Who cares?
Von Frédéric Valin
So, meine Lieben, Hände hoch: Wer hier ist Feminist*in? Sehr schön. Und wer von denen, die aufgezeigt haben, hat schon mal vom SGB XI gehört?
Das klang jetzt vielleicht etwas vorwurfsvoll, den Eindruck will ich gleich korrigieren: Mir ging’s nur um einen effektvollen Einstieg. Mir ist klar, dass SGB XI für die meisten erst dann eine Rolle spielt, wenn es sie im Stich lässt. SGB XI wird landläufig als Soziale Pflegeversicherung bezeichnet, das ist gleich doppelt gelogen: es geht im SGB XI mitnichten um (fachliche) Pflege, und vor allem ist diese Versicherung alles andere als sozial.
Ein bisschen Background: Das SGB XI wurde 1995 von Norbert Blüm eingeführt, um zu verhindern, dass pflegebedürftige Rentner*innen in die Sozialhilfe reinrutschen. Dafür hat die CDU damals der FDP (und damit den Arbeitgeber*innen) den Buß- und Bettag geschenkt. Heute rutschen immer mehr Rentner*innen in die Sozialhilfe, aber den Feiertag kriegen wir trotzdem nicht wieder.
Das Gesetz war von Anfang an so konzipiert, dass nur das Allernötigste bezahlt wird. Die Idee war, ein Sicherheitsnetz fünf Zentimeter über dem Boden zu spannen; maßgeblich verantwortlich für pflegebedürftige Menschen sollten auch da Angehörige sein, und diese Angehörigen sind zu mindestens 80 Prozent Ehefrauen, Töchter, Schwiegertöchter. Martina Hasseler, Pflegeprofessorin, nennt das das Prinzip des SGB XI: Irgendeine Frau wird das schon machen. Und genau so läuft das auch seit 30 Jahren.
Ich habe 2021 ein Jahr lang häuslich gepflegt, und es war die Hölle auf Erden. Mit häuslich gepflegt meine ich: 22 Stunden am Tag war ich da, sieben Tage die Woche, ein komplettes Jahr lang. So wie das viele pflegende Angehörige machen – die meisten machen das länger. Ich werde später nochmal näher darüber berichten, an dieser Stelle nur so viel: die Verantwortung, der Stress, die Einsamkeit, die damit einhergehen, saugen dir das Leben aus den Knochen und löffeln dir die Seele aus dem Leib. Und so ergeht es sehr vielen Menschen: Einige der traurigsten Orte des Internets, die ich in meinem Leben gesehen habe, waren Online-Selbsthilfegruppen für pflegende Angehörige.
Die Einsamkeit pflegender Angehöriger spiegelt sich in einem Diskurs, der noch nicht einmal im Ansatz stattfindet.
Um die Spitze am Anfang ganz zu relativieren: Ich habe mich für SGB XI auch erst interessiert, als es mich betraf. Nichtsdestotrotz bin ich jetzt einigermaßen konsterniert, dass es allen – wirklich allen – so geht. Ich habe einmal in den Archiven nachgesehen, was in einigen feministischen Magazinen dazu publiziert wurde: In der Missy findet sich online ein Text zur sozialen Pflegeversicherung, in der Emma ist der letzte Artikel zum Thema 2007 erschienen. In der ak taucht das Suchwort »Pflegeversicherung« in drei Nebensätzen auf. Was die Tagespresse anbelangt, geht es immer nur darum, dass die Pflegekassen wieder mal pleite sind und – ächz, stöhn – die Beiträge angehoben werden. Die Einsamkeit pflegender Angehöriger spiegelt sich in einem Diskurs, der noch nicht einmal im Ansatz stattfindet.
Dabei betrifft das hunderttausende Menschen hierzulande. Wie viele genau weiß niemand, weil pflegende Angehörige derart egal sind, dass sie nicht einmal gezählt werden; seit 30 Jahren nicht. Dabei ist allen klar: Das Ding fliegt uns sehr bald komplett um die Ohren.
Die Frage, warum ich statt dieses Jammer-Weltschmerz-Textes nicht einfach hingeschrieben habe, was Sache ist, ist berechtigt. Die Antwort ist: weil es dann niemand liest. Ich muss ein bisschen teasern, sorry, nächstes Mal mache ich es konkret. Aber dann nicht drüber blättern, ja? Ihr könnt die Hände jetzt wieder runternehmen, bis dann!