Spotify unwrapped
Der Musikstreamingdienst hat seine Auszahlungsbedingungen verändert – und prellt so unbekanntere Küstler*innen um Einnahmen
Von Bahar Sheikh
Wir modernisieren unser Lizenzzahlungssystem, um eine zusätzliche Milliarde Dollar für aufstrebende und professionelle Künstler*innen zu generieren«, heißt es auf der »Artists«-Website von Spotify, dem beliebten Streamingdienst für Musik, Podcasts und Hörbücher. Das Unternehmen erklärt, dass es künstliches Streaming und Geräuschestreaming stärker regulieren und bei der Bezahlung von Künstler*innen Songs erst ab 1.000 Streams berücksichtigen will.
Kleinere Artists, deren Songs weniger als 1.000 Mal im Monat abgerufen werden, bekommen seit Anfang Januar kein Geld mehr. »Spotify begründet die Grenze u.a. damit, dass Beträge für unter 1.000 Streams bei den Artists eh nicht ankommen würden und Betrug besser bekämpfen zu wollen – Letzteres ist erstmal gut, kann und muss aber anders sichergestellt werden, als Musik pauschal nicht mehr zu bezahlen«, sagt Nina Graf vom Pro Musik Verband, der sich für freie Musikschaffende einsetzt. Dabei geht es um 0,003 US-Dollar pro Stream – kleine Beträge, die sich laut den Berechnungen von Spotify auf »40 Millionen US-Dollar pro Jahr« summieren und auf Musiker*innen umverteilt werden sollen, »deren Lebensunterhalt am stärksten von Streamingeinnahmen abhängig ist« – so heißt es bei Spotify. »Unter Experten schätzt man, dass es rund 50 bis 80 Millionen Songs betreffen wird, also gut die Hälfte bis ein Drittel des hochgeladenen Kataloges«, so Nina Graf.
Der Pro Musik Verband startete daraufhin eine Petition, die mittlerweile über 56.000 Unterschriften hat. »Durch die angekündigten Änderungen sorgt Spotify dafür, dass die Schere zwischen besonders erfolgreichen Musiker*innen und kleineren Musiker*innen immer weiter auseinander geht und vor allem große Acts und Labels von den Änderungen auf Kosten der kleineren profitieren: Survival of the fittest, Turbokapitalismus at its best«, heißt es in einem Statement.
Wie viel ist Musik wert?
Musiker*innen hinterfragen Spotifys Vergütungsmodell schon seit Jahren, auch vor der Einführung des neuen Systems. Die United Musicians and Allied Workers (UMAW) fordern in der Kampagne »Justice at Spotify« unter anderem ein »user-centric«, also ein nutzerorientiertes Vergütungssystem, anstelle des aktuellen »pro rata«-Systems, bei dem alle Einnahmen in denselben Topf kommen, um dann »nach einem komplizierten System« verteilt zu werden.
Jede Art von Musiknutzung im digitalen Raum sollte vergütet werden.
Nina Graf
Bei einer Vergütung von 0,003 Dollar per Stream könne davon kaum ein*e Künstler*in leben, deshalb fordert die Organisation einen Cent pro Stream. Das ist nicht zuletzt so, weil ein großer Teil davon auch bei den Labels landet, die Streamingeinnahmen vertraglich mit Künstler*innen geklärt haben, worauf auch Spotify immer wieder verweist.
»Dass ein Streamingdienst entscheidet, wann er genutzte Musik wie hoch vergüten möchte, und die Abrechnungsbedingungen festlegt, die zudem höchst intransparent sind, schließt Positives an dem Abrechnungsmodell aus. Jede Art von Musiknutzung im digitalen Raum sollte vergütet werden«, führt Nina Graf aus.
Auch das EU-Parlament hat sich der Sache Anfang des Jahres angenommen und mit einer großen Mehrheit für EU-Vorschriften zur Regulierung von Musikstreaming gestimmt. Das Parlament legt in der Entschließung vor allem Wert auf »eine gerechtere Vergütung von Urhebern und ausübenden Künstlern«, »Herausstellung und Auffindbarkeit europäischer Musikwerke« und »eine ethische Nutzung von KI«. Nun ist es an der EU-Kommission, in der nächsten Legislaturperiode einen entsprechenden Gesetzesvorschlag vorzulegen.
Entlassungswellen trotz Milliardenumsatz
Fast zeitgleich zum neuen Vergütungsmodell gab Spotify im letzten Dezember die dritte Entlassungswelle des Jahres bekannt: Insgesamt entließ der börsennotierte Konzern global schätzungsweise rund 2.300 Angestellte im Jahr 2023. Insgesamt waren Anfang 2023 laut der Spotify Linkedin-Page über 9.000 Menschen dort angestellt.
Weniger Aufmerksamkeit haben die Kämpfe von Gewerkschaften und Spotify-Angestellten in Schweden bekommen, die für einen Kollektivvertrag kämpfen. In seinem Heimatland trotzt das Unternehmen dem »schwedischen Modell«: obwohl circa 90 Prozent der Arbeitnehmer*innen landesweit Teil eines Kollektivvertrags sind. Die Gewerkschaft Unionen erhält seit den Kündigungen laut eigenen Angaben mehr Zulauf von Spotify-Beschäftigten, die an einem Kollektivvertrag interessiert sind.
Spotify ist auf Sparkurs, denn das Unternehmen macht seit 2018 durchgehend jährlich Verluste (letztes Jahr waren es über 500 Millionen US-Dollar) – und das trotz seiner Umsätze in Milliardenhöhe. Den Preis zahlen Angestellte und Künstler*innen, während das Vermögen des Gründers und CEO Daniel Ek, der weiterhin einer der größten Aktionäre von Spotify ist, von Forbes auf rund vier Milliarden US-Dollar geschätzt wird. Die Zahl der Nutzer*innen wächst dabei stetig, Spotify bleibt der beliebteste Streamingdienst für Musik.