Echte deutsche Erinnerungsarbeit
Von Frédéric Valin

Im Dezember 2023 fragte die Bundestagsfraktion der Linken die Bundesregierung, was sie zu ihrer eigenen Aufarbeitung der Vernichtung sogenannten lebensunwerten Lebens sagen würde. Die Bundesregierung war, was diese Aufarbeitung anbelangt, hochzufrieden mit sich selbst: »Aus erinnerungskultureller Sicht ist die Anerkennung dieser Opfergruppen umfänglich erreicht worden«, hieß es da. Das ist dreist gelogen. Und das weiß die Bundesregierung auch.
Der Kleinen Anfrage vorangegangen war ein ziemlich solider Antrag aus derselben Fraktion, der unter anderem die Anerkennung jener Opfer der sogenannten NS-Euthanasie als »Verfolgte« beinhaltete. Tatsächlich ist jene Opfergruppe bis heute nur als »Opfer« anerkannt, und auch das erst seit 1988. Der Unterschied ist gewaltig, betrifft es doch eventuelle Entschädigungszahlungen. Aber nicht nur das: Für die Gräberpflege beispielsweise wäre der Staat verantwortlich, es gäbe ein Kassationsverbot – das heißt, Akten aus den Archiven der Kliniken dürften nicht mehr vernichtet werden. Das passiert aber gerade in Zeiten zunehmender Privatisierung quasi täglich. Insofern verschwindet historisch gerade sehr viel Wissen, ohne dass irgendeine der letzten Bundesregierungen da eine Notwendigkeit sah, fundamental einzugreifen. »Umfänglich« meint vielleicht auch einfach nur: Reicht jetzt auch, was wir jetzt wissen.
Dem Antrag der Linken stimmte niemand aus den anderen Parteien zu. Stattdessen legten CDU, Grüne und SPD dem Bundestag einen eigenen Antrag vor, der an entscheidenden Stellen abgeschwächt war. Vor allem war keine Rede mehr davon, die Opfer dieser Ermordung als Verfolgte anzuerkennen; das aber ist ein ganz wesentlicher Punkt, um das Gedenken politisch zu stützen. Da geht es noch nicht einmal darum, wirklich aufzuarbeiten, sondern nur darum, den Leuten, die Aufarbeitung leisten, ein bisschen unter die Arme zu greifen. Aber nicht einmal dafür waren sich die Regierungsparteien dieses Staates gut genug. Könnte ja rauskommen, dass Abertausende Doktor*innenarbeiten auf Proben und Erkenntnissen basieren, die während dieser Zeit unter Folter bis zum Tod genommen wurden, was alle Involvierten wussten und wogegen trotzdem kaum jemand von ihnen was gesagt hat. Das anerkennende Nicken, wenn in Trier oder Hannover irgendein Arschloch durch eine von einem KZ-Arzt genommene Probe seine These bestätigt sah, die ihm dann seinen Titel gebracht hat, wird wohl das sein, was unter »umfänglicher Anerkennung der Opfergruppen« gemeint sein wird.
Und jetzt kommt’s: Noch nicht einmal dieser Antrag kam zur Abstimmung, weil just an jenem Tag nicht nur jenseits des Atlantiks Donald Trump ins Amt gewählt wurde, sondern auch zeitgleich hierzulande Christian Lindner beschloss, die Regierung zu sprengen. Auch das ist typisch für die Erinnerungskultur der Deutschen: Im Zweifel ist irgendein Ego von irgendeinem Porschefahrer halt wichtiger als über 300.000 Tote. Ob und wann also die Opfer der Vernichtungsaktionen überhaupt noch einmal zu ihrem Recht kommen oder auch einfach nur zum Thema einer Bundestagsdebatte werden, steht völlig in den Sternen – vermutlich passiert jetzt wieder jahrelang einfach nichts. Stattdessen fordert der Generalsekretär der CDU, Listen von psychisch erkrankten Menschen anzulegen, die ja gefährlich sein könnten. So geh’n die Deutschen, die Deutschen, die geh’n so.