Unverbesserlich orthodox
Zum Gedenken an die unabhängige italienische Kommunistin Rossana Rossanda, die im Alter von 96 Jahren in Rom gestorben ist
Von Jens Renner
Am Anfang ihres politischen Lebens stand der antifaschistische Widerstand. 1943, mit 19 Jahren, leistete Rossana Rossanda als »staffetta« (Deckname Miranda) Kurierdienste für die Resistenza und wurde Mitglied der Kommunistischen Partei, des Partito Comunista Italiano (PCI). Gefördert vom PCI-Generalsekretär Palmiro Togliatti (1893-1964), machte sie als junge Frau eine für damalige Verhältnisse ungewöhnliche Karriere. Sie wurde Mitglied des Zentralkomitees, später dann Hauptverantwortliche für Kulturpolitik.
Konflikte mit der Parteilinie gab es ständig. Die PCI-Linke, der neben Rossanda auch Luciana Castellina, Lucio Magri und Luigi Pintor angehörten, sympathisierte mit der chinesischen Kulturrevolution, dem Pariser Mai, dem Prager Frühling. Als die Gruppe 1969 eine eigene Monatszeitschrift, Il Manifesto, gründete, reagierte die PCI-Führung mit Parteiausschluss. Der Versuch der Ausgeschlossenen, eine eigene Partei links vom PCI zu etablieren, endete im Fiasko. Die Zeitung Il Manifesto aber blieb, seit 1971 erscheint sie täglich, bis 1976 maßgeblich geprägt von Rossana Rossanda. Als prominenteste Persönlichkeit war sie zugleich Teil eines Kollektivs mit kargem Einheitslohn und lebhafter Diskussionskultur. Tommaso Di Francesco (geboren 1948) erinnert sich an Rossandas häufige Unzufriedenheit mit der eigenen Arbeit, lobt ihre Strenge und »nötige Starrköpfigkeit«.
Nahezu glückliche Tage
Nach ihrem Ausstieg aus der Redaktion arbeitete Rossanda als unabhängige Publizistin. Eines ihrer wichtigsten Themen wurde der Feminismus. Sie kritisierte die Männerpartei PCI und deren rückständige Positionen zu Themen wie Familie, Scheidung und Abtreibung. Jahrelang habe sie selbst »nur einen zerstreuten Blick für die Frauen« gehabt, in ihnen »lediglich jene doppelt Ausgebeuteten (gesehen), die sie auch sind«. Nun wolle sie für die Frauen »Partei ergreifen«, denn: »Was die Feministinnen mir heute vorwerfen, trifft zu«, schrieb sie 1979. Gleichzeitig blieb sie »unverbesserlich orthodox« und hoffte weiter auf die Revolution, »die alles verändern würde« – für alle, Männer wie Frauen. »Nahezu glückliche Tage« erlebte sie ausgerechnet im Krankenhaus – nach einer Krebsoperation, unter »einfachen« Frauen, die ihre Freundinnen wurden. Nachzulesen ist das in dem 1980 auf Deutsch erschienenen Buch »Einmischung«. Eine weitere Auswahl ihrer Aufsätze zu Politik und Kultur aus dem Jahr 1994 trägt den Titel »Auch für mich«. Besonders lesenswert bleibt ihre Autobiografie »Die Tochter des 20. Jahrhunderts«. Leider endet sie schon mit dem Jahr 1969.
Was Rossanda bei all ihren Interventionen auszeichnete, war ihr Bemühen, sich eine eigene Position zu erarbeiten – oft zwischen den Stühlen. So brach sie den Kontakt zu der Partei, die sie ausgestoßen hatte, nie ab. Den Mitbegründer des Eurokommunismus, Enrico Berlinguer, verteidigte sie gegen pauschale Vorwürfe – auch wenn sie dessen Kurs der Annäherung an die Christdemokratie stets scharf kritisiert hatte. 1993 besuchte sie den Rotbrigadisten und Moro-Entführer Mario Moretti zu längeren Interviews mehrmals im Gefängnis, obwohl sie die Gewalttaten der Roten Brigaden und anderer bewaffneter Gruppen ablehnte. Nach dem Wahlsieg Berlusconis 1994 unternahm sie zusammen mit Pietro Ingrao (1915-2015) den Versuch zu verstehen, »was warum in Italien geschehen ist, das schließlich in den Sieg der Rechten mündete«. Ihr Diskussionsangebot richtete sich an die gesamte europäische Linke. Denn: »Dem transnational operierenden Unternehmen steht kein wie auch immer vom Postfordismus geprägter transnationaler Widerpart der Lohnabhängigen gegenüber.«
Bücher Rossandas in deutscher Übersetzung
– Einmischung. Gespräche mit Frauen über ihr Verhältnis zu Politik, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Demokratie, Faschismus, Widerstand, Staat, Partei, Revolution, Feminismus. Frankfurt am Main 1980.
– Auch für mich. Aufsätze zu Politik und Kultur. Hamburg 1994.
Die Tochter des 20. Jahrhunderts. Frankfurt am Main 2007. (Rezension in ak 523)
– Zusammen mit Carla Mosca: Brigate Rosse. Eine italienische Geschichte. Interviews mit Mario Moretti. Hamburg 1996. (Rezension in ak 399)
– Zusammen mit Pietro Ingrao: Verabredungen zum Jahrhundertende. Eine Debatte über die Entwicklung des Kapitalismus und die Aufgaben der Linken. Hamburg 1996. (Rezension in ak 395)
Rossandas besondere Solidarität galt Migrant*innen. 1991, als Bilder überfüllter Schiffe in italienischen Häfen um die Welt gingen, schrieb sie: »Warum haben diese Menschen ihr Land verlassen? Weil sie vom Westen das erhalten wollen, was der Westen ihnen in allen Sprachen der Welt über Radio Free Europe seit 40 Jahren verspricht. Sie bitten nicht um Almosen, sie sind nicht demütig und fromm; sie sind wütend, weil sie das Versprochene nicht bekommen.«
Auch der in die Defensive geratenen Arbeiterbewegung hielt sie die Treue. 2011, als der damalige FIAT-Boss Sergio Marchionne die Arbeiter*innen zur Annahme eines knebelnden Tarifvertrags nötigte, eine standhafte Minderheit aber mit Nein stimmte, schrieb sie: »Wir, die wir nicht viel zustande bringen, grüßen voller Respekt jene 46 Prozent von Mirafiori, die uns zeigen, dass noch nicht das ganze Land in der Scheiße ist.« Wir – das war in diesem Fall die kränkelnde Linke. Ein Jahr später geriet auch Il Manifesto in die Krise – eine nicht nur finanzielle, sondern auch politische Krise, in die Rossanda mit pointierten Beiträgen eingriff. Der amtierenden Redaktion warf sie Beliebigkeit und Diskussionsverweigerung vor und beendete ihre Mitarbeit.
Botschaften an die Linke
In den letzten Jahren schrieb sie dann doch wieder für die von ihr mitgegründete Zeitung. Eine ihrer letzten Arbeiten war vor einem Jahr ein Gruß zum 90. Geburtstag ihrer langjährigen Freundin Luciana Castellina. Darin beschränkte sie sich nicht auf schöne Worte. Castellinas eher heiterem Gemüt stellte sie ihren eigenen »unduldsamen und brummigen Charakter« gegenüber. Das war keine Koketterie, sondern die eher selten anzutreffende Neigung, auch der eigenen Person kritisch gegenüberzutreten.
Castellina ist nun die letzte aus der Kerngruppe der Gründergeneration von Il Manifesto – und schreibt dort weiter, auch über ihre Freundin. »Die großen Leidenschaften einer strengen Frau« ist ihr Nachruf überschrieben. Darin erinnert sie auch an Rossandas spannungsreiches, aber immer solidarisches Verhältnis zur radikalen Linken. Dem Gründungskongress der Linkspartei Sinistra Italiana im Februar 2017, den sie aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr besuchen konnte, schickte sie eine kurze, pointierte Grußbotschaft. Weit davon entfernt, als »weise Alte« den Jungen ungebetene Ratschläge zu erteilen, listete Rossanda eine Reihe ungeklärter Fragen auf: zum Klassenkampf im 21. Jahrhundert, dem »Subjekt der Veränderung« und den geeigneten linken Organisationsformen. Nachdem ein junger, emotional aufgewühlter Genosse ihre Botschaft verlesen hatte, erhoben sich die Delegierten zu einem langen Applaus – und sangen die Internationale.