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|ak 629 | Geschichte

Sieg der Staatsräson

Warum die »Offensive 77« der RAF scheitern musste

Von Jens Renner

Eine »Riesenauswahl an Büchern« verspricht Amazon, wenn man das Stichwort »RAF 1977« eingibt. Darunter finden sich Longseller wie die von Stefan Aust (»Der Baader Meinhof Komplex«) oder Gerd Koenen (»Das rote Jahrzehnt«), andere Bücher sind neu auf dem Markt. Verkaufen lassen sie sich besonders gut, wenn man die damaligen Ereignisse zur Machtfrage hochstilisiert. »1977. RAF gegen Bundesrepublik« heißt Butz Peters‘ in diesem Jahr erschienener, fast 600 Seiten starker Wälzer. (1) Das klingt nach »wir oder sie«, einem Machtkampf mit ungewissem Ausgang. Die Machtfrage aber war 1977 nicht gestellt. Peters, früher Moderator der ZDF-Fahndungsshow »Aktenzeichen XY … ungelöst«, weiß das natürlich, behauptet aber das Gegenteil. Er kritisiert zwar »Fahndungspannen« und das »Ergreifungsdefizit« am Ende des »Terrorjahrs«, ansonsten aber verteidigt er die Politik des Staates voll und ganz. Sein Fazit stimmt mit dem der staatlichen Akteure überein: »Der Blutzoll war hoch. Aber nur so ließ sich künftiges Unheil vermeiden. Der Staat hat die Herausforderung bestanden.«

Dieses Urteil steht für Peters von Anfang an fest. Die handelnden Personen trennt er fein säuberlich in Helden und Schurken. Letztere, die späteren Mitglieder der RAF, geraten früh »ins linksradikal-gewalttätige Milieu Westberlins« oder auch in Münchens »verqualmte Kneipen«, wo »linke Theorien« diskutiert werden: »Geist der Zeit ist die Radikalisierung.« Damit ist dann schnell noch eine Anklage wegen »geistiger Mittäterschaft« formuliert, die sich gegen die gesamte radikale Linke nach 1968 richtet.

Ein Mann für schwierige Fälle

Zu den Guten gehören bei Peters vor allem die Opfer der RAF, zunächst Generalbundesanwalt (GBA) Siegfried Buback, der am 7. April 1977 in Karlsruhe, zusammen mit seinem Fahrer und einem Beamten der Bundesanwaltschaft (BAW), erschossen wurde. Der »gemütliche Sachse« freute sich schon auf den Ruhestand und »mehr Zeit für die Arbeit im Garten«, weiß Peters zu berichten. Im Amt galt er als »Mann für schwierige Fälle« – 1962 als Ankläger in der Spiegel-Affäre. Er war ein Pragmatiker mit Sendungsbewusstsein: »Der Staatsschutz lebt davon, dass er von Leuten wahrgenommen wird, die sich dafür engagieren, wie Herold (der Präsident des Bundeskriminalamts/BKA; Anm. ak) und ich, die finden immer einen Weg. Wenn Sie eine gesetzliche Regelung haben und sie mal strapazieren müssen, funktioniert sie ja meistens doch nicht«, sagte er im Spiegel-Interview. (16.2.1976) Dieses für einen Staatsdiener bemerkenswert taktische Verhältnis zum Recht griff die RAF in ihrer Kommandoerklärung auf: »für akteure des systems selbst wie buback findet die geschichte immer einen weg.«

Vollstrecker der »Geschichte« war in diesem Fall das Kommando Ulrike Meinhof. Begründung für das Todesurteil: »buback war direkt verantwortlich für die ermordung von holger meins, siegfried hausner und ulrike meinhof«. Der RAF-Gefangene Holger Meins starb am 9. November 1974 in der JVA Wittlich nach fast zwei Monaten Hungerstreik. Ein Arzt seines Vertrauens war ihm ebenso verweigert worden wie die Verlegung zu den RAF-Gefangenen in Stuttgart-Stammheim. Verantwortlich für diese Entscheidungen waren das BKA und die BAW. Siegfried Hausner, der am 24. April 1975 bei der Besetzung der bundesdeutschen Botschaft in Stockholm schwer verletzt worden war, wurde mit Bubacks Zustimmung nach Stammheim verlegt. Dort starb er am 4. Mai, ohne Kontakt zu irgendeiner Person seines Vertrauens gehabt zu haben. Ulrike Meinhof wurde am 9. Mai 1976 in ihrer Zelle in Stammheim erhängt aufgefunden; schon vier Stunden später verbreitete die BAW die These, sie habe wegen Spannungen in der Gruppe der Gefangenen Selbstmord begangen. Die genauen Umstände ihres Todes sind bis heute ungeklärt.

Offensive 77

7. April Das RAF-Kommando Ulrike Meinhof erschießt in Karlsruhe Generalbundesanwalt Siegfried Buback und seine zwei Begleiter.
28. April Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe werden zu lebenslanger Haft verurteilt.
30. Juli In Oberursel bei Frankfurt wird der Bankier Jürgen Ponto bei einem misslungenen Entführungsversuch erschossen.
25. August Ein Raketenwerferanschlag auf die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe misslingt.
5. September In Köln entführt das RAF-Kommando Siegfried Hausner Hanns Martin Schleyer.
13. Oktober Das palästinensische Kommando Martyr Halimeh entführt das mit mehr als 80 Urlauber_innen besetzte Lufthansa-Passagierflugzeug Landshut auf dem Flug von Palma de Mallorca nach Frankfurt am Main.
18. Oktober In der somalischen Hauptstadt Mogadischu tötet die GSG 9 drei der vier Geiselnehmer_innen. Bis auf den Piloten Jürgen Schumann, der schon am 16. Oktober in Aden erschossen wurde, überleben alle Geiseln. Todesnacht von Stammheim: Am Morgen werden die Leichen von Baader, Ensslin und Raspe in ihren Zellen gefunden. Irmgard Möller überlebt, durch Messerstiche schwer verletzt.
19. Oktober In Mulhouse wird Hanns Martin Schleyers Leiche im Kofferraum eines Audi gefunden.

Dass beim Umgang mit »anarchistischen Gewalttätern« (so die offiziöse Bezeichnung auf den Fahndungsplakaten) der Zweck die Mittel heiligte, war kennzeichnend für das gesamte »Reformprogramm« der BAW. Zu diesem Programm, für das GBA Buback hauptverantwortlich war, gehörten: Verteidigerausschlüsse, Verbot der Mehrfachverteidigung, Isolationshaft, Psychiatrisierung von Angeklagten und nicht zuletzt die Manipulation der Öffentlichkeit: »Generalbundesanwalt Buback bekannte sich zu einer offensiven Information der Öffentlichkeit über die Baader-Meinhof- Bande. Es komme allerdings darauf an, wie, wann und welche Informationen weitergegeben würden.« (FAZ, 16.2.1976)

Für Peters und andere staatstreue »Terrorismusexperten« dienten Bubacks Innovationen allesamt dem Rechtsstaat. Selbst seine Mitgliedschaft in der NSDAP spielt Peters herunter, oder besser: lässt er durch Bubacks Sohn Michael herunterspielen. Der beruft sich auf seine Mutter und seinen Onkel: Beide »schlössen eine Nähe meines Vaters zum Nationalsozialismus aus«. Papa war kein Nazi! Das kommt uns irgendwie bekannt vor.

Ein alter Nationalsozialist

Bei Hanns Martin Schleyer, dem Präsidenten der Unternehmerverbände BDA und BDI, ist eine derartige Weißwäsche allerdings ausgeschlossen. 1933 trat Schleyer in die SS ein, vier Jahre später in die NSDAP. Als »alter Nationalsozialist und SS-Führer« bat er in einem Schreiben an den Reichsinnenminister vom 14. Mai 1942 darum, im besetzten Protektorat Böhmen und Mähren »kriegswirtschaftliche Arbeiten« übernehmen zu dürfen. Diesem Wunsch – Ausdruck der »uns in jungen Jahren in der Kampfzeit anerzogenen Bereitschaft, Aufgaben zu suchen und nicht auf sie zu warten« – wurde entsprochen. Nach Kriegsende verbrachte Schleyer fast drei Jahre in französischen Internierungslagern. Im Entnazifizierungsverfahren wurde er als »Mitläufer« eingestuft: ein skandalöser, damals aber völlig normaler Freispruch zweiter Klasse.

Auch die vielfach nacherzählte Geschichte, er sei als Boss der Bosse ein »fairer Gegner« der Gewerkschaften gewesen, beruht auf posthumer Verklärung. Wie er 1974 öffentlich gegen die drohende »gewerkschaftliche Machtergreifung (!) in Wirtschaft, Gesellschaft und letztlich im Staat« geiferte, ist in einem kurzen, aber eindrucksvollen Youtube-Video dokumentiert. Selbst die sozialpartnerschaftliche paritätische Mitbestimmung, von dem das Kapital weit mehr profitierte als die Arbeiterklasse, war ihm ein Gräuel. Kein Wunder, dass die Nachricht von seiner Entführung durch das Kommando Siegfried Hausner am 5. September 1977 von vielen »einfachen Leute«, die wenig bis gar keine Sympathien für die RAF hatten, klasseninstinktsicher kommentiert wurde: Hier sei doch mal »der Richtige erwischt« worden.

Dass nach Schleyers Tod, anders als bei Buback, selbst in der radikalen Linken kaum »klammheimliche Freude« aufkam, hängt mit den Umständen seiner Geiselhaft zusammen. Schnell war klar, dass der Staat Schleyer eher opfern würde, als auf die Forderungen der RAF einzugehen. Diese lauteten: Freilassung von insgesamt elf Gefangenen, darunter die Stammheimer Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl-Raspe, Ausreise in ein Land ihrer Wahl vom Flughafen Frankfurt aus, wo sie »bis mittwoch, 8 uhr früh« zusammenzubringen seien. Das war Tag 2 nach der Entführung. Das Ultimatum verstrich wie mehrere folgende – der Staat spielte erkennbar und insgesamt sechs Wochen lang auf Zeit.

Bis sich die Ereignisse dramatisch zuspitzen. Am 13. Oktober entführt das aus vier Personen – zwei Frauen und zwei Männern – bestehende palästinensische Kommando Martyr Halimeh das Lufthansa-Passagierflugzeug Landshut, das mit mehr als 80 Urlauber_innen an Bord auf dem Flug von Palma de Mallorca nach Frankfurt am Main unterwegs ist. Die Forderungen des Kommandos sind identisch mit denen der Schleyer-Entführer_innen. Die RAF ist an der Aktion nicht beteiligt, diejenigen ihrer Mitglieder, die sich zu der Zeit in Bagdad aufhalten, haben aber zugestimmt – nach längerer Diskussion und offenbar einstimmig.

Veteranen der Wehrmacht

Nach mehreren Zwischenlandungen und der Tötung des Piloten Jürgen Schumann landet die Lufthansa-Maschine am 17. Oktober in der somalischen Hauptstadt Mogadischu. Dort wird sie am 18. Oktober kurz nach Mitternacht von der bundesdeutschen GSG 9 und zwei Angehörigen der britischen SAS gestürmt. Drei der vier Entführer_innen werden getötet, Souhaila Andrawes überlebt schwer verletzt..

Am Morgen des 18. Oktober werden die Stammheimer RAF-Gefangenen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe tot in ihren Zellen aufgefunden. Irmgard Möller überlebt schwer verletzt mit mehreren Messerstichen in der Herzgegend. Die sofort verbreitete offizielle Sprachregelung, es handele sich um Selbstmord bzw. Selbstmordversuch, wird von radikalen Linken in Frage gestellt. Der Arbeiterkampf (AK), Vorläufer von ak – analyse & kritik, erscheint mit der Schlagzeile »Wir glauben nicht an Selbstmord«. (AK 116, 31.10.1977) In einem detaillierten Artikel mit der Überschrift »Das Wunder von Stammheim« werden diverse Indizien aufgelistet, die gegen die Selbstmordthese sprechen.

Schleyer wird von seinen Entführer_innen erschossen, seine Leiche am 19. Oktober im Kofferraum eines Audi 100 in Mulhouse (Frankreich) gefunden. Das Kommando Siegfried Hausner erklärt in seiner letzten, telefonisch übermittelten Botschaft: »Wir haben nach 43 Tagen Hanns Martin Schleyers klägliche und korrupte Existenz beendet.«

Musste das alles so enden? Die Journalistin Anne Ameri-Siemens bezweifelt es. »Bewies der Staat durch die unmittelbar nach der Entführung festgelegte Linie, nicht auszutauschen, wirklich Stärke?« ist die Frage, die sich durch ihr ebenfalls 2017 erschienenes Buch zieht. (2) Darin kommen diverse staatliche Akteure zu Wort, aber auch Zeitzeug_innen und vor allem Schleyers Sohn Hanns-Eberhard, der wochenlang vergeblich versuchte, das Leben seines Vaters zu retten. Sein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Bundesverfassungsgericht scheiterte, weil auch die Karlsruher Richter sich für die Staatsräson entschieden und der Bundesregierung freie Hand gaben.

Im Nachhinein kritisiert Schleyers Sohn vor allem, der Familie sei nicht klar »signalisiert« worden, dass es keinen Austausch geben würde. Verhaltene Kritik an den Helden der inneren Sicherheit im Krisenstab, der »kleinen Lage« unter Führung von Kanzler Schmidt, scheint bei Ameri-Siemens zuweilen durch. Letztlich gibt die Autorin aber den Beteiligten, namentlich Justizminister Hans Jochen Vogel, immer wieder Gelegenheit, die vermeintliche »Alternativlosigkeit« ihres Handelns zu begründen.

Bei Butz Peters sollen sich die Leser_innen in die Atmosphäre der endlosen Beratungen einfühlen: »An diesem Abend war es spät geworden. Nicht alle hatten sich an alkoholfreie Getränke gehalten wie der Kanzler. Er trank Coca-Cola aus kleinen Flaschen und rauchte Mentholzigaretten.« Was folgte, war die berüchtigte, von Schmidt persönlich angeregte Debatte über »Undenkbares«, vor allem die Wiedereinführung der Todesstrafe und »Repressalien« gegen RAF-Gefangene oder deren nahe Angehörige. Auch in anderen »langen Nächten macht sich eine Art Frontstimmung breit«, schreibt Peters. Kein Wunder: »Viele der Männer, die Stunde um Stunde zusammensitzen (…) waren im Zweiten Weltkrieg Soldaten an der Front und fühlen sich an diese Zeit erinnert.«

Naive Revolutionär_innen

Nicht wegen der Kriegserfahrung der Wehrmachtsveteranen war der ungleiche Kampf von vornherein entschieden, sondern weil der Staat, »Fahndungspannen« hin oder her, der RAF unendlich überlegen war. Und weil die vermeintlichen Herausforderer ihren Gegner auf groteske Weise unterschätzten – entgegen den eigenen Analysen vom faschistischen Polizeistaat.

Dass die Anmaßung der RAF, Todesurteile zu fällen und zu vollstrecken, nicht zu rechtfertigen ist, sollte auch für revolutionäre Linke außer Frage stehen. Noch mehr gilt das für die Entführung eines Passagierflugzeugs. Die hat nur »Sinn«, wenn man zum Äußersten entschlossen ist: dem Massenmord. Aber auch ohne die Landshut-Entführung konnte die Strategie der »Offensive 77« nicht aufgehen. Auf den gezielten Abschuss Bubacks folgte der misslungene Versuch, den Bankier Jürgen Ponto zu entführen, der mit der Tötung des Entführungsopfers endete; dann der häufig vergessene, ebenfalls gescheiterte Angriff auf die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe mit einem nicht funktionierenden Raketenwerfer. (3)

Nach diesen drei Aktionen zwischen Anfang April und Ende August 1977 zeugt es von erstaunlicher Naivität zu glauben, die Entführung eines führenden Kapitalisten könnte mit der Freipressung inhaftierter Genoss_innen erfolgreich zu Ende gehen – nach dem Modell der Lorenz-Entführung im Februar 1975. Damals hatte die Bewegung 2. Juni den Westberliner CDU-Vorsitzenden Peter Lorenz entführt und gegen fünf inhaftierte Genoss_innen ausgetauscht. Das ließ sich im September 1977 nicht wiederholen – wegen Buback, Ponto und Karlsruhe und weil die Gegenseite sich gleich nach der Lorenz-Entführung darauf verständigt hatte, eine Wiederholung auszuschließen. Helmut Schmidt hatte das im April 1975 in seiner Regierungserklärung nach dem Überfall auf die Stockholmer Botschaft auch öffentlich angekündigt. Das nicht ernst zu nehmen, den Gegner also leichtfertig zu unterschätzen, war ein fataler Fehler.

Der durch seinen Repressionsapparat überlegene Staat hat aber 1977 nicht nur militärisch, sondern auch politisch gesiegt. Die sozialliberale Bundesregierung, der Staatsschutz und die Bewusstseinsindustrie haben die Chance erkannt und genutzt, jede Art von Opposition massiv einzuschüchtern. Die Hetze gegen vermeintliche »Sympathisanten« verbanden sie mit einem Distanzierungsdruck, dem nicht nur Liberale, sondern auch viele Linke nachgaben. (ak 625) Die durch den Bundestag gepeitschten »Antiterrorgesetze«, der demonstrative öffentliche Aufmarsch bewaffneter Polizei, willkürliche Hausdurchsuchungen und Ermittlungsverfahren ließen eine Ahnung davon aufkommen, wozu der Staat in Zeiten wirklicher Bedrohung fähig sein würde. Wer dennoch die Demontage des – angeblich von der RAF in seinem Bestand bedrohten – Rechtsstaats kritisierte, machte sich verdächtig, die »freiheitlich demokratische Grundordnung« (fdGO) untergraben zu wollen.

So ging das Jahr 1977 mit der Niederlage nicht nur der RAF, sondern auch der Linken insgesamt zu Ende. Spätestens 1978 wären daraus Konsequenzen zu ziehen gewesen. Der Kommunistische Bund (KB), der den Arbeiterkampf herausgab, entschied sich für eine Art Doppelstrategie: einerseits scharfe Kritik an der Distanzierungswut der staatstreuen Linken und Solidarität mit den gefangenen Genoss_innen; andererseits bündnispolitische Öffnung in die linke Mitte: Nur so könne das »politische Überleben der Kommunisten« gesichert werden, hieß es in einer Resolution, die zu einem Essential des KB wurde.

Der eiserne Kanzler

Die RAF wäre nach dem Deutschen Herbst gut beraten gewesen, das Unternehmen Stadtguerilla in Westdeutschland für gescheitert zu erklären. Andreas Baader, der gern zum völlig uneinsichtigen Hardliner stilisiert wird, hatte mehrfach »eine Entspannung für längere Zeit« in Aussicht gestellt – wenn er und seine Genoss_innen freigelassen würden. Das zumindest berichtete der BKA-Beamte Alfred Klaus, der während der Schleyer-Entführung sieben Mal in Stammheim war. Sein letztes Friedensangebot habe Baader am Tag vor seinem Tod gemacht, dem dritten Tag der Flugzeugentführung. Aber auch in dieser extrem angespannten Lage gingen die staatlichen Akteure darauf nicht ein, sondern setzten alles auf die gewaltsame Beendigung der Entführung. Welches ungeheure Risiko sie damit in Kauf nahmen, war den Beteiligten sehr wohl bewusst. Bei einem Scheitern der Geiselbefreiung wäre er zurückgetreten, versicherte Kanzler Schmidt später. Was für ein Staatsmann!

Über seinen Tod hinaus wird er als unerschütterlicher Macher gefeiert, auch wegen seiner »Verdienste« im Kampf gegen den »Terrorismus«. Schon deshalb bleiben die Ereignisse des Jahres 1977 hochaktuell. Linke Interventionen im »Jubiläumsjahr« können allenfalls dazu dienen, die gröbsten Lügen der damaligen Sieger zurückzuweisen. Auch in diesem Wettbewerb gehört der eiserne Kanzler zur Spitzengruppe. In seinem Kondolenzbrief an Schleyers Witwe schrieb er am 20. Oktober 1977: »Ihr Mann hat sein Leben hingegeben für die freiheitliche Ordnung, an die er glaubte und für die er sein ganzes Leben lang eingetreten ist.« An diesem Satz stimmt buchstäblich nichts.

Jens Renner

war bis 2020 ak-Redakteur.

Anmerkungen:

1) Butz Peters: 1977. RAF gegen Bundesrepublik. Droemer Verlag, München 2017. 576 Seiten, 26,99 EUR.

2) Anne Ameri-Siemens: Ein Tag im Herbst. Die RAF, der Staat und der Fall Schleyer. Rowohlt Berlin 2017. 319 Seiten, 19,95 EUR.

3) Am 25. August 1977 scheiterte ein Raketenangriff auf die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe. Peter-Jürgen Boock behauptete später, er habe den Anschlag im letzten Moment sabotiert.