Unkontrollierbarer Wachstumszwang
Tomasz Konicz’ Buch über die Wirtschafts- und Klimakrise als Moment des Spätkapitalismus
Die Corona-Pandemie hat der jungen Ökologiebewegung stark zugesetzt. Obwohl Covid-19 Folge des kapitalistischen Raubbaus an der Natur ist, steuerte die mediale Aufmerksamkeit weg vom Ökokollaps. Und spätestens der Shutdown im Frühjahr bedeutete das Ende des freitäglichen Schulstreiks. In Deutschland haben sich nicht unbedeutende Teile von Fridays for Future auf die Bundestagswahlen 2021 eingeschossen und wollen selbst kandidieren. Die Strategie scheint zu sein, mit möglichst erfolgreichen Grünen in der Regierung einen maximal hohen CO2-Preis einzuführen.
Als hätte der Publizist Tomasz Konicz es geahnt, legt er mit »Klimakiller Kapital« ein Buch vor, das sich für eine gänzlich andere Orientierung stark macht. Gleich zu Beginn stellt er fest, dass er »Wirtschafts- und Klimakrise« als »zwei Momente spätkapitalistischer Widerspruchsentfaltung« begreift. Bei der Untermauerung dieser Thesen stützt er sich vor allem auf die Marxsche Kapitalismusanalyse. Das Kapital wird als »prozessierender Widerspruch« gefasst: Es »muss expandieren – oder es zerbricht an sich selbst«. Präziser: »Im Endeffekt ist das Kapital ein real abstrakter Verwertungsprozess, bei dem durch alle Formwandel von Ware und Geld immer größere Mengen abstrakter, toter Lohnarbeit akkumuliert werden«. Die Logik der Kapitalakkumulation einmal verstanden, liegt das grundsätzliche Problem auf der Hand: Ein Gesellschaftssystem, das von einem unkontrollierbaren Wachstumszwang angetrieben werde, könne in einer endlichen Welt keine ökologisch nachhaltigen Formen der sozialen Reproduktion etablieren. Eine denkbar schlechte Ausgangslage für den Kampf gegen die Klimakatastrophe, die sich viel schneller zuspitzt, als wissenschaftliche Prognosen suggerierten.
Konicz kommt aus der Theorieschule der »Wertkritik«, und auch dies wird an verschiedenen Stellen seiner Marx-Rezeption deutlich. So stößt der Prozess des Wachstumszwangs bei ihm recht schnell und automatisch auf eine »äußere, ökologische wie physikalische Grenze«. Diese Grenze erinnert an das alte Postulat der Wertkritik vom »Kollaps« des Kapitalverhältnisses. Auszuschließen ist dieser nicht, aber zumindest in Betracht ziehen sollte man auch eine andere Variante. Diese hat Kohei Saito, der über »Marx‘ Ökologie in seiner unvollendeten Kritik des Kapitalismus« promovierte, jüngst auf den Punkt gebracht: »So führen natürliche Grenzen nicht zum Zusammenbruch des kapitalistischen Systems. Es kann sogar über diese Grenzen hinausgehen. Das aktuelle Niveau der Zivilisation hingegen kann nicht über eine bestimmte Grenze hinaus existieren«. Auch dass Konicz jeglichen »Klassenkampf« nicht anders denkt als »Verteilungskampf«, dem »keine objektive transformatorische Potenz inne(wohnt)«, ist ein Relikt der »Wertkritik«. Dass die meisten Klassenkämpfe der Vergangenheit bloße Verteilungskämpfe waren, mag stimmen. Aber sie darauf festzuschreiben, wirkt mechanisch oder mindestens fantasielos.
Obwohl zum Verzweifeln traurig, muss man beim Lesen schmunzeln, so gekonnt präsentiert der Autor die Absurditäten der Gegenwart.
Obwohl man sich daher über einige Interpretation des Autores streiten kann, bleibt sein großer Verdienst, anhand der Marxschen Theorie aufzuzeigen, dass die Klimakrise letzten Endes nicht auf dem Boden der kapitalistischen Produktionsweise gelöst werden kann. »Fortschritt kann nur noch jenseits des Kapitals realisiert werden.« Eine Systemalternative sei das einzig Vernünftige, Mittlere und Gemäßigte.
Darüber hinaus gelingt es Konicz, reichhaltiges empirisches Material aus dem ganz gewöhnlichen Krisenalltag zu sammeln und in brillanter Manier zu präsentieren. Ob er von der »Absurdität der von Todessehnsucht angetriebenen Ideologie der Neuen Rechten« berichtet, von den neusten Trends der Automobilindustrie – »Als die Autos den bösen Blick bekamen« – den »Metzelorgien« zeitgenössischer Computerspiele oder den Entwicklungen im Kino: Überall zeichnet er ein treffendes und vernichtendes Bild der uns umgebenden »Kultur der Panik«. In der »Zunahme der psychischen Erkrankungen« sieht er einen »relativ zuverlässigen Indikator«, mit dem man den zunehmenden Druck im »Spätkapitalismus« messen kann. Obwohl es zum Verzweifeln traurig ist, muss man beim Lesen doch immer wieder schmunzeln, so gekonnt präsentiert der Autor die Absurditäten der Gegenwart. Ein Beispiel: »Wir bekommen von der Lebensmittelindustrie einen bunt verpackten, genetisch homogenisierten Einheitsfraß vorgesetzt, der aus gefolterten Nachkommen überzüchteter Inzesttiere und genetisch modifizierter Pflanzen geformt wird. Hinzu kommt noch der übliche Cocktail aus Antibiotika und Chemie… Es ist ein ungesunder, massenhaft zu ernährungsbedingten Krankheiten führender und auf höchstmögliche Kapitalverwertung ausgelegter Fraß, der mit einem größtmöglichen Ausstoß an Treibhausgasen einhergeht. …. Guten Appetit.«
Aber was folgt aus alledem? »Verelendung jetzt oder Klimakollaps später« scheint zunächst die einzige Wahl, vor die die Menschen sich gestellt sehen, wie Konicz mehrfach feststellt. Erst bei Überführung des kapitalistischen Wachstumswahns in Geschichte ließe sich diese Aporie auflösen. Dem kann man nur zustimmen. Allerdings bleibt der Autor vage, wenn es darum geht, wie man dieses Ziel erreichen oder ihm wenigstens näher kommen kann. »Nicht die zentrale staatliche Planungsbehörde wie Gosplan, sondern das globale Netzwerk, basierend auf Echtzeitkoordination mittels Internet, könnte das Fundament der postkapitalistischen Zukunft bilden«. Ein Netzwerk anstatt einer zentralen Planungsbehörde wie in der Sowjetunion – das klingt so sympathisch wie unbestimmt. Die Fixierung auf die fortentwickelten technischen Hilfsmittel der Planung birgt allerdings die Gefahr, über diese Formfrage den Inhalt einer sozialen Umwälzung zu unterschätzen. Gerade weil die Klimakrise so drängend ist, ist es auch dringend geboten, mit Alternativen zu Ware, Wert und Markt konkreter zu werden. Das Buch von Konicz wäre ein sehr guter Anstoß für eine solche Diskussion.
Tomasz Konicz: Klimakiller Kapital. Wie ein Wirtschaftssystem unsere Lebensgrundlagen zerstört. Mandelbaum, Wien 2020. 376 Seiten, 20 EUR.