagogieaufguss Hitler sogar zum Kommunisten. In der Realität aber verabscheute der Diktator Marxismus, Kommunismus und Sozialdemokratie und attackierte sie als »Marxisten«, »Novemberverbrecher« und »Systempolitiker«. Hitler zeichnete ein in Grüppchen und Parteien gespaltenes Volk und verhöhnte die Weimarer Demokratie und ihren Pluralismus, dagegen setzte er die »Volksgemeinschaft«, angestrebt war ein diktatorischer Führerstaat.

Feind dieser ultranationalistisch und rassistisch definierten Volksgemeinschaft war »der Jude«. Mit »Jude« ist die Verkörperung all dessen, was Hitler als Hindernis auf seinem Wege zur imperialistischen Beherrschung Europas und schließlich der Welt empfand: Pazifismus, Liberalität, Humanität, Gerechtigkeit, politische und soziale Gleichheit. Antisemitismus und Antimarxismus sind die zwei Seiten des harten Kerns der hitlerischen Weltanschauung, die Antibolschewismus, Antisemitismus und Antiintellektualismus kombinierte. Hitler sah in den Jüdinnen*Juden und Linken die schärfsten Kritiker*innen und Gegner des deutschen Imperialismus und Weltmachtstrebens.

Alte oder neue Rechte?

Und heute? Die Unterschiede sind augenscheinlich. Im Militär, in der Staatsbürokratie und unter den führenden Kapitalist*innen rüttelt im Moment niemand an der verfassungsmäßigen parlamentarischen Ordnung, auch wenn bereits unter der »Mitte«-Ampel Grundrechte mit Füßen getreten werden. Die AfD ist eine autoritär-nationalistische, aber keine faschistische Partei. Sie verfügt auch nicht über »faschistische Stoßtrupps« oder eine SA.

Aber: Björn Höcke und Bernd Baumann stehen nicht nur begrifflich mit einem rassistischen Volksbegriff und einer politischen Erlösungsphantasie in einer nazistischen Tradition. Wo die AfD herrscht, grassiert neonazistischer Terror auf der Straße. Die Macht der Superreichen und Hyperkapitalisten, der Oligarchen, die sich mit autoritären Führern wie Trump verbinden, zeigt die Dringlichkeit auf, die Kipppunkte bürgerlicher Herrschaft im Blick zu behalten. Die neuen Rechten wie die AfD zeigen sich technikaffin, suchen die Nähe zu den Tech-Kapitalisten wie Elon Musk. Vor dem Hintergrund eines blockierten Wachstums in Deutschland und Europa könnte von den rechten Kräften ein neuer und brutaler Angriff auf ohnehin schon geschwächte Gewerkschaftsmacht und Arbeiter*inneninteressen wie den Sozialstaat generell ausgehen, zumal sich die Rechten – vollkommen anders als die Nazis in ihrer Zeit – nicht als nationale Sozialisten, sondern als radikalere, antisozialstaatliche Liberale gerieren.

Auch sie skandalisieren die Hohlheiten und Verlogenheiten des Parlamentarismus, in dem eben Regierende und Herrschende ihre Pfründe sichern – letztendlich um selbst an die Pfründe der Macht heranzukommen. Die neuen Rechten bedienen sich – bei allem Revisionismus, den sie in Wirklichkeit verkörpern (»Schuldkult«) – eines als Anti-Antisemitismus verkleideten Rassismus, den sie politisch als starke Parteinahme für den Staat Israel übersetzen. Der Feind ist der*die Migrant*in, vornehmlich aus muslimischen Ländern. Während der radikalisierte NS-Antisemitismus eine deutsche Spezifik darstellte, findet Deutschland aktuell mit seinem Rechtsruck Anschluss an eine europäische, wenn nicht globale Antimigrationshaltung. Die historische Rolle der Rechten ist es, die multiplen Krisen mittels eines kapitalistisch forcierten Weiter so zu leugnen, wie es in der Klimafrage deutlich wird.

Der größte Unterschied besteht allerdings in außenpolitischer Hinsicht: Die Nazis verfolgten ein Konzept des imperial-räuberischen Griffs nach »Lebensraum im Osten«. Diese imperiale Seite geht der neuen Rechten ab, die (bislang) eher einem nationalen Isolationismus das Wort redet. Aufrüstung, militärische Konfrontationspolitik gegenüber Russland und wirtschaftliche Durchdringung des europäischen Ostens wird durch die Parteien der »Mitte« im EU-Verbund weit effektiver gewährleistet. Schließlich haben die Parteien der »Mitte« – von CDU bis zu den Grünen – in einem beispiellosen Rechtsruck bürgerliche Liberalität abgestreift. Allerdings könnten angesichts verschärfter innerimperialistischer Konflikte die zu brutalem nationalen Egoismus fähigen neuen Rechten adäquate Hilfstruppen einer generellen gesellschaftlichen Brutalisierung sein.

Gerhard Hanloser

hat zuletzt »Identität & Politik. Kritisches zu linken Positionierungen« beim Mandelbaum Verlag herausgegeben. Zum Antisemitismus veröffentlichte er 2003: »Krise und Antisemitismus. Eine Geschichte in drei Stationen von der Gründerzeit über die Weltwirtschaftskrise bis heute«.

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