Schlussstrich für NS-Gedenkstätte?
Erinnerungsorte an NS-Verbrechen werden immer häufiger Ziel rechter Attacken, aber auch auf institutioneller Ebene gibt es Angriffe – und erste Schulterschlüsse von AfD und Union
Von Jonathan Welker
Bis auf weiteres geschlossen« – hieß es auf den Social-Media-Kanälen der Gedenkstätte Stalag 326 Ende September. Die Gedenkstätte am ehemaligen Standort eines »Stammlagers« (Stalag) in ostwestfälischen Stukenbrock-Senne erinnert seit Ende der 1990er Jahre an das Schicksal der hier im Zweiten Weltkrieg internierten Kriegsgefangenen. Nach nunmehr 27 Jahren schließt die größtenteils durch ehrenamtliche Arbeit getragene Gedenkstätte ihre Pforten, die 30-Jahr-Feier des Trägervereins wurde abgesagt.
Der Grund für diese weitreichende Entscheidung: Der seit Jahren geforderte und geplante Ausbau der Gedenkstätte wurde kurzfristig ausgesetzt. Die lokale CDU hatte gemeinsam mit der AfD und einer Unabhängigen Wählergemeinschaft im Kreistag Gütersloh gegen eine entsprechende anteilige Finanzierung des Ausbaus gestimmt. Der mindestens hingenommene Schulterschluss von Christdemokrat*innen und extrem rechter AfD, der zum vorläufigen Aus einer Gedenkstätte für Opfer des nationalsozialistischen Deutschlands führte, sorgte für bundesweite Aufmerksamkeit. Eine Petition zum Erhalt der Gedenkstätte haben mittlerweile über 25.000 Menschen unterschrieben.
Vorläufig geschlossen
Dabei hätte der Kreis nur einen kleinen Anteil der über 60 Millionen Euro Gesamtkosten zahlen müssen. Doch die 460.000 Euro jährlichen Betriebskosten erschienen nicht tragbar. »Gedenken kann man nicht kaufen«, ließ die Fraktionsvorsitzende Birgit Ernst von der Gütersloher CDU wissen. Dass diese Arbeit aber auf Dauer keinesfalls unbezahlt zu leisten ist, weiß der Trägerverein der Gedenkstätte selbst am besten. Neben dem Aufbau einer Ausstellung, einer historischen Sammlung und einer Bibliothek sowie der täglichen Bildungsarbeit mit Besucher*innen putzten die Ehrenamtlichen auch die Räumlichkeiten selbst. Die vorläufige Schließung kann mitunter als ein Akt der Notwehr interpretiert werden.
Wie es nun weitergeht, ist offen. Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Claudia Roth, sprach von einem »herben Rückschlag für die Erinnerungskultur«, sollte der Ausbau der Gedenkstätte scheitern und kündigte klärende Gespräche mit allen Verantwortlichen an. Deren Ergebnisse stehen noch aus. Wenn jedoch zeitnah keine Lösung gefunden wird, droht der Verfall der zugesagten Bundes- und Landesmittel.
Dass es ausgerechnet diese Gedenkstätte trifft, ist indes kein Zufall, ist doch eine seit Langem marginalisierte Opfergruppe betroffen. Die mit Abstand größte Häftlingsgruppe des ehemaligen Wehrmachtslagers waren sowjetische Kriegsgefangene. Von den schätzungsweise 300.000 ehemaligen Rotarmist*innen überlebten mehrere Zehntausend die tödlichen Haftbedingungen und die euphemistisch als »Aussonderungen« deklarierten Morde an Jüdinnen, Juden und politischen Funktionär*innen nicht. Insgesamt starben von den bis zu 5,7 Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen Schätzungen zufolge 3,5 Millionen in deutscher Gefangenschaft. Sie sind damit nach Jüdinnen und Juden die numerisch zweitgrößte Opfergruppe des Nationalsozialismus.
Doch über Jahrzehnte wollte niemand etwas von diesen Opfern wissen. In der deutschen Gesellschaft dominierten Schuldabwehr und die Betonung der eigenen – vermeintlichen und realen – Opfer. Im Zuge des Kalten Krieges sorgte in der BRD zudem der virulente Antikommunismus für eine pauschale Abwehr gegen alles mit der Sowjetunion Assoziierte. In der DDR hingegen ließ der antifaschistische Heldenkult kaum Raum für ein Opfergedenken. (ak 672)
Antikommunismus verbindet
Dank lokaler Initiativen konnten dennoch Erinnerungsorte eröffnet werden. Fast immer mussten sie dabei gegen den hartnäckigen Widerstand lokaler Politik und von Teilen der Bevölkerung durchgesetzt werden. So auch in der Gedenkstätte Stalag 326 in Stukenbrock-Senne, wo die lokale CDU noch vor einigen Jahren gegen eine stilisierte sowjetische Flagge als Teil eines Denkmals polemisierte und die ersten Gedenkveranstaltungen vom Verfassungsschutz überwacht wurden.
Erst jüngst verhinderten Stadträte von CDU und AfD im sächsischen Limbach-Obfrohna gemeinsam die Verlegung von Stolpersteinen für zwei von den Nazis erschossene KPD-Funktionäre.
Antikommunismus als verbindendes Element von Konservativen und Rechtsradikalen scheint dabei auch in anderen Fällen der Abwehr von Gedenken an Opfer des Nationalsozialismus auf. Erst jüngst verhinderten Stadträte von CDU und AfD im sächsischen Limbach-Obfrohna gemeinsam die Verlegung von Stolpersteinen für zwei von den Nazis erschossene KPD-Funktionäre. Diese Schulterschlüsse auf lokaler Ebene sind nicht zufällig gegen marginalisierte Opfergruppen gerichtet. Hier wird »im Kleinen« geprobt, wie weit sich eine etablierte Erinnerungskultur angreifen lässt, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Noch verbleiben solche Attacken im Lokalen, auf landes- und bundespolitischer Ebene sind sie in diesem Umfang noch nicht denkbar. Ob dies so bleibt, ist eine Frage der kommenden erinnerungspolitischen Auseinandersetzungen.
Erinnerungskultur bleibt umkämpft
Im gesellschaftlichen Klima des Rechtsrucks der letzten Jahre kam es auch zu einer starken Zunahme der rechten Angriffe auf KZ-Gedenkstätten und ähnliche Institutionen. Immer stärker scheint sich hier die Einsicht durchzusetzen, dass nur eine offensive Verteidigung der eigenen Orte und ihrer Arbeit zielführend sein kann. So rief die Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten zur Teilnahme an einer Demonstration gegen den AfD-Parteitag auf, die Leitung der Gedenkstätte Dachau ließ Hubert Aiwanger nach dessen antisemitischem Pamphlet wissen, ein Besuch seinerseits sei nicht erwünscht, und der Leiter der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora verweigerte demonstrativ die Zusammenarbeit mit dem möglichen neuen AfD-Bürgermeister der nahe der Gedenkstätte gelegenen Stadt Nordhausen. Angesichts aktueller und zu erwartender Wahlsiege der AfD wichtige Signale und für meist vollständig staatlich finanzierte Institutionen ein Wagnis.
Die Beispiele zeigen: Trotz ihres mitunter staatstragenden Charakters bleibt die Erinnerungskultur an die deutschen Verbrechen und den Nationalsozialismus ein umkämpftes Feld. Wenn sich die hier tätigen Institutionen ihrer oftmals zivilgesellschaftlichen Ursprünge besinnen und klare Haltung zeigen, ist bereits viel gewonnen. Denn, wie der Förderverein der Gedenkstätte Stalag 326 richtigerweise klarstellt: »Gerade in der jetzigen Zeit (…) bei wachsendem Rechtspopulismus (ist es) besonders wichtig, über den Nationalsozialismus mit seiner vernichtenden Ideologie der Ungleichwertigkeit der Menschen aufzuklären (…)«.